Kapitel 15- Du hast nichts falsch gemacht

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„ Das hatten wir doch alles schon mal. Letztes Mal hast du mich genauso angeschrien und am Ende hast du dir komplett am Ende deiner Kräfte helfen lassen. So weit muss es doch nicht gehen." Tim erkannte so langsam das Problem. Der Junge hatte ein Problem damit Hilfe anzunehmen. Und zwar ein ganz massives. Tim kannte das von einem Mädchen aus ihrer Klasse. Alle hatten sie immer als Zicke abgestempelt, weil sie jeden von sich gewiesen hatte. Tim hatte immer gedacht, es wäre ihr Ehrgeiz, wegen dem sie sich nicht helfen ließ, selbst bei komplizierten Aufgaben. Bis Tim dann eine völlig verzweifelte Nachricht von ihr erhalten hatte, ob er ihr bitte das neue Thema in Mathe für den Test erklären könne und das es eine einmalige Sache wäre. Da hatte es bei ihm klick gemacht. Tim zuckte zusammen und duckte sich, als etwas weiteres in seine Richtung flog. Zum Glück nur ein Stofftier, wie er merkte, als es gegen die Wand traf. Auch wenn es vielleicht dumm war, würde er jetzt mal was sagen. „ Hey Stopp. Irgendwann triffst du mich wirklich noch. Du willst mich doch gar nicht abwerfen. Im Grunde willst du dir nur nicht helfen lassen, weil du Angst hast, dass du schwach wirken könntest. Du kannst keine Hilfe annehmen, weil du andere nicht belasten willst, oder ihnen nichts zurück geben kannst. Aber das ist nicht, wie Hilfe funktioniert. Man hilft anderen, wenn sie Hilfe brauchen. Denk da mal bitte drüber nach." So was ähnliches hatte er damals dem Mädchen auch geraten, nachdem er sich im Internet ein bisschen belesen hatte. Ihr hatte es ein klein wenig geholfen und zumindest manchmal ließ sie sich von ihm helfen. Vielleicht half es hier ein klein wenig. „ Lass mich einfach mit deinem auswendig gelernten Wissen aus irgendeinem Buch in Ruhe." Ganz falsche Richtung. Tim lernte gerade, dass es wirklich schwer war, mit solchen Kindern umzugehen. Beim ersten Mal hatte er echt nen Glückstreffer gehabt. „ Ich bin kein Psychologe. Eher Schüler, so wie die meisten von euch. Ich mach Fehler, falle und stehe wieder auf. Und wenn ich mal nicht mehr hoch komme, lasse ich mir auf die Beine helfen. Es ist wirklich keine Schande Hilfe anzunehmen." Um sich eine kurze Absicherung zu holen, warf er einen Blick zu dem Psychologen. Der nickte anerkennend und deutete ihm weiter zu reden. Bei anderen Problemen wäre er wahrscheinlich komplett aufgeschmissen gewesen und hätte keinen Plan, was er sagen sollte. Es war Glück, dass er genau in diesem Gebiet ein bisschen Erfahrung hatte. „ Hast du überhaupt n Plan, wie schwer es ist für jemanden wie mich ist, Hilfe anzunehmen?" Oh ja den hatte er. Eindeutig. „ Ich selbst hab dieses Problem nicht, aber ich kenne jemanden, der dieses Problem hat und ich konnte ihr helfen. Dadurch ging es ihr ein bisschen besser. Wieso machst du dir das Leben schwer? Hilfe anzunehmen ist einfach. Hör einfach auf dich dagegen zu wehren und lass andere an dich ran." Was anderes blieb ihm nicht übrig zu sagen. Entweder er nahm die Hilfe an, oder er ließ es bleiben und versank hier, bis er komplett am Boden war und nicht mehr alleine hoch kam. Das musste er jetzt selbst entscheiden. „ Ich will keine Hilfe. Ich komm klar." Oh ja. Jetzt vielleicht noch. Aber was war in ein paar Tagen, oder Wochen. Kam er da auch noch alleine klar? Wieso zierten sich Leute so Hilfe anzunehmen? Es war so was natürliches und einfach mal zu sagen, mir geht es nicht gut, ich kann nicht mehr. Schwächen zuzugeben war auch nicht unbedingt seine Stärke, aber er wusste um Hilfe zu fragen, wenn es sein musste. „ Wieso machst du es dir selbst so schwer?" „ Verschwinde einfach!", schrie der Junge zurück und war kurz davor in Tränen auszubrechen. „ Gut. Dann lass dir nicht helfen. Versauer hier drin, bis du komplett am Boden zerstört bist. Bis es nicht mehr alleine geht und du am Ende deiner Kräfte Hilfe annehmen musst, weil du sonst gar nicht mehr hoch kommst. Und der Weg von da unten wird wesentlich schwerer und schlimmer sein, als der Weg, den du jetzt gehen musst. Also überleg dir, was davon du wirklich willst." Stumm wurde ihm angezeigt, dass er stoppen sollte und das tat er auch. Wahrscheinlich war er gerade an eine Grenze angelangt, oder kurz davor was zu sagen, was er besser nicht sagen sollte. Vielleicht hatte er auch einfach den Punkt des für den Jungen erträglichen überschritten. Der Psychologe kannte ihn schließlich besser. Zum aller ersten Mal konnte er dem Jungen in die Augen sehen. Tränen glitzerten in seinen Augen und eine löste sich bereits und ran seine Wange hinunter. Er hatte definitiv einen Punkt überschritten. Schließlich hatte er nicht gewollt, dass der Junge zu weinen anfängt. Hoffentlich hatte er wenigstens eingesehen, dass Hilfe anzunehmen nichts schlimmes war. „ Verschwinde.", schluchzte der Junge und deutete auf die Tür. Als er zu Adrian sah, nickte dieser. „ Warte draußen. Ich komm gleich. Du hast nichts falsch gemacht.", flüsterte er so leise, dass nur er es verstehen konnte. Mit einem leicht unguten Gefühl ging er nach draußen und wartete dort. Er war froh, dass er aus psychologischer Sicht nichts falsch gemacht hatte, aber der sanfteste Weg war es jetzt nicht gewesen. Sicher hätte er was anders machen können, dass der Junge jetzt nicht so zerstört dort drin sitzen und heulen würde. Knappe zwanzig Minuten hockten er vor der Tür und wartete. Langsam bekam er das Gefühl, dass er doch irgendwas falsch gemacht hatte, oder aber das der Junge seine Worte überhaupt nicht gut verkraftet hatte. Hätte er doch bloß den Mund gehalten, wie es ihm gesagt worden war. Aber nein, er musste natürlich wieder alles schlimmer machen. Nach gefühlten Ewigkeiten wurde die Tür geöffnet und Adrian trat aus dem Zimmer. „ Entschuldige. Ich wusste nicht, wie schlimm es ein paar Worte machen können. Ich dachte." „ Tim es ist alles in Ordnung. Du hast nichts falsch gemacht oder gesagt. Ich hab dir gesagt, er ist sehr empfindlich. Aber du hast das gut gemacht. Klar er hat noch ne Weile geheult und es ging ihm schlecht, aber er hat sich alles von der Seele geredet und das wollte ich erreichen. Er schläft jetzt friedlich."

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