Kapitel 63

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Freitag, 14. April

Wir sind fast durch mit der Hausarbeit und auch mit den meisten Klausuren – bis jetzt. Ich fange jetzt schon an, die Tage bis zu den Sommerferien zu zählen, auch wenn ich höchstwahrscheinlich zu Hause bleibe. Jetzt gerade sitze ich im Biologieunterricht und spiele mit meinen Haaren herum, da ich schon fertig mit der Klausur bin. Ich bin erleichtert, dass ich dieses lernintensive Fach sehr gut beherrsche. Die Haare müssten ernsthaft geschnitten werden. Ich schiele zu Can, der sich für die Klausur nach vorne gesetzt hat. Warum, weiß ich nicht. Er hat einen grauen Nike Sweater an. Ich mag grau. Ist das nicht der, den ich anhatte? Ich schaue mir das Oberteil genauer an und erinnere mich wieder. Das war ein komischer Tag, aber irgendwie mochte ich ihn trotzdem. Er sieht schon gut aus, wenn er sich konzentriert. Ich mag es, wenn er seinen Kiefermuskel anspannt. Plötzlich schaut er zu mir, direkt in meine Augen. Ich halte inne. Scheiße, er hat mich erwischt. Nonverbal frage ich ihn, was er von mir will, bevor ich den Blick abwende. Idiot. Wieso muss er mich anschauen, während ich ihn anschauen?

Der Typ, der auf Toilette musste, ist jetzt wieder da. "Die, die fertig sind, können jetzt gehen", verkündigt Frau Ritzler. Perfekt. Sofort greife ich nach meiner Tasche und laufe raus. Das Schöne ist, dass es Freitag ist und dass es meine letzte Stunde für diese Woche war. Jetzt kann ich das ganze Gelernte wieder vergessen. Irgendwie schade, aber nach einer Zeit verschwindet es halt. Ich krame meine Ohrhörer raus und entknote sie auf dem Weg zur Haltestelle. Gott, müssen sie sich auch immer so verheddern? "Soll ich dich fahren?", flüstert mir eine raue Stimme zu. Ich zucke quickend zusammen. "Gott, musst du mich so erschrecken?" "Ja, muss ich", antwortet mir Can mit einem Grinsen. "Du brauchst mich nicht zu fahren", lehne ich ab und laufe weiter. "Wieso nicht?" Gott, er lässt sich auch nur wirklich schwer abwimmeln. "Weil ich mit dem Bus fahre." "Magst du Busse?" Was ist heute los mit ihm? Ich drehe mich mit einem verwirrten Blick zu ihm. "Ja, Can. Ich liebe Busse", sage ich vollkommen ernst. Statt eines dummen Spruches, kriege immer mehr seines wachsenden Grinsens zu sehen. Okay, hier stimmt etwas nicht! Misstrauisch erblicke ich diesen großen, gut gebauten Jungen, der nichts anderes tut, als mich hübsch anzulächeln. "Was ist los?"

Als Antwort zieht er mich hinter sich her. "Sagst du mir jetzt, wohin wir gehen?", frage ich. "Nein." Dachte ich jetzt wirklich, ich kriege eine Antwort? Er zieht mich zu seinem Auto. Ein schlichter, schwarzer BMW. "Can? Was wird das?" Er scheint wohl echt gut gelaunt zu sein. Mir gefällt es, wenn er lächelt. "Komm mit." Er hält mir die Tür auf, doch ich entscheide mich, immer noch stehen zu bleiben. "Wir machen etwas." Erstaunt hebe ich meine Augenbrauen. Can will freiwillig etwas mit mir unternehmen? "Keine Sorge, das bleibt unter uns." Er zwinkert mir zu. Okay, es stimmt etwas gewaltig nicht! Can schiebt mich auf den Beifahrersitz. Eigentlich würde alles in mir dagegen sein, in sein Auto zu steigen, aber irgendwie macht es mich auch glücklich, dass er mit mir an einen bestimmten Ort fahren möchte. Um ehrlich zu sein mag ich seine Nähe, wenn wir uns mal nicht streiten. Er nimmt mir meinen Rucksack ab und stellt ihn mit seinem auf die Rücksitze. Danach setzt er sich auf den Fahrersitz, zieht sich seinen grauen Sweater aus, sodass er jetzt im schwarzen T-Shirt den Wagen startet. "Ein Wunder, dass du mal nicht diskutiert", scherzt er. "Ein Wunder, dass du gut gelaunt bist", gebe ich in immer noch sichtlich überrascht von mir.

Es herrscht eine angenehme Stimmung im Auto. Es läuft gute Musik im Hintergrund, während wir uns auf der Autobahn befinden und wir haben uns immer noch nicht gestritten. Es macht mich wirklich glücklich, dass Can gut drauf ist. Seine Laute steckt einen an. Vor allem, da seine Augen so leuchten. Ich weiß nicht wieso, aber ich konnte einfach nicht Nein zu dieser Fahrt sagen. Irgendetwas in meinem Gehirn hat mein Sprachzentrum genau in diesem Moment blockiert. Ich beobachte Can, wie er konzentriert das Auto fährt. "Warum bist du so glücklich?" Meine Frage lässt ihn sanft lächeln. "Warum beobachtest du mich?", neckt er mich. Weil dir die Fröhlichkeit steht. "Darf ich nicht?" "Nein, darfst du nicht", gibt er sanft zurück. Das hat sich echt schön angehört. Diese Sanftheit würde ich gerne wieder hören. Hm, dann kriege ich eben keine Antwort. Er ist komplett schwarz gekleidet. Sein T-Shirt schmeichelt seinen Armen. Sehr sogar. Ich mag trainierte Oberarme ... ich will sie anfassen. Ihm würde es doch bestimmt nichts ausmachen, oder?

ArroganzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt