Kapitel 58

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Mittwoch, 15. März

Mein Mittwoch startet übermüdet mit zwei Stunden Englisch. Das Fach, in der die Lehrerin meint übernächste Woche eine Klausur schreiben zu müssen, obwohl wir das Thema nicht richtig behandelt haben. Ich hasse unseren Klausurplan! Die Ausreden dieser Lehrer ist immer, dass wir das dann zu Hause lernen sollen, falls wir es nicht können. Wie? Sind die dumm oder tun sie nur so? Wie. Soll. Ich. Lernen. Wenn. Ich. Keine verdammte Ahnung habe? Wie haben die es geschafft zu studieren? Damit meckere ich auch meine Freunde an. Auch, wenn Can und ich unsere Differenzen haben, haben sich unsere Freunde zu einem Kreis zusammengeschlossen. "Aber du kannst das Thema doch?", sagt Saliha. "Trotzdem! Was ist das für eine Scheiße?" "Genau! Wir kommen gerade erst aus Berlin zurück", stimmt mir Ramazan zu. Cans Blick ist zu oft auf mich gerichtet. Selbst wenn ich ihn angucke, schaut er nicht weg. "Was macht ihr jetzt in Biologie?", fragt Ramazan. "Humangenetik", antwortet Can schmunzelnd. Oh nein, ich weiß, woran er denkt! "Und du?", frage ich, weil ich das Thema von uns ableiten will. "Ich arbeite mit Isabella. Ein sehr nettes Mädchen", sagt er schelmisch. Er wird sie sich klären. "Und wir beschäftigen uns mit der tierischen Genetik." Ich hole meine Wasserflasche raus und denke nach, ob wir etwas über das Klonen in die Hausarbeit hinzufügen sollten. "Ach, Shana, machen wir heute weiter?", fragt Can ganz neutral. Ich weiß, dass er das extra macht. "Waaas?", fragen Saliha und Viyan synchron. Warte ab, Can! Er schaut mich verschmitzt an, während ich ihn mit einem Killerblick am liebsten töten würde. "Ich hatte keine Wahl und musste mit ihm machen", kommt es neutral von mir. "Und wo macht ihr es?", fragt Viyan. "In der Bibliothek", presse ich hervor. "In der Bibliothek", macht Can mir belustigt nach und kriegt unter dem Tisch von mir ein Tritt gegen sein Schienbein. "Wir haben gleich Chemie", sagt Viyan, die von unserem Chemielehrer schwärmt. Ich danke ihr innerlich, dass sie das Thema gewechselt hat. "Ich liebe dieses Fach", schwärme ich mit. Das letze Halbjahr habe ich dort eine Zwei bekommen, denn er sieht Potenzial in mir. Dieses Halbjahr wird es eine Eins. "Wie kann man Chemie mögen?", fragt Malik angewidert. "Das ist tausendmal besser als Physik!" Dieser Junge ist ein Mathe-Ass und steht Eins in Chemie, trotzdem mag er es nicht. "Niemals." Von uns allen kriegt Malik ein Doch zurück. "Dieses Fach ist einfach wie Mathe! Ein Junge wird aus dem Flugzeug geschmissen, das sich in 3000 Meter Luft befindet. Wie alt ist der Junge? So ist Mathe", sage ich und bekomme als Antwort Gelächter. "Physik und Mathe ist gleich Liebe", versichert er mir und kriegt von Ramazan Würggeräusche als Antwort. "Ich verstehe nicht, wieso du Mathe nicht als LK wählen willst?", fragt Viyan ihn. Sie hat endlich verstanden, dass Malik nichts von ihr möchte und kam sehr gut damit klar. "Einfacher für mich, aber vielleicht überlege ich es mir noch anders" , antwortet er ihr. "Genug Mathe! Wir haben gleich mit Herrn Krasniqi", trällere ich vor mich hin. "Was ist an ihm so besonders?", fragt Can schnaubend. Ich ziehe die Augenbraue in die Höhe. "Er sieht gut aus und ist schlau? Und jung?" Wenn ihm das als Antwort nicht reicht, dann weiß ich auch nicht mehr. "Aber nicht so hübsch, wie ich", mischt sich ein selbstsicherer Ramazan ein. Nachdem ich Ramazan versichert habe, dass ihn niemand toppen kann, erheben wir uns und laufen zum Chemieraum.

"Zur Identifizierung der C-terminalen Aminosäure setzt man häufig Carboxypeptidase ein. Das Enzym katalysiert ausschließlich die Hydrolyse der Peptidbindung", antworte ich auf Herr Krasniqis Frage. Er sieht zu gut aus, um ein Lehrer zu sein. Ich hätte wegen dem Letzen Thema eigentlich eine Drei bekommen, aber er hat mir trotzdem eine Zwei gegeben. Nachdem der schönste Lehrer der Schule mich gelobt hat, teilt er Arbeitsblätter aus, die wir dann den Rest der Stunde bearbeiten sollen. Heute geht es wieder zu Can. Es kann auch sein, dass er heute etwas vor hat. Ich will es einfach nur schnell hinter mich bringen. Und das Beste ist, dass der Unterricht plötzlich anfängt sehr schnell zu vergehen. Also ich freue mich, hehe. Vor allem, fallen die letzen beiden heute aus, herrlich! Nach der Stunde warte ich auf Can, um ihn etwas fragen zu können. Er schaut mich neutral an, was ich ihm gleich tue. "Musst du heute weg?", frage ich schnell, was ihn die Stirn in Falten legen lässt. "Nein, wieso?" Scheiße. "Nur so", antworte ich knapp und will zu meinen Freundinnen laufen, jedoch werde ich vom Herz allerliebsten Can zurück gezogen. "Wieso?" Mensch, ist er neugierig. "Kann doch sein, dass du was vor hast und wir deswegen nicht weiter arbeiten können", gebe ich schulterzuckend von mir. "Ich habe dich doch heute gefragt, ob wir weitermachen. Vielleicht sehe ich nicht so aus, aber für mich geht die Schule vor", macht er mir deutlich und schaut mich eindringlich an. Ouh, ich dachte, das war nur um mich zu ärgern. "Okay", flüstere ich und ziehe meinen Arm aus seinem Griff. Viyan und Saliha nachzulaufen würde nichts bringen, da ich sie nicht mehr sehe. Schon überraschend, dass Can sich so auf die Schule konzentriert und trotzdem typischen Bad-Boy Kram tut. Er sieht bedrohlich aus und will ein Arzt - um genauer zu sein ein Chefarzt - werden. Aber ich glaube ganz im inneren ist er bestimmt ganz nett. In Deutsch hören wir einfach nicht mit dem Analysieren auf, was mich umbringt, denn ich hasse Analysen. Das einzig Gute daran ist, dass auch diese Stunde recht schnell umgegangen ist. Mal wieder bin ich die Erste die den Raum verlässt und raus geht. Heute hat sich die Hündin Aleyna zurück gehalten. Trotzdem hasse ich sie. "Shana", ruft mich Can, weswegen ich mich verwirrt umdrehe, doch als ich sehe, dass er mit Aleyna ist, gehe ich sogar auf ihn zu, aus reiner Provokation. "Ja?" Ich schaue Aleyna abschätzig an. "Geh mal, Aleyna." Ich kann und will mir ein Schmunzeln nicht unterdrücken. "Was?!", fragt sie entsetzt. "Hast du nicht verstanden? Du sollst gehen", sage ich arrogant, was sie schnaubend davongehen lässt. Nun stehen Can und ich alleine am Lehrereingang. "Kannst du kochen?" Ich ziehe die Augenbrauen zusammen. "Ähm, wieso?" Can lehnt sich gegen die graue Wand hinter sich. Wow, das sah schon gut aus. Ich schüttele diesen Gedanken ab. "Wir sind alleine zu Hause heute, weil meine Mutter erst bei jemanden zu Besuch ist und dann mit meiner Schwester zu ihrem Elternsprechtag gehen muss." Can und ich, alleine. Mir wird auf einmal sehr, sehr warm. Wir werden ganz alleine sein? Moment! "Warte, was hat das mit dem Kochen zu tun?", frage ich. "Wir sind alleine und ich kriege Hunger." Ich fange an zu Lachen und wische mir meine imaginären Tränen weg. "Das heißt, dass ich für dich Kochen soll?" Er verdreht die Augen. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie Saliha und Viyan auf mich warten, die ich aber mit einer Handgeste wegscheuche. "Shana, sollen wir verhungern?", fragt Can mich leicht theatralisch. "Komm mir jetzt nicht damit an!" Ich bin zu stur dafür. Als ob ich für ihn Koche! "Hast du keine Brüder, die zu Hause sind?" Das wäre total paradox, wenn nur wir beide bei ihm wären. "Nein, beide auf Klassenfahrt." Toll! "Keine andere Schwester?", hake ich hoffnungsvoll nach. "Die Studiert in einer anderen Stadt und mein Vater arbeitet bis 22:00 Uhr. Wir sind ganz alleine heute", sagt er mit einem Grinsen im Gesicht, was nichts gutes heißt. Er hat viele Geschwister und keiner von ihnen ist zu Hause, Schicksal! Trotzdem koche ich nicht! Aber er hat mit etwas zu Essen ausgegeben. Das stimmt. Mein Gott, muss mir das in den Sinn kommen? "Also, kochst du oder kochst du?", fragt er verschmitzt. "Wir gucken", antworte ich knapp. Cans rechter Mundwinkel zuckt nach oben. Ich will nicht wissen, was er denkt. "Wunderbar", gibt er leise von sich und schaut mich intensiv an. Ich will mich davon machen, da wir alleine an einem Eingang stehen und meine beiden Freundinnen sich die perversesten Szenarien ausmalen, doch Can zieht mich - mal wieder - zurück. "Bleib doch." Ich schaue ihn misstrauisch an, und plötzlich fällt mir wieder ein, dass er Sex mit Aleyna hatte. Ich schaue ihn hasserfüllt an. "Geh doch zu Aleyna", fauche ich und reiße mich los von ihm. Er hat doch Aleyna? Da muss er sich in den Pausen nicht mit mir unterhalten! Wäre sie in unserem Bio Kurs, dann würde Can sicherlich mit ihr diese Hausarbeit schreiben und so hätte ich die Hausarbeit mit Ramazan machen können. Aber ich finde es gut, dass sie nicht in unserem Kurs ist und sie es somit nicht gemeinsam tun können. Da es zur Routine wird, werde ich natürlich wieder einmal zurückgezogen. Und von wem natürlich? Genau! Von Can. "Was willst du?", frage ich. "Was hast du jetzt?", frage er sichtlich verwirrt. Ach, du hast nur mit einem Mädchen geschlafen, die ich schon so gehasst habe und stehst jetzt noch niedriger, als vorher da! "Nichts", winke ich ab. "Doch. Bist du etwa eifersüchtig, wegen Aleyna?", fragt er schmunzelnd. Ich wusste, dass irgendwann diese Frage kommt und fange deswegen an zu lachen. "Ich? Wegen Aleyna?", lache ich. "Niemals!" Ich hole einmal tief Luft und schaue Can in die Augen. "Ich finde dich nur widerlich, mehr nicht", gebe ich mit einem gefälschten Lächeln von mir. Jap, das reizt ihn. Can schließt für einen Moment die Augen und öffnet sie dann seufzend, danach läuft er an mir vorbei. Was ist jetzt los? Sollte ich gerade eben nicht noch bleiben? Can geht, ohne ein Wort zu sagen? Wow. Ich zucke mit den Schultern und laufe dann endlich zu Saliha und Viyan, was mir nichts bringt, denn genau in diesem Moment klingelt es schon.

Nach der Mathestunde, dank der ich das Gefühl habe immer dümmer und dümmer zu werden und nach der Philosophiestunde, die zu einfach für diese Welt ist, laufe ich zur Haltestelle. Ich bin kurz davor an der Ecke Nettos vorbei zu laufen, da kommen mir schon die ganzen Erinnerungen hoch. Das waren Zeiten. Wie ich immer mit Can dort diskutiert habe oder wie Can mich gerettet hat. Ich komme an der Haltestelle an und sehe an der Glashäuserung der Haltestelle einen großen Glasprung. Ich schaue ihn mir an und muss an ein Spinnennetz denken, da er so ähnlich aussieht. Wieso ist er mir nie aufgefallen? Ich bin so vertieft in diesen Sprung, dass ich gar nicht bemerke, dass Viyan vor meinem Gesicht herum wedelt. "Ja?", sage ich und ziehe schnell den Ohrhörer aus meinem linken Ohr. "Weißt du von wo dieser Sprung kommt?", fragt Viyan mich, woraufhin ich den Kopf schüttele. "Das war Can." Ich ziehe die Augenbrauen zusammen. "Weißt du noch, als Cihan hier war?", fragt Saliha jetzt. Als Antwort nicke ich. "Als du dann weggegangen bist, war er außer sich und wollte wissen wo du bist. Er hat sich Sorgen um dich gemacht", lächelt sie. Er hat sich sorgen gemacht? "Er war total wütend und hat sich ausgemalt, was passiert wäre, wenn Cihan dir hinterhergefahren wäre, dann hat er zu geschlagen", erzählt Saliha zu Ende. Wow. Ich ziehe erstaunt die Augenbrauen hoch und weiß nicht, was ich sagen soll. Beide Mädchen nicken vielsagend. Passend zum Thema kommt Can mit Ramazan und Malik im Schlepptau. Nachdenklich schaue ich zu Boden. Wieso? Es ist zwar echt nett, sogar zu nett, dass er sich für mich einsetzt, aber ich empfinde es als sehr komisch, da zwischen uns so eine Spannung herrscht. Da kommt man auf falsche Gedanken. Wir diskutieren sehr oft, streiten sowieso und was mache ich jetzt? Ich fahre zu ihm nach Hause. "Shana!", ruft Ramazan, weswegen ich erschrocken zusammenzucke. "Ja?" "Bald sind wir sozusagen Nachbarn", sagt er mit wackelnden Augenbrauen. Meine Lippen bilden ein Lächeln. "Wo genau? Und was heißt sozusagen?", frage ich. "Na ja, es ist mehr in der Nähe von Can und da du in der Nähe wohnst, sind wir irgendwie Nachbarn", antwortet Ramazan und kreist seine Schultern. Wenigstens eine gute Nachricht.

ArroganzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt