Kapitel 52

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Nachdem ich nichts mehr essen konnte, lege ich mich auf den Rücken. "Wir gehen morgen ins Gruselhaus", erinnere ich die Jungs. "Mann, nö!", meckert Ramazan. Ich freue mich schon so sehr darauf. Zwar habe ich morgen bestimmt selber Angst, aber anderen zuzusehen, wie sie sich erschrecken, ist um einiges amüsanter. "Ramazan, dir passiert schon nichts", sagt Malik. "Schlag doch einfach zu, falls dich jemand angreifen will", schlage ich vor. Ramazan schaut mich verdutz an. "Ich bin kein Schläger-Typ. Ich bin ein Pazifist." Er macht mit beiden Händen das Peace-Zeichen. "Natürlich bist du das." Ich verdrehe meine Augen. "Nicht jeder ist so aggressiv, wie du", zieht mich Malik auf. "Doch, Can." Wir schauen Ramazan mit einem leicht entgeisterten Blick an. Zudem kriegt er von mir noch einen Schlag auf den Rücken. "Aua, du Monster!" Ramazan massiert kurz die Stelle, an der ich ihn angeblich verletzt habe. "Shana, du kommst gar nicht so wild rüber", meint Malik. Ich schaue ihn fragend an. "Ich meine, dass du jemanden schlagen würdest." "Sie? Natürlich sieht sie so aus. Sie ist ein Bär", kommentiert Ramazan und kassiert wieder einen Schlag auf den Rücken. "Ehrlich?", hake ich nach. "Ja, vor allem deine kleinen Hände", sagt Can lachend. Can lacht! Das ich das noch miterlebe! "Diese Hände können vieles bewirken", sage ich angeberisch. "Mal sehen, ob sie gegen mich ankommen." Can schaut mich herausfordernd an. "Was hast du vor?", frage ich etwas misstrauisch. "Armdrücken", meint er grinsend. Ich schaue ihn entrüstet an. "Hast du mich einmal mit dir verglichen? Da liegen Welten dazwischen." Dabei zeige ich zwischen uns beiden hin und her. Der Typ wird mir den Arm brechen. "Komm schon! Ich benutze auch die linke Hand", bietet Can mir an, woraufhin er kurz sein Gesicht verzieht. Er wirkt zögernd - warum auch immer. "Aber ich muss die Linke benutzen", murmele ich und schürze die Lippen. Ich bin noch von seiner Kontaktfreudigkeit überrascht. "Dann benutze ich nur meine halbe Kraft." Ich nicke und stelle meinen Ellenbogen auf den Tisch. "Ich setze fünfzig Euro auf Shana!" Ramazan nimmt uns auf. Can streckt seine große Hand aus und greift nach meiner. Mal wieder lacht er, wegen der Größenunterschiede. "Drei, zwei, eins! Beginnt!", startet Malik. Ich nehme sofort meine rechte Hand zur Hilfe, damit ich seine Hand runterdrücken kann, was mir in binnen von Sekunden gelingt. Malik, Ramazan und ich jubeln und lachen Can aus, der mich überrascht anschaut. "Tja, ich weiß, wie ich gewinne", sage ich triumphierend. "Wo sind meine fünfzig Euro?" , fragt Ramazan gespielt zickig und stemmt seine Hand auf seine Hüfte. Malik schlägt ihm auf den Hinterkopf, was Ramazan entsetzt gucken lässt. "Da hast du deine fünfzig Euro."

Irgendwann kommen auch Viyan und Saliha dazu. "Was wollt ihr jetzt gegen sie machen?", fragt Malik und zeigt mit dem Kopf zur Wand, die deren Zimmer von unserem trennt. "Keine Ahnung" , seufze ich augenverdrehend. "Aber echt krass, was sie abgezogen hat", murmelt Ramazan. "Macht dich das nicht traurig, Shana?", fragt Malik mich, was mich kurz verächtlich auflachen lässt. "Nein", antworte ich, als wäre es etwas Selbstverständliches. "Wieso?" Malik schaut fragend. "Das Mädchen hat kein Herz", antwortet Saliha für mich in einem vielsagendem Ton. Ich hab ihr einmal erzählt, dass ich nicht traurig wäre oder weinen würde, falls wir nicht mehr befreundet wären. Mir würde es egal sein. Dabei muss man bedenken, dass wir uns über zehn Jahre kennen. "Ich kann deswegen nicht traurig sein. Wenn es vorbei ist, dann ist es vorbei. Ich weine oder renne einer Person doch nicht nach", sage ich in einem bitterem Ton. "Hast du überhaupt eine Schwäche?", fragt Ramazan mich jetzt. Ich überlege kurz. "Ich weiß es nicht. Bis jetzt habe ich keine." Es herrscht jetzt Stille. Eine nachdenkliche Stille. "Lasst uns was machen", schlage ich vor und durchbreche somit die Stille. Ich will nicht, dass es so still ist. "Schlag was vor", sagt Saliha. "Verstecken spielen." Manche würden es als kindisch bezeichnen, aber solche Menschen sehe ich als verklemmt. "Aber im dunkeln", füge ich schmunzelnd hinzu. Das Zimmer ist groß genug und hat viele Orte, an denen man sich gut verstecken kann. "Bin's nicht!", schreit Ramazan und tut seine Hand in die Mitte. Sofort schnellt meine Hand ebenfalls mit demselben Ausruf in die Mitte. Das geht so weiter, bis Viyans Hand als letzte aufschlägt. Sie steht im Flur. Solange suchen wir uns jeweils einen Platz, an dem wir gut versteckt sind. Außerdem ist das Licht aus und die Gardienen vor die Fenster geschoben worden. Bevor ich mir ein Versteck suche, baue ich auf Ramazans Bett eine Art schlafende Person auf. Ich lege einfach einige Kissen unter die Decke tun und fertig ist es auch schon. Auch, wenn man es nicht sehen wird, vielleicht erkennt sie ja die Silhouette. Obwohl, Viyan ist so dumm, sie würde es nicht mal erkennen, wenn das Licht an wäre. Na ja, egal. Während fast alle schon ihren Platz gefunden haben, suche ich immer noch. "55! 56...", zählt Viyan draußen, sodass ich etwas hysterisch werde. "Scheiße!", flüstere ich und schmeiße einfach alle Kleidungstücke auf mich, sodass ich wie ein Berg aussehe. Wenigstens bin ich von einem gut riechenden Duft umgeben. Es ist zwar nicht der von Can, aber es riecht trotzdem gut. Man hört Viyans Schritte. "Oha, wieso habt ihr euch so gut versteckt?" Eine Antwort kriegt sie aber nicht. Sie sucht, aber findet niemanden. Sie kommt und bleibt vor mir stehen. Ich bete, dass sie mich nicht entdeckt und siehe da! Die Idiotin läuft an mir vorbei. Ramazan macht leise Tiergeräusche, sodass Viyan sich wieder umdreht. "Mach das nochmal." Schon wieder gibt es keine Rückmeldung. Sie läuft weiter und stößt an etwas. Ich glaube es ist der Tisch. Sie stöhnt auf, was mich zum Lachen bringt, ich es aber gekonnt unterdrücke. "Scheiße!" Man hört aus den anderen Ecken noch einige Lachen. "Ramazan du bist im Schrank!", sagt Viyan. "Oh Mann!", murrt er und kommt aus dem Schrank raus. Das Licht wird angeschaltet und sofort kommen alle aus ihrem Versteck raus. "Ich schwöre, ich wusste, dass du da bist!", ruft Viyan und zeigt auf mich. Malik kommt ebenfalls aus dem Schrank, aus dem Ramazan kam. Saliha hat sich auf das Hochbett gelegt, was eigentlich Maliks Schlafplatz ist. Dadrunter schläft Ramazan. Und Can kriecht unter seinem Bett hervor. Als Ramazan raus geht, geht alles wieder von vorne los. Ich verstecke mich schnell im Schrank. Danach wird die Schranktür wieder aufgemacht. Am Geruch erkenne ich, dass es sich um Can handelt. "Was suchst du hier?", flüstere ich. "Ich verstecke mich", antwortet Can. "Rutsch etwas", fordert er. "Wie denn? Guck mal wie klein es hier ist.", zische ich und zeige um mich herum, obwohl er es nicht sehen kann. Statt zu antworten breitet er sich aus. "Willst du, dass ich ersticke?", keife ich flüsternd. "Nein", antwortet er sarkastisch, weswegen ich empört die Luft einziehe. Ich lehne meinen Rücken gegen die seitliche Schrankwand und quetsche ein Bein zwischen Cans Rücken. Das andere Bein lege ich auf seinen Schoß. Was er kann, kann ich schon lange. Als Can meine Beine ertastet, lacht er kurz auf, stellt sich zwischen meine Beine und stellt seine Ellenbogen neben meinem Kopf ab, da seine Hände zu groß wären. "Was zum-," Er legt seine Hand auf meinen Mund. Ich spüre wie er mir näher kommt. Heilige Scheiße! Warum musste ich das auch tun? Also mir gefällt es, hehe. "Bereit oder nicht, ich komme!", ruft Ramazan. "Du scheinst bereit zu sein.", raunt mir Can neckend zu. Ich haue meinem Oberschenkel gegen seinen, doch es scheint ihm nichts auszumachen. Ich würde ja gerne etwas sagen, aber erstens: ist seine Hand auf meinem Mund und zweites: würden die anderen es hören, und ich will nicht, dass sie mitbekommen, dass Can zwischen meinen Beinen ist. Gott, wie sich das anhört. Ich versuche ihn mit meinen Händen wegzudrücken, doch dieser Junge hat wohl andere Pläne. Er kitzelt mich. Ich versuche nicht aufzuschreien. Ich rüttele und winde mich. "Junge, wo seid ihr?", fragt Ramazan in der Zwischenzeit. Ich beiße in Cans Hand und bin endlich befreit von seiner Kitzelattacke. "Oh, yeah!", stöhnt Ramazan, was mich zum kichern bringt. "Can, Malik, gebt es mir!", ruft Ramazan stöhnend. Ich höre Salihas Lache und auch wie Can neben mir sich das Lachen verkneift. "Ich... ich komme!", ruft er wieder stöhnend. "Hab ich euch!" Plötzlich gehen beide Schranktüren auf. Meine Beine ziehe ich sofort an mich und tu so, als ob nichts passiert wäre. Zum Glück ist es dunkel! Ramazan macht kurz das Licht an und kommt wieder zu uns. Er sieht uns etwas verdutzt an, was ich auch verstehen kann. "Macht Schnick, Schnack, Schnuck. Wer verliert muss raus." Wir kommen aus dem Schrank raus und fangen an. Beim ersten Mal haben Can und ich Schere, beim zweiten Mal haben wir beide Papier. Da ich mir sicher bin, dass er jetzt Stein nimmt, nehme ich Papier und gewinne.

Wir spielen noch weitere vier Runden, bis wir keine Lust mehr haben. "Wie viel Uhr haben wir?", fragt Viyan. "22:43 Uhr.", antwortet Can. "Scheiße, wir müssten schon auf unserem Zimmer sein!", sagt Saliha. Da Aleyna und ihre Hündinnen bei diesem ekelhaften Hakan mit Alkohol erwischt wurden, dürfen wir nur noch bis 22:00 Uhr bei anderen bleiben. Jetzt machen die Lehrer Aufsicht, indem sie die ganze Zeit hier herumlaufen. "Dann lasst uns gehen." Ich stehe auf. Wir laufen in unser Zimmer zurück, und kurz bevor ich die Tür schließe bemerke ich, dass ich mein Handy drüben vergessen habe. "Ich komm gleich, ich hab mein Handy vergessen." Ich öffne das Zimmer der Jungen und gehe rein. "Mein Handy liegt hier irgendwo", flüstere ich und suche mein Handy. Ich verliere dieses Ding immer. Beim Suchen höre ich ein Klopfen. "Jungs? Dürfte ich kurz rein?" Ich erkenne Herr Jakubecks Stimme und schaue sofort zu den Jungs. "Macht das Licht aus", flüstere ich und schmeiße ich sofort auf Cans Bett. Ich dränge mich so weit, wie es geht in die Ecke und lege die Decke auf mich. Danach spüre ich, wie die Matratze runter geht. Och ne. Wieso bin ich nicht unter das Bett gekrabbelt?! "Ja?", sagt Malik und hält hoffentlich die Tür so weit wie möglich geschlossen. "Ich habe Mädchenstimmen gehört." Scheiße! Ich mache mich noch kleiner und spüre, wie Can mir näher kommt. Er macht es nur, um mich zu verstecken. Das rede ich mir zumindest ein. "Ja, jemand hat hier was vergessen, aber jetzt sind alle wieder weg", lügt Malik. "Dürfte ich mal rein?" Verflucht seist du, Aleyna! Das Licht wird angemacht und Can drückt mich noch mehr an sich. Ich bin unter der Decke, sein Kopf und seine Arme gucken raus. Er nimmt mich in den Arm, damit es so aussieht, als ob er die Decke festhält. "Schläft Can schon?", fragt Herr Jakubeck. Nein, er tut nur so! Und diesmal ist es nicht ironisch gemeint. "Ja, er ist sehr erschöpft", lügt Ramazan. "Jungs, ich will euch etwas sagen." Kann das nicht warten? Can legt jetzt ein Bein um mich, welches ich wegschlagen will, es aber nichts bringt, also kneife ich ihn, was ihn dazu veranlagt, mich ganz an sich zu ziehen. Und wenn ich ganz meine, dann meine ich es auch so. Es ist so verdammt warm. Mein Gesicht ist an seine Brust gepresst. Sie duftet herrlich. Da er mich so plötzlich an sich gezogen habe, konnte ich mir ein auf Quicken nicht unterdrücken. "Was war das?", fragt Herr Jakubeck. Lasst euch bloß etwas einfallen! "Can hat Blähungen. Er hat heute scharfes gegessen", sagt Ramazan in einem mitfühlenden Ton. Ich liebe diesen Jungen so sehr! Ich kann nicht anders als zu lachen, aber presse meine Hand auf meinen Mund pressen. "Der Arme muss ja ganz schön viel gegessen haben." Anscheinend denkt Herr Jakubeck, dass mein unterdrücktes Lachen die Magengeräusche von Can sind. "Ja, aber was soll's. Worum geht's?", wechselt Malik das Thema. Ich höre und spüre, wie sich jemand auf das Bett setzt. "Ich wollte euch nur sagen, dass, falls ihr eine Beziehung mit einer der Mädchen aus der Stufe habt, dann bleibt während der Klassenfahrt abstinent was sexuelle Dinge angeht. Ihr habt das bestimmt mit Aleyna mitbekommen. Wir wollen einfach nicht, dass es zu ungewollten Schwangerschaften kommt", erzähl er. Kann er das nicht morgen sagen? Ich sterbe wegen der Hitze hier! "Wir verstehen Sie. Machen Sie sich keine Sorgen, sowas machen wir nicht", beteuert Ramazan. "Gut, dann wünsche ich euch eine gute Nacht." Die Jungs wünschen ihm ebenfalls eine gute Nacht. Danach höre ich, wie die Tür auf und zu geht. "Das ist niemals passiert!", flüstere ich bissig, als ich aus der Decke schlüpfe, nachdem ich sichergegangen bin, dass der Lehrer außer Reichweite ist. Mir kleben die Haare im Gesicht. "Natürlich", beteuert Can sarkastisch und lacht dann. Der Junge lacht mir zu viel. "Was soll ich jetzt machen?", frage ich immer noch wispernd. "Also jetzt kannst du nicht weg, bis in einigen Stunden vielleicht, aber da du mich eh liebst, bleibst du liebend gerne", grinst Ramazan. Ich verdrehe schmunzelnd die Augen. "Das war gerade eben sehr knapp", meint Malik. "Aber die Blähungen von Can haben ja alles gerettet", sagt Ramazan schalkhaft, was mich zum Lachen bringt. Ich konnte mich gerade mal so beherrschen, als ich unter der Decke war. Das werde ich niemals vergessen. Mir gefällt es bis jetzt hier in Berlin. Es ist so erlebnisreich.

ArroganzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt