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Ich schließe die Tür auf und gehe mit Milena in die Küche, um sie auf die Küchentheke zu setzen. "Ich mach dir einen Toast mit Nutella, ja?" Sie nickt abwesend. Ich schmiere ihr schnell den Toast und drücke ihn ihr in die kleinen Kinderhände. "Was hat Mama?" fragt sie mich mit großen blau grünen Augen. Ich atme tief ein. "Naja, hör zu ... Deine Mama hatte ein kleines Geschwisterlein für dich im Bauch ..."
"Ja, ich weiß. Was ist damit?"
"Sie hat es verloren. Ich möchte dich nicht anlügen, Milena. Kinder werden oft angelogen, weil die Erwachsenen sie nicht verletzen wollen oder denken, sie würden es noch nicht verstehen. Ich weiß nicht, ob es ein Junge oder ein Mädchen war, aber es geht dem Baby sicher gut. Es ist jetzt im Himmel." Ich versuche selber nicht zu weinen. Noch nie zuvor musste ich einer siebenjährigen den Tod erklären. Sie fängt an zu weinen und ich nehme sie in den Arm. "Dass muss für Mama so schlimm sein ... Können wir ihr Kekse backen, Lady?" schnieft sie, als sie sich wieder etwas beruhigt hat. Ich lächle. "Natürlich."

-Rose's Sicht-
Am Abend gehe ich zusammen mit Vivienne und Jean, Milena's Eltern, nachhause. Vivienne ist total fertig und torkelt müde und erschöpft in die Wohnung. "Ist Milena drüben bei euch?" fragt mich Jean. "Bestimmt. Ich schick sie gleich rüber." sage ich und schließe die Tür zum Appartement auf. Ein kleiner Blondschopf huscht an mir vorbei und hüpft in die Wohnung neben an. Damit hat sich das wohl geklärt. "Da bist du ja." höre ich Lady sagen, worauf ich gleich lächeln muss. "Der Tag war so anstrengend." seufze ich und betrachte meine kleine Lolita. "Glaub ich dir gerne." meint sie, als ich sie in den Arm nehme. Vivienne schaut aus der anderen Tür heraus, mit Milena auf dem Arm. "Danke für die Kekse, Lady." bedankt sie sich bei ihr. "Hab ich gerne gemacht." erwidert Lady. Also wenn dieses Mädchen kein Engel ist. "Möchtet ihr vielleicht zum Abendessen rüber kommen?" fragt mein Mädchen noch lieb. Eigentlich wollte ich jetzt mit ihr allein sein, aber ich muss auch berücksichtigen, dass Vivienne und auch Jean ihr Kind verloren haben.

Also macht Lady ein schnelles Abendessen und wir setzen uns alle zusammen an den Tisch. "Du bist ein wirklich liebes Mädchen. Da hat Rose wirklich Glück, so eine Mitbewohnerin wie dich zu haben." sagt Vivienne, worauf Lady verlegen auf ihr Essen schaut. "Ich geb sie auch nicht wieder her." meine ich, um Lady aus ihrer peinlichen Situation zu retten. Vivienne lacht. "Hast du einen Freund, Rose? Der würde doch sicher eifersüchtig auf Lady werden." meint sie. "Nein, ich habe keinen. Sowas brauche ich nicht." antworte ich ehrlich. Vielleicht sollte ich die Tatsache, dass ich mit der sieben Jahre jüngeren Lady neben mir zusammen bin, weglassen. "Fühlst du dich nicht einsam?" will Jean wissen. "Keineswegs."
"Sie hat doch schon Lady." schmatzt Milena mit dem Abendessen im Mund. "Aber Lady kann Rose doch nicht alles geben, Milena. Ich hab dir schon mal erklärt, dass es verschiedene Arten von Liebe gibt." Es ist echt süß, den beiden zuzuhören. "Aber Lady gibt ihr doch alles an Liebe. Sie ist ihre Familie, sie wohnt sogar bei ihr. Sie benimmt sich wie eine beste Freundin und wie eine Ehefrau." Milena ist so niedlich. Lady wird knallrot und versteckt ihr Gesicht in ihren Händen. "In gewisser Weise hat sie recht." kichere ich nervös. "Oh, seid ihr zusammen?" fragt Vivienne, worauf Jean das Essen im Hals hängen bleibt und er hustet. "Vivienne, das Mädchen ist noch viel zu jung für sowas!" Ich spüre förmlich, wie Lady ihn für die Worte zu jung hasst. "Nein, sind wir nicht. Wir haben nur eine sehr innige zwischenmenschliche Beziehung." murmelt Lady und schaut weiter auf ihren Teller. "Da bin ich beruhigt. Wenn ich dann groß bin, kann ich Lady heiraten." Der ganze Tisch fängt an zu lachen. Milena aber bleibt ernst bei ihrer Aussage. "Findest du Lady so toll?" fragt ihre Mutter. "Ja! Lady ist wie ein Engel." meint Milena fröhlich. "Mein Engel." betone ich. "Willst du dich mit mir anlegen, du alte Frau?" fordert sie mich heraus. Ich lache herzhaft. "Versuchs ruhig, du Fruchtzwerg."

Nach dem Essen bringt Jean Milena zurück in ihre Wohnung, während mir Vivienne beim Tisch abräumen hilft. "Das wollte ich doch machen ..." krächzt Lady mit heiserer Stimme. "Vergiss es. Leg dich ins Bett und nimm deine Medikamente. Ich will nicht, dass du Fieber bekommst." meine ich streng. Sie nickt müde und tapst dann ins Schlafzimmer. "Ihr würdet gut zusammen passen." äußert sich Vivienne und grinst mich dabei an. "Kann sein ..." Ich darf es ihr nicht sagen. Lady ist eigentlich zu jung für mich. "Wie fühlst du dich jetzt? Ich meine, nachdem was passiert ist." lenke ich vom Thema ab. "Dinge passieren nicht ohne Grund, auch wenn manche Erfahrungen ziemlich schmerzhaft sind. Ich werde schon darüber hinweg kommen. Tony ist jetzt ein kleiner Engel am großen blauen Himmel." Ihr Lächeln tut schon fast weh. "Tony? Wolltest du ihn so nennen?"
"So habe ich ihn genannt, ja." erwidert sie. "Schöner Name." bekenne ich. "Wer gab Lady ihren schönen Namen? Das ist echt kreativ und dazu auch noch schön. Wenn ich die Namen aus Milena's Klasse höre, würge ich schon bei manchen." lacht sie. "Ihre Mutter schätze ich. Sie war Lady sehr wichtig." antworte ich. "War? Ist sie schon verstorben?" will Vivienne wissen. "Ja, da war Lady, glaube ich, etwa 9 oder 10. Sie redet nicht gerne darüber." Da fällt mir auf, wie wenig ich über Ladys Mutter weiß. Ich würde gerne mehr wissen. "Das ist ja wirklich tragisch ..." bedauert die weißblonde Frau, welche die Teller mit mir in die Spüle räumt. "Aber Lady ist stark. Sie hat schon so vieles durchgemacht." füge ich hinzu. Mehr, als ich eigentlich drüber nachgedacht habe. Sie hat ihre Mutter verloren, ihre Stiefmutter hat ihr und Amber das Leben zur Hölle gemacht, sie wurde schon einmal verschleppt, von Amber's ehemaligen Freund, sie hat eine Verletzung nach der anderen und von Grace will ich gar nicht erst anfangen. Sie ist so zerbrechlich und dennoch so stark und mutig. Sie ist sich dessen nicht mal bewusst. "Ich geh dann mal rüber. Schlaf gut, Rose." verabschiedet sich Vivienne. "Du auch." rufe ich ihr noch hinterher, als sie aus der Tür geht.

Too young for you [GxG]Where stories live. Discover now