Kapitel 90

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Freitag, 17. November

Klausurphase. Ich glaube mehr muss ich dazu nicht sagen. Als ich noch auf der Realschule war, dachte ich in den Klausurphasen, dass ich die Phasen in der Oberstufe gut meistern würde, da es mir auch Realschule sehr gut gelungen ist, aber da habe ich vergessen, dass die Oberstufe nun mal nicht die gute, alte Realschule ist. Wir haben vom 23. Oktober bis zum 6. November Herbstferien gehabt, aber für mich war es nicht einmal in den Sinn gekommen zu entspannen oder sonstiges, nein. Ich musste fast die ganzen Ferien durchlernen, da ich nach den Ferien schon in der ersten Woche eine LK-Klausur geschrieben habe. Zudem musste ich noch eine Präsentation mit zwei anderen aus meinem Englischkurs machen. Bis jetzt ist der November der pure Horror für alle Oberstufenschüler meiner Schule. Da die Ferieneinteilungen leider Gottes so nah beieinander liegen, werden die ganzen Klausuren und Tests in den November und Dezember gequetscht. Es ist so stressig bei uns, dass unsere kleine Gruppe in den Pausen so gut wie nie geredet hat, sondern jeder seinen Kopf in irgendein Buch gesteckt hat. Trotzdem habe ich trotz kleiner Wutausbrüche immer die Ruhe bewahrt. Ich habe auch eines Nachts im Bett darüber nachgedacht, ob ich wirklich Medizin studieren will. Klar, es ist mein Traum und den könnte ich ausleben, aber sechs Jahre exzessives Pauken plus die Doktorarbeit am Rande noch zu erstellen wird kein Zuckerschlecken. Aber vielleicht belohnt mich auch etwas in dieser Zeit, sodass ich es gut meistern werde. Ich musste mir die Zeit gut einteilen, da ich nicht vollkommen an Büchern und Arbeitsblättern hängen wollte. Zwar saß ich die meiste Zeit in der Bibliothek, aber trotzdem war ich mit Ranja, Viyan oder Saliha draußen. Es musste einfach sein, sonst wäre ich noch vor lauter Informationen über die chemischen Vorgänge und deren Formeln geplatzt. Aber genau das kann ich jetzt auf die Blätter schreiben. Zwar habe ich einen Krampf in der linken Hand, aber dafür wird meine Gehirn immer entspannter, da ich die ganzen Informationen auf die Klausurbögen übertragen kann. Eine weitere Seite habe ich voll geschrieben und lege seufzend den Stift weg, massiere meine linke Hand und schaue auf die Uhr. Eine Stunde habe ich noch und ich bin fast fertig.

Während des Anfangs nach der Herbstferienzeit ist kein Streit zwischen Can und mir entstanden, nach dem Besuch bei ihm ging ich entspannt und glücklich nach Hause, ohne ihn mit irgendwelchen Beleidigungen voll zuschmeißen oder sonstiges. Er hält mich immer wieder auf dem Laufenden über sich selbst und diese Kreatur, namens Elif. Ich könnte das Mädchen einfach umbringen! Seitdem ich mitgehört habe, was sie zu Can am Telefon über mich gesagt hat, musste ich mich beherrschen, sie nicht zu attackieren. Trotzdem hätte sie es verdient. Nach der Klausur dürfen wir nach Hause, was ich auch schnell tue. Na ja, was heißt schnell? Ich schleppe mich die Treppen runter, da ich so ausgelaugt bin und mache sofort meine Jacke zu, als die kühle Luft mich ummantelt. Ich würde mich am liebsten hier und jetzt auf den Boden schmeißen und schlafen, aber leider ist es zu kalt, also beschließe ich mich weiter zu laufen. Durch das Tor gelaufen, hält ein schwarzer Audi vor mir. "Steig ein", sagt Ramazan, der das Fenster der Beifahrertür geöffnet hat. Da ich nicht einmal die Kraft habe zu widersprechen, öffne ich die hintere Tür, wo ich Malik erblicke, der mich anlächelt und setze mich mit einem Seufzer hin. Das ist also Cans neues Auto. Es ist sehr geräumig und riecht gut. Zudem sind die Sitze mit hellbraunen Leder gepolstert, in die ich mich gerade reinkuschele. "Scheinst ja sehr kaputt zu sein", stellt Malik fest. "Ihr etwa nicht?", frage ich müde, aber dennoch entsetzt. "Es geht", sagt Malik nun und lächelt mir aufmunternd zu. "Hast du alles geschafft?", fragt Ramazan nun. "Ja, ihr?" Alle drei Antworten mit einem Ja. "Willst du etwas essen, Shana?", fragt Can mich nun. Ich habe irgendwie seine Stimme vergessen, da ich mich die ganzen Wochen so sehr auf die Oberstufe konzentrieren musste. "Can, bitte. Bitte, nur dieses eine Mal. Wenn ich Nein sage, dann musst du mich nach Hause-," "Wo möchtest du essen gehen?", unterbricht er mich, weswegen ich genervt mit der Zunge schnalze. "Ich will doch nur schlafen, mehr nicht", flüstere ich schon fast. Ich habe Hunger, ja, aber ich will einfach nicht, dass mir Can jedes Mal etwas kauft. Ich fühle mich immer richtig unwohl dabei."Wir waren glaube ich noch nie im KFC." Hör auf diesen Namen zu sagen! Ich liebe KFC. Ich und jeder, der mich kennt, assoziiert mich mit KFC. "Nein", sage ich müde und ausgelaugt. Ich will nach Hause und essen. Wenn ich kein Essen kriege werde ich sehr emotional und das ist kein Witz. Entweder bin ich aggressiv, fast am weinen oder gar tot. Ich habe einmal, als ich noch auf der Realschule war, angefangen zu weinen, weil ich an diesem Tag alle drei Hauptfächer hatte, total müde war und zudem noch hungrig. Ich glaube, ich kriege meine Tage. "Doch, Shana", widerspricht mir Can und schaut durch den Spiegel zu mir. "Lasst mich aus dem Wagen raus", sage ich mit einer etwas an Kräfte gewonnenen Stimme und rüttele an der Klinke, die leider Gottes nicht aufgeht, da Can das Schloss verriegelt hat. "Das ist eine Entführung." Ich schaue mit einem finsteren Blick zu Malik, den das Ganze wohl amüsiert. "Schnall dich an, Shana." Müde tue ich es. Ich will ihn nicht beunruhigen. "Also, als Can mich entführt hat, habe ich mich sehr wohlgefühlt bei ihm. Am Ende habe ich mich in ihn verleibt", schnurrt Ramazan vorne und will seine Hand auf Cans Oberschenkel legen. "Verpiss dich, Ramazan", zischt Can angeekelt und schlägt seine Hand weg, was die beiden anderen Jungs und mich zum Lachen bringt. "Du musst hier rein fahren", weise ich Can hin, der nicht auf mich hört. "Can, fahr mich nach Hause", befehle ich heiser. Ich kriege wirklich meine Tage. "Ich will doch nur nach Hause", flüstere ich und wimmere am Ende. Tolle Hormone. Ich wische mir schnell meine Träne weg und hoffe, dass niemand es gemerkt hat. "Shana, wieso weinst du?" Danke, Malik. Ich wische mir eine weitere Träne weg, die durch meine plötzliche Hormonstörung aufgetreten ist. "Gar nicht", schmolle ich und werde im nächsten Moment in den Arm genommen. Ich spüre, wie das Auto langsamer wird, also habe ich gleich leider Gottes die Aufmerksamkeit aller drei erregt. Wieso bin ich eingestiegen? "Shana, nicht doch", sagt Malik sanft und fährt meinen Rücken hoch und runter, was mich irgendwie emotionaler macht. Er ist so süß! "Ich will auch Shana trösten!", brummt Ramazan beleidigt und beugt sich über seinen Sitz um mich ebenfalls umarmen zu können. Diese Gesten bringen mit unwillkürlich zum Lächeln, was dazu führt, dass ich Malik fester umarme. Can hat sich ebenfalls zu mir gedreht und schaut mich mit einem Blick an, der sagt, dass wir darüber reden werden. "Ist schon wieder gut, danke", murmele ich beschämt und ziehe einmal die Nase hoch. Das passiert, wenn ich kein Essen bekomme und erschöpft bin. Ein emotionales Wrack. Can fährt weiter, als er sich noch einmal zu mir umgedreht hat und fährt Richtung KFC, da ich nichts dagegen machen kann. "Wer hat das meiner Shana angetan?", fragt Ramazan, was mich wieder schmunzeln lässt. "Niemand." "Warte ab. Wenn ich diesen Niemand finde, dann ist er tot. Stimmt's Malik?" Nun schaut Ramazan mit aufgerissenen Augen zu Malik, der ihm zustimmt. Er ist so goldig! Ich liebe es, wie Ramazan sich um seine Freunde kümmert und sie zum Lachen bringt. Man kann sich wirklich glücklich schätzen, Ramazan als Freund zu haben. Wir kommen dem Fastfood-Restaurant näher, was mich glücklicher macht, aber die Tatsache, dass Can wieder bezahlen wird, macht mich wiederum fuchsig. "Kann ich im Auto bleiben?", frage ich leise nach. "Malik, Ramazan geht ihr rein und holt das Essen." Can gibt ihnen Geld, was sie aber nicht annehmen wollen und schon entsteht eine Diskussion. "Nimm doch das Geld und reg mich nicht auf!", knurrt Can und drückt Ramazan das Geld in die Hand. "Ich habe auch Geld", mische ich mich ein und halte mit einem stolzen Blick meinen Fünfeuroschein hoch. Ich kriege entgeisterte Blicke von allen dreien, die mir sagen, dass ich mich zurück in den Sitz legen soll. "Gemeine Jungs", nuschele ich beleidigt und verschränke meine Arme vor der Brust. Ramazan steht schnaubend auf, gefolgt von Malik und rennt mit ihm in das Restaurant rein. Nun sind Can und ich hier drinnen. Allein, in seinem Auto. Fragen in drei, zwei, eins.

ArroganzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt