Achtundvierzigstes Kapitel - Das erste Opfer

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„Miss Waters, so schnell wieder hier?", rief Price überrascht aus und reichte mir die Hand, kaum dass ich in ihrer Reichweite war.

„Glauben Sie mir, ich wäre lieber woanders", erwiderte ich schlicht und nahm am Konferenztisch platz. Walker machte es sich direkt neben mir gemütlich, Stryder und Price setzten sich uns gegenüber. Erwartungsvoll wurde ich von allen Seiten gemustert.

„Also Waters, verrätst zu uns jetzt was los ist?", fragte Walker ungehalten. Es schmeckte ihm offensichtlich gar nicht, dass ich mich nicht zuerst mit ihm abgesprochen hatte, bevor wir hergekommen waren. Doch was ich zusagen hatte war nichts, dass ich öfters durchkauen wollte. Um ehrlich zu sein, wollte ich am liebsten gar nicht darüber reden, aber wenn dieser Fall gelöst werden sollte, würde mir nichts anderes übrigbleiben.

„Hat jemand ein Diktiergerät? Ich würde mich nur ungerne widerholen müssen", fragte ich deshalb, bevor ich auch nur einen wirklich wichtigen Satz herausbrachte.

Wortlos holte Stryder eins vom nächsten Tisch, schaltete es ein und legte sich Papier und Stift bereit. Zumindest er schien begriffen zu haben, dass es sich hierbei nicht um einen Kaffeeplausch handeln würde.

Price beobachtete unser Schauspiel stillschweigend, doch es war ihr deutlich anzusehen, dass sie sich durchaus ihre Gedanken dazu machte. Walker hingegen wurde von Sekunde zu Sekunde unleidlicher.

„Mach's nicht so spannend. Raus mit der Sprache. Was ist los?", bohrte er weiter und drängte mich mit seiner Unruhe nur noch mehr. Das Unbehagen welches sich während der Fahrt zum Revier langsam in mir ausgebreitet hatte, machte sich mittlerweile äußerst deutlich durch Herzrasen und hektische Atmung bemerkbar. Doch darauf durfte ich mich nicht fokussieren. Ich musste einen klaren Kopf behalten, damit ich nichts ausließ und Price mich nicht in eine Irrenanstalt steckte.

„Ich bin mir nicht sicher, wie viel Sie über mich wissen Agent Price. Deshalb werde ich versuchen alles so gut wie möglich zusammenzufassen", begann ich stockend und wusste, dass ich mit diesen Worten bereits reges Interesse bei ihr geweckt hatte.

„Mein Name ist Sally Waters, ich bin 23 Jahre alt, seit Jahren chronisch krank, das letzte Opfer von Mason Keppler und habe eine besondere Fähigkeit. Diese Fähigkeit hat es mir erlaubt Amanda Clark und Natalie zu finden. Außerdem hat sie mich davor gewarnt, dass wenn ich nichts unternehme, Walker sterben würde. Einfach ausgedrückt: Ich kann den bevorstehenden Tod von Menschen sehen."

Gespannt hielt ich die Luft an, versuchte einzuschätzen wie die Agentin auf meine Worte reagierte und ob ich überhaupt noch weiterzusprechen brauchte. Als sie weder aufsprang noch laut loslachte, fuhr ich fort:

„Als ich mich in Kepplers Gewalt befand und selbst davor, drang ich in seinen Kopf ein. Es war keine Absicht, aber es ist passiert. Seitdem habe ich jede Nacht und manchmal auch tagsüber Visionen von ihm. Von seinem Leben, von seinen Taten. Bislang hat nichts davon ausreichend Sinn für mich ergeben, aber das hat sich jetzt geändert. Ich glaube ich weiß, wer sein erstes Opfer war und ich bin der festen Überzeugung, dass wenn wir sie finden, auch ihn fassen können. Seine wahre Identität und seinen Komplizen", endete ich und sah mich in unserer kleinen Runde um.

Chief Stryder hatte sich Notizen gemacht und war noch dabei, Walker starrte mich fassungslos an und Price, Price lehnte sich zurück und blickte mich eindringlich an. „Sie sagen die Wahrheit", stellte sie nach einer Weile fest und schüttelte ratlos den Kopf.

„Woher wissen Sie das?", wollte ich wissen. Eine Reaktion wie ihre war mir in meinem ganzen Leben noch nie untergekommen.

„Es ist mein Job derartige Dinge zu wissen. Außerdem gehören Sie nicht zu den Menschen, die wilde Geschichten erfinden würden, nur um daraus Profit zu schlagen. Obwohl ich mir nicht sicher bin, wie der in diesem Falle aussehen könnte. Sie sind ein großes Risiko damit eingegangen mich ins Vertrauen zuziehen, aber Sie wussten das Sie den Versuch unternehmen müssen, wenn Sie meine Hilfe wollen."

Jetzt war es an mir mich zurückzulehnen und den Kopf schiefzulegen. Mir war es, als sähe ich sie gerade zum ersten Mal und trotzdem schien ich nichts zu erblicken. Ganz gleich wie sehr ich mich auch bemühte, wie sehr ich auch hinschaute, ich konnte Agent Price einfach nicht erkennen. Wer war diese Frau nur?

„Du weißt wer sein erstes Opfer war?", riss der Detektive zu meiner Rechten mich aus meinen Gedanken.

„Wissen ist vermutlich wie immer übertrieben, aber ich bin mir sehr sicher. Ja."

„Erzählen Sie uns alles was Sie in Erfahrung gebracht haben", forderte Stryder mich auf und wendete das Blatt Papier, auf dem er hektisch schrieb.

„Sie war noch ein Teenager. Höchstens 16 oder 17 Jahre alt. Blond. Zierlich. Hübsch. Ihr Name ist Jodie Heart. Sie war mit Keppler befreundet und hat ihn mit Mason angesprochen. Über die Zeit hat er sich in sie verliebt, aber weil seine Gefühle nicht erwidert wurden, fing er an sie zu stalken. Lief ihr nach egal wo sie hinging, ob auf dem Schulgelände oder außerhalb. Er hat nachts zu ihrem Fenster reingeschaut und als er so wütend war, dass er sie umbringen wollte da ...", ich hielt inne. Mir wurde bewusst, dass mir ein Stück der Geschichte fehlte. Wann hatte die dunkle Gestalt aus meinem Traum Mason entdeckt?

„Da was Sally?", hakte Walker nach.

„Da wurde er zurückgehalten."

„Dann lebt sie noch?", wollte Stryder wissen.

„Nein. Definitiv nicht. Keppler wurde von dieser Person nicht aufgehalten. Ich glaube wer immer es auch war, hat Keppler ausgebildet. Und Jodie war sein erster Versuch. Was bedeutet, dass wenn wir sie finden können, wir vielleicht noch Spuren entdecken. Er war jung, schlampig und temperamentvoll. Ich bezweifle, dass er damals auf seinen Lehrer gehört hat, dafür war es zu persönlich für Mason."

„Und Sie sind sich sicher, dass Jodie Heart ihn mit Mason angesprochen hat?", führte der Chief das Verhör meines Traumes fort.

„Ja. Allerdings kann es auch sein, dass ich Mason gehört habe, weil ich schlichtweg keinen Zugriff auf seine persönlichen Erinnerungen habe."

„Pah", schnaubte Walker. Perplex schaute ich ihn an.

„Keinen Zugang zu seinen persönlichen Erinnerungen? Ich finde das alles doch reichlich persönlich."

„Du weißt genau wie ich das gemeint habe", konterte ich und blickte ihn herausfordernd an.

„Ist das so?", stichelte er weiter und sprang regelrecht von seinem Platz auf.

„Was zum Teufel ist dein Problem?", wollte ich wissen und erhob mich ebenfalls, stellte mich mit verschränkten Armen vor ihn und funkelte ihn wütend an.

„Was glaubst du wohl was mein Problem ist? Das Gehirn eines Serienkillers steckt in deinem Kopf! Und du hast nichts Besseres zu tun, als mir erst jetzt davon zu erzählen? Seit Wochen träumst du von seinem Leben und du hast es nicht für wichtig gehalten mich darüber in Kenntnis zusetzten?!"

„Was?!", rief ich erregt aus und versuchte mit Walkers Gedankengang mitzuhalten. Dass Mason und ich in den Köpfen des jeweilig anderen unterwegs gewesen waren war nichts Neues für Aiden, also warum tickte er derartig aus?

„Scheiße Sally! Warum hast du nichts gesagt?!", brüllte er mich ein letztes Mal an und stürmte dann aus dem Raum.

„Was zur Hölle sollte das denn?", fragte ich mehr mich als die übrigen Anwesenden, welch bis dahin stillschweigen unser Schauspiel beobachtet hatten.

„Ich rede mit ihm", brachte der Chief sich ein und als er ebenfalls verschwunden war schaute Price mich an und meinte:

„Er macht sich Sorgen um Sie. Das ist alles."

Das ist nicht Walker wie er sich Sorgen macht. Das ist Walker wie er mal wieder vollkommen am Rad dreht, aus irgendeinem nicht existenten Grund", murmelte ich und setzte mich seufzend wieder hin. Vermutlich hätte ich frustriert vor mich her gestarrt, aber Price fing plötzlich an zu lachen.

„Miss Waters, dieser Mann tut nichts ohne einen Grund. Glauben Sie mir, er war außer sich als Sie vermisst wurden. Das hatte sich gelegt als es Ihnen anfing besser zu gehen, aber jetzt musste er feststellen, dass Sie nach wie vor die Gefangene eines toten, gänzlich gestörten Mannes sind. Nicht unbedingt ein beruhigender Gedanke, oder?"

„Nein. Ich schätze nicht", gab ich zu und schaute nachdenklich zur Tür. Ob Walker sich wohl je von dem Geschehenen erholen würde? Und wenn nicht, was würde dann aus ihm und seinem Job werden?

My Long Way To DeathWhere stories live. Discover now