Siebenundzwanzigstes Kapitel - Endlose Folter

1.8K 159 11
                                    

Ich hatte bereits aufgehört zu zählen wie oft er, seit seinem ersten Angriff auf mich, wiedergekommen war. Immer mit dem Messer. Mason benutzte es nicht bei jedem Besuch, aber oft genug. Ich wurde hin und wieder gezwungen zu essen und anschließend ins Badezimmer gebracht, wodurch ich dafür sorgen konnte, dass sich die Wunden nicht infizierten. Zumindest nicht so schnell, wie sie es sonst vielleicht getan hätten. Amandas Körper würde mit Narben übersäht bleiben, nicht zuletzt wegen den Infektionen die sich bereits ausgebreitet hatten, als wir sie fanden. Falls ich jemals hier rauskommen würde, würde vermutlich auch ich Narben zurückbehalten, aber bis dahin war ich nicht besonders erpicht mit 40° Fieber in einem kalten Keller zu liegen. Einmal dachte ich, während ich meinen Fuß verband, darüber nach das Essen zu erbrechen, verwarf den Gedanken jedoch. Zum Einen weil ich nicht scharf auf eine Bestrafung war, zum Anderen weil ich, sofern mein Traum real gewesen war, ich meinen Körper brauchen würde. Ich glaubte nicht daran, jedoch gefiel es mir irgendwie, mich an diese naive Hoffnung zu klammern. Mich zu Tode zu hungern war mit Mason als mein Wachhund keine Option und an einer Infektion zu sterben war nicht unbedingt ein Spaziergang. Da konnte ich genauso gut versuchen zu überleben, für den unwahrscheinlichen Fall der Fälle, dass Walker doch noch am Leben sein sollte und versuchte mich zu finden und aus diesem Höllenloch zu befreien.

Das ich aß gefiel mir nicht wirklich, doch es hatte einen angenehmen Nebeneffekt, den ich nicht leugnen konnte: Ich kam wieder zu Kräften und der Entzug fühlte sich nicht mehr so schlimm an, wie zuvor. Man sollte annehmen, dass längst alles aus meinem System war, aber so etwas dauert tatsächlich länger, als man glaubt. Zumindest bei einigen der Medikamente.

Mein Körper glich dennoch einem einzigen Schmerz. Ich konnte kaum noch ausmachen, wo eine Verletzung endete und eine Neue begann. Die Schmerzen die ich ohnehin jeden Tag hatte, wurden immer stärker. Mein Verstand war mal absolut klar, mal so sehr in Mitleidenschaft gezogen, dass ich keinen vollständigen Satz denken konnte. Der Blutverlust hatte zur Folge, dass zwar die Medikamente schneller aus meinem Körper gelangten, aber es führte auch dazu, dass ich viel mehr trinken und schlafen musste.

Schlafen war im Grunde auch das Einzige was ich tat, wenn er nicht da war. Ich hatte versucht Walker wieder zu sehen, war jedoch gescheitert. Mir war gleichgültig, ob es echt war oder nicht. Ich wagte nicht wirklich zu hoffen, dass er noch am Leben war, zumindest die meiste Zeit nicht, aber ich hatte es genossen mit ihm zusammen zu sein. Es war normal gewesen. Angenehm. Kein Vergleich zu dem Ort an dem ich mich momentan befand. Doch ganz gleich was ich versuchte, ich schaffte es nicht von ihm zu träumen. Ich wollte es bereits aufgeben, als es mich beim Schlafen, kurz nach einem von Masons vielen unangenehmeren Besuchen, plötzlich aus meinem Körper riss. Meine Umgebung wurde langsam klarer, bis ich erkannte dass ich im Konferenzraum des Reviers stand, in dem Amandas Fall und der der anderen Frauen aufgebaut worden war. Walker war über einem Stapel Papiere eingenickt, den Kopf auf die Arme gebettet. Er sah friedlich aus, entspannt. Dieser Anblick hatte nichts mit dem Mann zu tun, den ich kennengelernt hatte. Vielmehr war es das komplette Gegenteil. Aber das machte mir nichts aus. Mir war klar, dass dies eher seinem wahren Ich glich, als die Fassade, welche er so gerne zur Schau stellte und mit der er die Menschen in seinem Umfeld stets verunsicherte.

„Walker", probierte ich ihn auf mich aufmerksam zu machen, aber wie in meinem Traum zuvor, reagierte er nicht auf seinen Nachnamen.

Ich trat auf ihn zu und beugte mich dicht neben sein Gesicht. Einen Augenblick lang musterte ich ihn einfach nur, ehe ich es erneut versuchte:

„Aiden", wisperte ich direkt neben seinem Ohr.

Mit einem Ruck fuhr er hoch, während ich mich von ihm entfernte und vor eins der Whiteboards stellte, an dem Fotos hingen.

„Sally", hörte ich eine ungläubige Stimme hinter mir.

„Ich sehe, dieser Mann scheint dich nach wie vor zu beschäftigen", stellte ich fest.

My Long Way To DeathWo Geschichten leben. Entdecke jetzt