Orphan-Stexpert

Kapitel 16- Körpersprache lesen

Erleichtert atmete Tim durch. Er hatte es nicht schlimmer gemacht. Das war gut. Er hatte echt Angst gehabt, irgendwas schlimmer zu machen. Scheinbar hatte er Glück gehabt. „ Ich möchte das gerne bei dir n bisschen in nen Rahmen bringen. Das du einfach ein paar Tricks kennst. Brauchen tut man es normal selten, aber selbst wenn du einmal in deinem Leben wem helfen kannst, ist das schon ein Erfolg." Das hatte er eigentlich erwartet. Sowas sollte man eigentlich auch vorher machen und nicht es einfach mal drauf ankommen lassen bei einem labilen Jungen. Wahrscheinlich wäre er grober gebremst worden, wenn er was falsches gesagt hätte. Adrian setzte sich mit ihm in ein leeres Zimmer auf eine recht bequeme Couch. „ Also das wichtigste ist auf das Verhalten zu achten. Verbal, nonverbal und paraverbal. Achte auf das, was gesagt wird. Ebenso auf den Unterton, mit dem gesprochen wird. Der kann mehr verraten, als alles was gesagt wird. Am aller wichtigsten ist die Körpersprache. Du musst Menschen lesen können, ihre Haltung interpretieren und darauf reagiere. Versuch das ganze als Cluster zu sehen. Du darfst nie einen Faktor alleine betrachten. Betrachte alles zusammen. Sonst liegst du falsch und machst alles vielleicht noch schlimmer. Für ein bestimmtes Signal gibt es mehrere Wege es zu interpretieren. Ist dir jemand abgewandt, hat er keine Lust zu reden. Oder er ist mit etwas anderem beschäftigt und kann sich gerade nicht zu dir drehen. Mit dir reden will er vielleicht trotzdem. Verstehst du, was ich meine?" Recht gut sogar. Wahrscheinlich erklärte er es auch extra für Anfänger, die null Ahnung hatten. Er merkte allerdings, dass es nicht gerade einfach war. Psychologie war verdammt kompliziert. Er müsste da einiges lernen und das bekam er wohl nie in den Kopf. „ Hier ich hab dir mal n Blatt, dass du n paar der wichtigsten Bedeutungen von Körpersprache lernen kannst. Ich weiß Arbeitsblätter und lesen ist bei Schülern nie so beliebt, aber so kannst du bei Gesprächen ein bisschen mitwirken. Ansonsten gib den Kindern einfach Hoffnung. Aber bitte nur welche, die du halten kannst. Falsche Hoffnung zerstört die Kinder eher. Ist n bisschen viel, ich weiß. Tut mir leid, aber ich muss noch n Protokoll schreiben und du sollst hier ja n bisschen was lernen." Er hatte ehrlich nicht erwartet, dass er hier sitzen und Arbeitsblätter lesen würde, doch das tat er in aller Ruhe. So schlimm war es nicht mal. Der Text war knapp und informativ und er konnte dabei echt noch was fürs Leben lernen. Das machte auch einen klaren Unterschied zu den langweiligen und viel zu langen Texten aus der Schule, wo eh nichts sinnvolles drin stand. In deutsch schlief er meist ein, wenn er irgendwelche Interpretationen lesen musste. Oder die Deutschbücher erst. Gott er musste sich jedes Mal aufs Neue quälen, eines dieser Bücher in seiner Freizeit zu lesen. Sonst verstand man aber nichts und in der Klausur versagte man trotz Zusammenfassung auf ganzer Linie. Er laß die Seiten aufmerksam und versuchte sich so viel es ging davon zu merken. Da er sich die letzten Wochen mal nicht so viel merken musste, blieb beim ersten lesen sehr viel hängen. An sich würde er das Blatt gerne mitnehmen. Dann und wann war das ein oder andere davon recht sinnvoll. „ Bist du soweit durch? Ich glaub du willst dir so n Protokoll nicht unbedingt antun. Wir machen jetzt ne kurze Frühstückspause und dann gehen wir zu einem kleinen Mädchen. Sie hat gerade ne leicht Down Phase. Bei ihr lass ich dich mal ran. Sie braucht einfach jemanden, der mit ihr Spiele spielt und sie ein bisschen aufheitert. Sie kann schwer auf Leute zugehen und andere gehen selten auf sie zu. Sie ist leicht zu begeistern und erfreut sich an den einfachen Dingen. Sei einfach so wie heute Morgen. Frei und unbeschwert. Ich lass dich auch alleine, wenn du dich vor mir nicht lächerlich machen kannst." Naja so ein bisschen ging schon. Wenn er mit der kleinen aber nur Spiele spielen sollte, gab es ja kleine große Möglichkeit sich lächerlich zu machen. „ Kann ich das Protokoll vielleicht kurz überfliegen? Mich würd das interessieren. Danach können wir Pause machen. Und dann geh ich mich vor der kleinen lächerlich machen." Adrian bekam große Augen, als er hörte, dass er freiwillig was lesen konnte. Wenn ihm was interessierte, konnte er schon mal was lesen. Klar seine Lieblingsbeschäftigung war es nicht, aber es gehörte ab und zu mal dazu. Damit unterschied er sich wohl von den meisten in seiner Klasse. Da las so gut wie niemand freiwillig und selbst gezwungen im Unterricht las nicht jeder. Wie manche da nich gute Noten bekommen konnten, war ihm ein Rätsel. Mache lasen ja nicht mal irgendwelche Texte, die neue Themen erklärten. Ihm wurde der handgeschriebene Text zugeschoben, der gerade mal eine Dreiviertel Seite lang war. Tim fokussierte sich auf den Text und las die paar Zeilen sorgfältig. Es waren nur zusammengefasste Gedanken und ein paar lose Strichpunkte zu dem, was der Junge gesagt hatte. Scheinbar reichte sowas aber schon. Wort für Wort Protokolle waren eh so gut wie unmöglich. Er schob das Protokoll nach dem lesen zurück, inklusive des Textes zu Körpersprache. „ Das kannst du behalten, wenn du möchtest. Von den Blättern hab ich noch n paar. Außerdem sahst du so aus, als ob es dich interessiert hätte." Tim faltete das Blatt mehrmals in der Mitte, bevor er es in seine Hosentasche steckte. Über ein paar Ecken und Zimmer landeten sie plötzlich in der Küche, wo sie sich an den Resten des Frühstück bedienten. Je länger er sich mit Adrian unterhielt, desto lockerer wurde er im Umgang mit ihm. Sie unterhielten sich über alles und nichts. Schließlich kamen sie dann aber zurück auf ein ernsteres Thema. Und das war seine Hemmung sich bei anderen Fallen zu lassen und einfach Spaß zu haben. Natürlich konnte er den ein oder anderen psychologischen Rat dabei nicht auslassen. War wohl sowas wie ne Berufskrankheit. Aber er nahm es sich zu Herzen und würde es zumindest mal ausprobieren. Vielleicht half es ihm ja ein bisschen. Das er zumindest mal nicht all zu verklemmt war und ein bisschen was an Spaß mitmachen konnte.