Achtunddreißigstes Kapitel - Der Weg zurück ins Leben

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Zurück in meinem Krankenhauszimmer, zog ich mir bequeme Klamotten an, die nicht dauernd an den Verbänden scheuerten und legte mich in mein Bett. So ungern ich es zugab, aber der Ausflug nach Draußen an die frische Luft, hatte mich mehr erschöpft als ich befürchtet hatte. Zwar machte ich brav täglich meine Physiotherapie zur Widerherstellung meiner Muskelkraft, aber es ging nur langsam voran, was mich mehr als frustrierte.

„Ruh dich aus. Ich ... ich schau mal bei der Arbeit vorbei. Kann mich ja schließlich nicht für immer bei dir verstecken", versuchte Aiden zu scherzen, aber es gelang ihm nicht recht. Keiner von uns lachte. Stattdessen schauten wir uns an und zum ersten Mal breitete sich eine peinliche Stille zwischen uns aus. Für gewöhnlich gab es diese nicht. Aber irgendetwas hatte sich geändert, als wir am Fluss gesessen hatten. Irgendetwas war in mir, in ihm, das uns Zögern ließ zu sagen, was wir wirklich dachten.

„Warst du auch nur einmal da, seit ... seit ihr mich gefunden habt?", fragte ich ihn und schaute dabei erst auf meine Hände, dann in seine Augen. Ich wollte es sehen. Wollte sehen wie er regierte auf meine Frage, die Art wie ich sie stellte. Wollte wissen ob er verstand, dass ich ihm nicht die Schuld gab, sondern froh, dass er gekommen war um mich zu beschützen und mir Gesellschaft zu leisten.

„Warum fragst du?", murmelte er nur, schaute aber nicht weg.

Ich konnte sehen, wie es in ihm arbeitete. Konnte fühlen, dass er nicht zugeben wollte, dass er Angst hatte mich alleine zu lassen und sein Leben wieder aufzunehmen.

„Ich frage mich nur ... ob ihr sein Grundstück schon umgegraben habt. Ob ihr ... ob es noch mehr gibt", erklärte ich, ohne wirklich zu sagen, was ich sagen wollte. Ich wollte nicht, dass er sich für immer verpflichtet fühlte auf mich aufzupassen. Wollte nicht, dass er nie mehr tat was er wollte, oder was ihm gut tat. Ich wollte dass er lebte, ohne zurückzuschauen, auf all die schrecklichen Dinge, die uns widerfahren waren.

„Ich bin nicht sicher. Wir hatten es vor, aber ich weiß nicht, wie weit wir damit gekommen sind", erklärte er und trat zwei Schritte von mir weg in Richtung Tür.

„Ich lasse es dich wissen, wenn ich etwas in Erfahrung gebracht habe. Bis dann Sally", sagte er abschließend und verließ mich schneller als ich: ‚Okay' sagen konnte.


Ich wusste nicht, warum ich davon gelaufen war. Und ja, das war ich. Anders konnte man meinen Abgang aus Sallys Krankenzimmer nicht nennen. Aber sie hatte mich so angesehen ... fast wie damals, als sie in meinen Gedanken gewesen war. Als ihr Geist in meinem gestöbert hatte, ohne das ich es wollte. Ich hatte keine Angst vor ihr oder dem was sie finden könnte. Ich hatte Angst davor, dass ich selbst nicht damit klarkäme, mit was auch immer sie entdecken würde. Sally war zu gut darin in den Menschen zu lesen, in mir zu lesen, als sie in einem solchen Moment an mich heran zu lassen. Schon beim letzten Mal, kurz nach ihrer Befreiung, hatte sie mehr entdeckt, als es für uns beide gut gewesen war und wenn ich ehrlich war, war ich nicht sonderlich darauf versessen die Dinge zwischen uns noch komplizierter zu gestalten, als sie es ohnehin schon waren, besonders nach unserem Ausflug ans Wasser.

Ich wusste, was sie versucht hatte. Sie hatte versucht mir zu sagen, dass sie mir nicht die Schuld gab. Schon wieder hatte sie, wenn auch nicht direkt, sich bemüht mir das Gefühl zu geben, dass ich sie nicht im Stich gelassen hatte, sondern gerettet. Aber so war es nicht gewesen. Nicht für mich jedenfalls. Ich hatte sie nicht gerettet. Im Gegenteil. Sie hatte mich gerettet. Jedes einzelne Mal, in dem sie aufgetaucht war, mich angerufen oder mit mir diskutiert hatte. Ich würde es Sally nie sagen, aber kurz bevor sie aufgetaucht war, gerade als Amandas Fall auf meinem Tisch gelandet war, hatte ich beschlossen aufzugeben. Ich wollte diesen Job nicht mehr machen. Ich wollte nicht länger Leichen ausgraben, statt Menschen zu finden. Ich wollte etwas Lebendiges in meinem Leben, weg von all dem Tod und dem Bereuen. Aber ich konnte Amandas Fall nicht einfach aufgeben. Nicht nach all der Zeit. Und da war sie. Sally.

My Long Way To DeathWo Geschichten leben. Entdecke jetzt