Kapitel 70

62.6K 2.1K 211
                                    

Freitag, 14. Juli

Über Can bin ich schon längst weg, meine Freundinnen leider nicht. Jedes Mal haben sie versucht mich zu überreden, mit ihm zu reden, aber wieso sollte ich? So schlimm waren sie nicht einmal, als ich ihnen erzählt habe, dass ich dieses Jahr meinen Geburtstag nicht feiern will. Es war doch meine Entscheidung, dass ich ihm aus dem Weg gehe und an ihr ändere ich nichts. Außerdem hat Can es anscheinend auch akzeptiert, denn er ist mir nicht hinterhergelaufen. Stattdessen sehe ich ihn wirklich fast immer mit einem anderen Mädchen - inklusive Aleyna. Soll er machen, was er will! Bindung, pff! Ich finde, dass das einfach nur ein paar Situationen waren, die ungewöhnlich waren, aber ob das direkt bedeutet, dass es da eine Bindung zwischen uns gibt? Es war lediglich ein Spiel für ihn. Ein Spiel, welches er nicht gewonnen hat, da es von mir beendet wurde. Habe ich damit gewonnen? Oder hatte ich einfach das Sagen in diesem Moment? Ich habe mich durchgesetzt und ihm gezeigt, dass ich nicht abhängig von ihm bin, dass ich mich nicht habe suggerieren lassen. Dass er denkt, dass ich wie seine Eroberungen bin, liegt glaube ich daran, dass er es nicht wahr haben will, dass ich eben nicht so bin. Entweder das oder er hat eine Behinderung, anders kann ich es mir nicht erklären. Aber jetzt genug von Can. Gerade mache ich meine Tasche zu und warte dann auf Ramazan. Wir haben all unsere Klausuren durch und warten sehnlichst auf unser Zeugnis und die Ferien natürlich! "Wartet da jemand auf mich?", grinst Ramazan. "Nicht. dass ich wüsste", meine ich in einem süffisanten Ton und verlasse den Biologie Raum. "Wir können deinen Geburtstag immer noch nach feiern." Mit einem Killerblick schaue ich ihn an, was ihn verstummen lässt. "Sollen wir Wassereis kaufen?", quietscht er, wie ein 8-Jähriges Mädchen. "Aber ganz viele in blau und dunkelrot!" Sofort machen wir uns auf den Weg zum nächstliegenden Kiosk und streiten uns, wer den Haufen Wassereis und anderen Kram bezahlen darf. "Ich bezahle!", keife ich. "Nein, ich", sagt Ramazan zickig. "Es heißt Ladys First", motze ich. "Ja, also ich!" Mit seinem Geld schwingt er vor der Nase des Besitzers her, der überfordert erscheint. "Kommen Sie. Sie wollen es doch auch", raunt Ramazan verführerisch dem gefühlt fünfzigjährigen zu. "Du willst ernsthaft einen älteren Mann verführen?", kommt es entgeistert von mir. "Tolerierst du etwa meine Bi-Sexualität nicht?" Er schaut mich empört an und schaut danach wieder zum Kioskinhaber. "Nehmen Sie lieber Geld von jemanden, der alle Menschen so akzeptiert, wie sie sind", sagt er nun sanft und kassiert einen Schlag auf seinen Rücken von mir. "Bitte, sie hält mich gefangen! Sie müssen mein Geld annehmen, sonst kriege ich nichts zu Essen", flüstert er theatralisch. "Hören Sie nicht auf diesen gestörten Jungen!" "Sehen Sie? Jedes Mal werde ich erniedrigt!" Er macht mit seiner dramatischen Vorstellung weiter und fährt sich seufzend durch die Haare. Ich schubse ihn zur Seite und klatsche mein Geld auf den Tresen. "Nehmen Sie es!", befehle ich ernst. "Nehmen Sie das Geld der Guten", mischt sich Ramazan wieder mit einer sanften Stimme ein. Immer noch überfordert schaut der Besitzer zwischen uns hin und her, bis er Ramazans Geld annimmt. Mit einem triumphierenden Lächeln nimmt Ramazan die Tüte mit den ganzen Sachen, die ich eigentlich bezahlen wollte und marschiert mit wachelndem Hintern raus. "Willst du blau oder lieber dunkelrot?" Ich verschränke beleidigt die Arme vor der Brust. "Also blau", flötet er und reicht mir ein blaues Wassereis. "Ich kann kein Wassereis öffnen." "Du kannst das nicht?", fragt er leicht grinsend. "Nein", murmele ich und sehe zu, wie Ramazan den zugeschweißten Plastikrand mit seinen Zähnen abreißt.

"Also, Shana! Weswegen habt ihr euch wieder gestritten?" Ich schaue ihn stirnrunzelnd an. "Du und Can." Er schaut mich mit einem warmen Lächeln an. "Wir haben uns nicht gestritten, wir gehen uns nur aus dem Weg", sage ich lapidar und esse mein Wassereis. "Ach ja? Und was war der Grund?" Ein bisschen unangenehm fühle ich mich schon dabei, einfach weil Ramazan ein Junge ist, aber er ist mein bester Freund. "Also Can hat etwas von einem Jungen gehört und hat mit mir zwei Tage danach gesprochen und da hatten wir eine kleine Diskussion und dann kam es halt dazu", erzähle ich leicht schüchtern. Ramazan schaut mich unbeeindruckt an und zwingt mich so, ihm alles detailliert zu erzählen. "Ah! Jetzt verstehe ich." Wir setzen uns auf eine Treppe und legen unsere Sachen ab. "Wieso sprichst du mich jetzt überhaupt drauf an?", frage ich, nehme das nächste Eis und halte es Ramazan hin, damit er es für mich aufmacht. "Ich dachte erstmal, es wäre wieder eine Kleinigkeit, weswegen gestritten wurde, doch dann hat es sich mehrere Monate überzogen und da Can sagen würde, dass nichts war, außer Streit, bin ich jetzt bei dir", erzählt er grinsend. "Denkst du, dass die Wette dann noch läuft?" "Ja. Wenn es um Wetten geht, dann bricht Can niemals die Wette ab", sagt Ramazan und nimmt sich ein dunkelrotes Wassereis. "Na toll!", seufze ich. "Genug von Can. Ich bin wichtiger." Ramazan rekelt sich. "Dann fang mal an." "Also ich hab da so ein Mädchen kennengelernt", setzt er an und grinst vor sich hin, während ich meine Augen verdrehe. "Und weiter?" "Also das Mädchen heißt Irem und hat einen echt guten Körper. Jedenfalls waren wir draußen und dann hat meine Mama uns erwischt." Seine Stimme wandert von schelmisch zu mürrisch. "Und dann?", frage ich grinsend. "Ich habe zu Hause Ärger bekommen. Meine Mama hat mich mit ihren Latschen abgeworfen. Ich könnte gerade so noch fliehen! Aber zum Glück konnte ich sie überzeugen meinem Vater nichts zu sagen." "Ach, deine Eltern wissen nichts von deinem Player-Image?", frage ich überrascht. "Doch, na ja. Meine Mutter weiß es. Trotzdem will sie es nicht sehen." Mein Grinsen verfliegt nicht. "Ihr seid solche Player und trotzdem seid ihr das Gegenteil vor euren Eltern." Er schaut mich an und runzelt die Stirn. "Wir?", hake ich nach. "Can auch." Jetzt fällt mir auf, was ich gesagt habe. Oh nein. "Seine Eltern also?" Beschämt schaue ich auf die Stufen. "Schönes Wetter oder?" "Shanaaa", trällert er und stupst mich an. "Wir mussten doch diese Bio-Hausarbeit schreiben. Da war ich halt bei ihm, nach langer Diskussion natürlich! Da habe ich auch seine ganze Familie kennengelernt. Der erste Tag war nicht so prickelnd", erzähle ich und erinnere mich wieder an die Szene, wo die Mutter und Schwester dachten, ich sei Cans zukünftige Frau. "Das habe ich mitbekommen. Soll ich dich jetzt Schwägerin nennen?" Er beißt sich schalkhaft auf die Unterlippe, während ich ihn entgeistert anschaue. "Gott! Niemals werde ich Cans Frau!", versichere ich und halte ihn mein nächstes Eis hin. "Also ich finde Can sexy", schwärmt er. "Er hat einen tollen Körper", schnurrt er. "Lang. Ein Teil ganz besonders." Ich spüre, wie sich mein Körper erhitzt und schaue zu, wie Ramazan langsam das Wassereis in seinen Mund steckt. Ach, Ramazan, du gestörter Kauz. "Ihr wärt ein süßes Paar." "Ehrlich?", quietscht er und hält sich seine Hände an seine Wangen. "Ja." Nun seufzt er theatralisch. "Du stehst uns im Weg", sagt er jetzt arrogant. Was? "Ich?" Ich schaue ihn ungläubig an. "Ja, er wollte mit dir die Kraftübungen und die Hausarbeit machen, nicht mit mir." Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Natürlich macht er Spaß, trotzdem kann ich mich jetzt nicht rechtfertigen. "Shana, euch wird noch vieles passieren." Er reicht mir ein Bananen-Bonbon und isst dann selber eins. "Ich dachte, wir reden nicht mehr über Can." "Okay. Ich hab da noch ein Mädchen kennenge-," "Ramazan!" Warnend schaue ich ihn an, worauf er abwehrend die Hände hebt. "Stehst du immer noch auf Peitschen und den anderen Kram?" "Ramazan, ich stehe nicht auf Peitschen!" Er schaut mich schmunzelnd an, welches sich rasch in ein perverses Grinsen umwandelt. "Wenn du willst, kannst du mich ruhig peitschen." Ich seufze resigniert, da es nicht bringen wird, ihm diese Ideen auszureden. "Danke", sage ich einfach nur und esse einige Bonbons. "Sollen wir Can eifersüchtig machen?" Ich schaue ihn mit einem kritischen Blick an, während er sein Grinsen nicht verliert. "Wenn du und Viyan es mit einer imaginären Person macht, wieso dann nicht mit einer hübschen und dazu noch echten Person?" "Ihr seid doch alle verrückt", murmele ich. Er zückt sein Handy und geht auf Snapchat. Nun zieht er mich ganz nah an sich ran und schießt Bilder mit Grimassen. "Schick mir die Bilder." "Damit du meine Schönheit immer parat hast?" Ich nicke lächelnd. "Mal sehen, was Can denken wird", murmelt er schadenfroh. "Hatten du und Can schon Mal Streit oder du und Malik?" "Malik ist keiner, der sich freiwillig streitet. Er ist der Süße, Ruhige von uns. Also wenn wir uns mal gestritten haben, dann sind es nur kleine Diskussionen, denn Can ist einer, der seine Freunde sehr wertschätzt. Er ist einer, der alles für jemanden tun würde, wenn er diese Person sehr mag", erzählt er und schaut in den Himmel. Das, was Ramazan mir erzählt, kann ich nur glauben, denn ich weiß, dass er sich für die einsetzt, die er mag.

Ob er es deswegen auch bei mir gemacht hat? Oder hat er sich dazu verpflichtet gefühlt, weil ich ein Mädchen bin oder einfach, weil er Cihan hasst? ''Auch bei dir.'' Ich drehe meinen Kopf zu Ramazan. ''Ihr Mädchen seid nicht die Einzigen, die über verrückte Ereignisse reden. Das machen wir auch'', informiert er mich und schmeißt seine nicht vorhandenen, langen Haare über seine Schulter. ''Ich hab dir doch schon mal gesagt, dass Cans Grund fast immer du warst, falls er sauer war. Seitdem fragen Malik und ich ihn immer, da ihr ein sehr interessantes Thema seid.'' ''Und er erzählt es euch auch?'', frage ich schon fast ungläubig und spüre wie ein Schauer meinen Rücken herunterläuft. ''Jap.'' Das ist komisch. ''Es ist nur eine Phase. Bald werdet ihr wieder reden.'' Ich lehne mich an seine Schulter an und atme tief ein. ''Ouh, Can hat auch mal geantwortet.'' Er klingt schadenfroh und öffnet die Nachricht, in der steht, dass sie noch reden werden. ''Das heißt nichts Gutes", murmele ich. ''Ach, mach dir keine Sorgen, mein Baby würde mir nie etwas tun. Na ja, außer die Sache in Berlin.'' Jetzt guckt er wieder beschämt. ''Ramazan, vergiss es!'', gifte ich ihn an. ''Okay, diesmal reden wir wirklich nicht mehr über Can'', verspricht er mir. ''Dann leg mal los.'' ''Wie geht es dir so?'' Ich schaue ihn leicht lächelnd an. ''Gut und dir?'' ''Blendend. Sicher, dass du deinen Geburtstag nicht feiern möchtest?'' ''Zu sicher.'' Er schürzt die Lippen und erzählt weiter. ''Ich dachte, du wärst ein richtiges Party-Girl, aber nein. Unsere Shana liest gerne Bücher und lernt, damit sie Medizin studieren kann, zudem ist sie ein Bad-Girl und schlägt andere Mädchen'', scherzt er. ''Ich dachte erstmal, dass du schon deine erste Beziehung hattest und auch Shisha rauchen tust'', gesteht er, weswegen ich ihn entgeistert anschaue. ''Danke?'' ''Nicht der Rede wert.'' Sein signifikantes Grinsen behält er immer noch. ''Also, als ich dich das erste Mal gesehen habe, wusste ich, dass du ein Player bist.'' Nun schaut er mich verdutzt an. ''Schau mich nicht so an. Du hast mit einem anderen Mädchen rumgemacht und mich dabei noch angeguckt. Was soll ich da denken?'' Ramazan schmollt leicht. ''Aber, als du mit mir geredet hast, hab ich dich mehr und mehr gemocht.'' Nun lächelt er stolz. ''Wie kann man so etwas Geiles denn auch nicht mögen?'' Er fährt sich über seinen Bauch und schaut mich dabei schalkhaft an. ''Willst du immer noch Bio- und Chemielehrer werden?'', frage ich interessiert. ''Neurowissenschaft oder Biochemie wären auch geil. Ich weiß nicht.'' ''Was ist mit Medizinisch-Biologischer Chemie?'' Ich wackele mit meinen Augenbrauen und schaue ihn abwartend an. ''Damit ich schlauer und hübscher Mann dir helfen kann?'' ''Natürlich.'' Er grübelt kurz und holt ein leicht geschmolzenes Wassereis raus. ''Wäre auch gut. Dann wäre ich ein sexy Student. Hoffentlich rennen mir ganz viele Mädchen hinterher.'' Kurz danach räuspert er sich. ''Ich meine damit, dass ich dann unter all diesen Mädchen meine zukünftige Liebe finde'', beteuert er. ''Sowie Cans Mama es auch gemacht hat'', scherzt er und beißt sich auf die Zunge. ''Ramazan!'' Ich schlage ihm schmunzelnd auf den Oberarm. ''Härter'', schnurrt er und leckt über sein Eis. ''Ich glaube, ich sollte gehen.'' ''Verlass mich nicht.'' Nun ist Ramazan ein Bollywood-Schauspieler, so dramatisch, wie er sich benimmt. ''Rahul, ich muss gehen.'' ''Ich bin nicht Rahul! Ich bin Anjali!'', zickt er und verschränkt seine Arme vor der Brust. ''Verzeih mir, mein Herz.'' Er grinst, aber versteckt es vor mir. ''Lass uns Yum-Yum essen'', schlägt er vor, woraufhin wir uns auf die Nudeln stürzen und einen schönen Resttag auf den Treppen verbringen.

---------------

Im nächsten Kapitel sind wir schon mitten in den Ferien.

-Helo

ArroganzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt