Kapitel 8- Schüchtern

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Das glaubte er sofort. Allein Nina würde die kleine nur so mit liebe überschütten. Schließlich hatte sie ein ganz ähnliches Schicksal durchgemacht und konnte die kleine besser verstehen, als manch anderer. „ Wie heißt sie eigentlich?" „ Ihre Mutter hat sie liebevoll Vivi genannt. Und den Namen behält sie. In den offiziellen Papieren steht Vivienne Maria. Maria hat sie sie nach der Ärztin getauft, die ihr das Leben gerettet hatte. Eine wundervolle letzte Geste, wenn du mich fragst. Sie hatte gerade noch so ihren Namen festlegen können. Eine Stunde später ist sie eingeschlafen und nicht mehr aufgewacht." Traurig sah Tim auf die kleine hinab. Sowas wünschte man keinem. Behutsam nahm Tim ihr das Fläschchen weg und wischte ihr mit dem Tuch Reste der Milch weg, bevor er ihr liebevoll über die Wange streichelte. Hier würde sie es gut haben, dass wusste er. Ihre kleinen Patschehändchen streckten sich nach ihm aus, weshalb er ihr die Flasche wieder hinhielt. Sie nahm sie sofort an, klammerte aber eine ihrer kleinen Hände an seinen kleinen Finger. Tims Herz schmolz dahin. Er könnte den ganzen Tag auf die kleine aufpassen. Leider wusste er, dass das nicht möglich war. „ Wenn du willst, kommen wir später noch mal wieder. Die kleine braucht schließlich den ganzen Tag Beaufsichtigung. Zur Not lass ich dich einfach hier. Mach dir keine Gedanken, sie hat es gut hier." Wann hatte er das je bezweifelt. Trotzdem wollte er noch mehr Zeit mit Vivi verbringen. Sie hatte es einfach verdient mit liebe überschüttet zu werden. So wie fast jeder hier.

Etwa eine halbe Stunde später musste er das kleine Bündel schweren Herzens wieder abgeben. Sie hatte zum Schluss friedlich glucksend in seinen Armen gelegen und sich von ihm hin und her wiegen lassen. Dabei hatte sie eine ihrer kleinen Hände sanft im einen seiner Finger geschlossen und sich daran festgehalten. Tim hatte daraufhin dann ihre kleine Hand in seine genommen und ihr über wen Handrücken gestrichen. Jetzt lag sie friedlich in ihrem Bettchen und gähnte. Zumindest interpretierte Tim es als Gähnen. Ihr ein letztes Mal über die Wange streichelnd ging er mit Nina mit. „ Also einfühlsam bist du hoffentlich. Du wirst es jetzt brauchen. Wir gehen jetzt erstmal zu den jüngeren und versuchen ein bisschen Kontakt und Nähe herzustellen. Einfach damit sie nicht mehr so schüchtern sind. Sie verstehen noch nicht wirklich, warum sie hier sind, aber sie merken, dass ihre Eltern nicht mehr da sind. Sie suchen eine Bezugsperson, die sie kennen. Diesen Status wollen wir erreichen. Später hätte ich noch die Königsdisziplin. Jugendlicher um die fünfzehn. Wenn die Kinder anfangen zu verstehen warum sie hier sind, blocken sie dich automatisch. Sie wollen heim und nicht zu einem von uns Erziehern. Ich hab's schon n paar mal erlebt, dass sie dich wirklich stark abweisen und teilweise beleidigend werden. Reagier da, sollte es passieren gelassen. Versetz dich immer in ihre Situation und überlege, mit was sie im Moment fertig werden müssen. Die meisten sind verzweifelt und wollen einfach nur jemand vertrauten, der für sie da ist. Der ihnen das Gefühl gibt nicht alleine zu sein." Wie könnte er. Jugendliche waren immer ein bisschen schwierig. War er selbst in der Pubertät ja auch gewesen. Er könnte es keinem hier übel nehmen, weil er aus Überschuss an Verzweiflung, Trauer und Einsamkeit mal ausfallend wurde. Nina öffnete ihm eine der Türen zu ihrer linken. In dem Raum saß bereits eine Betreuerin mit einer Hand voll kleiner Kinder, alle samt nicht älter als fünf. Zwei von ihnen saßen dicht an dicht geschmiegt in einer Ecke und hielten sich bei den Händen. Ein kleiner Junge saß weinend bei der Betreuerin auf dem Schoß. Und der Rest spielte in der anderen Ecke miteinander. Sie wirkten noch recht ausgelassen. „ Morgen. Setzt euch einfach dazu. Jemand könnte mir ihn mal abnehmen. Ich müsste mal kurz aufs Klo." Nina machte wohl eine Geste, denn der kleinere wurde ihm auf den Schoß gesetzt, bevor er etwas sagen konnte. Tim zog ihn ein bisschen mehr seitlich und legte dann behutsam einen Arm um ihn. „ Alles gut, du brauchst nicht weinen.", versuchte Tim beruhigend auf das schluchzende etwas einzusprechen. Bringen tat es jetzt nicht so viel. Der kleine weinte immer noch und flehte nach seinem Vater. „ Das ich will zu Papa.", zerriss ihm fast das Herz. „ Ich weiß und ich würde dich liebend gern zu ihm bringen, allerdings geht das nicht. Weißt du für jeden Menschen gibt es einen Tag, wenn man alt ist, an dem er friedlich einschläft und nicht mehr aufwacht. Das tut nicht weh und ist auch überhaupt nicht schlimm. Allerdings sind die Personen dann nicht mehr in der Lage zu sprechen, oder sich zu bewegen. Das ist bei deinem Papa passiert. Aber er ist jetzt bin Herzen immer bei dir und passt auf dich auf." Tim hatte versucht so viel Gefühl und Beschönigung rein zu bringen, wie es nur ging. Möglichst dann noch für ein kleines Kind verständlich. Aus verheulten Augen und mit laufender Nase blickten die kleinen Kinderaugen zu ihm hoch. „ Kann ich ihn da besuchen?", verließ es die kleinen Lippen wimmernd. „ Ich wünschte du könntest. Aber es ist nicht möglich." Ansonsten würde er wohl alles dafür tun den kleinen solche Wünsche zu erfüllen. „ Bist du dann für mich da?" „ Ab und zu. Die meiste Zeit wird Nina für dich da sein. Sie ist ganz lieb und wird sind auch gut befreundet. Sie wird für dich da sein und die anderen genauso.", versprach Tim ihm. „ Kuscheln?", schniefte der kleine und drückte sich an ihn, noch bevor er irgendwas sagen konnte. Vorsichtig legte er seine Arme um den kleinen und umarmte ihn vorsichtig. Tränen tropften auf sein Shirt, aber das war egal. Wenn es dem Jungen gut tat, würde er ihn lassen. „ Du kannst echt gut mit Kindern. Willst du hier einsteigen? Die nehmen dich auch mit Realschulabschluss und Handkuss, wenn du mit Kindern kannst und bereit bist zu lernen." An sich ein reizendes Angebot, aber er wollte sein Abi machen. Danach konnte er über ein FSJ hier ruhig mal nachdenken. Aber das war erst in einem Jahr. „ Ich denke mal drüber nach. Mein Abi mach ich allerdings zuerst." „ Ja ja die Jugend und ihr Abschluss. War nur so n Gedanke."

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