Like Oh

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Jin sauste mit vollstem Überblick und wie ein lebendiges Navigationsystem vor mir durch die Straßen Gwanak-gu, Seoul.
Ich dagegen hatte, mit einem alten Rucksack von irgendeiner amerikanischen Rockband auf dem Rücken, zu tun ihm zu folgen.
Dass er in einem Wirrwarr aus Hochhäusern, Straßen und Menschenmassen einen solchen Überblick hatte überraschte mich nicht.
Schon immer hatte er von uns beiden den besseren Orientierungssin gehabt und führte uns durch all die Wälder in dem kleinen Dörfchen, in dem wir gemeinsam aufwuchsen.
Wir waren fast schon sowas wie Geschwister so lange kannten wir uns und seit dem hatte er auf Streifzügen immer die Führung übernommen, wie auch hier.

"Noch zehn Minuten, dann sind wir endlich da." teilte er mir begeistert an einer Ampel mit, die in dem Moment rot wurde, als wir an ihr ankamen.
Ein tolles Zeichen der Stadt Seoul uns Willkommen zu heißen.
Ich seufzte und richtete den Rucksack auf meinem Rücken in dem sich mein wichtigstes Handgepäck befand.
Mein Handy, Unterlagen für die Uni, auf deren Spuren Jin und ich uns begaben, mein Laptop und zwei Bücher. Das eine 13 Reasons Why von Jay Asher, das andere Stolz und Vorurteil von Jane Austin.
"Das hast du vor zehn Minuten auch schon gesagt." murmelte ich neben Jin, der anderthalb Köpfe über mir aufragte und ein lockeres, pastellpinkes Poloshirt trug.
Über seiner Schulter hing eine wirklich stylische und coole Männerhandtasche.
Auf seinem eher femininem Gesicht herrschte ein selbstsicheres Lächeln.
"Aber diesmal bin ich mir sicher." bestärkte er seine Worte und reckte die Nase ein Stück gen Himmel.
Ich lachte leise und schüttelte den Kopf.
Jin gab es zwar nicht selber zu und lehnte es ab, aber ich war mir sicher er war hochgradig schwul.
Seine lieblinksfarbe war Pink, als ich damals mein erstes Smartphone zum Geburtstag bekam, hatte er sich sofort als PricessJin eingespeichert, er trug Handtaschen, so wie pink und war wohl die zickigste Person unter der Sonne unseres Sonnensystems.
Aber dafür hatte er wunderbar breite Schultern, an die man sich lehnen konnte, so wie ich, als wir in eine dieser Billiglinienbusse saßen und ich neben ihm einschlief.

Um seinen stolz nicht zu verletzen, hielt ich meinen Mund und trottette weiter ohne jegliche Orientierung hinter ihm her.
Wenn man an ihm eines nicht verletzen durfte, dann seinen Stolz.
Sollte man es dennoch tun, war ein aufgebrachter Kim Seokjin mit einem pinken Minirevolver, den er dir zwischen die Augen hielt, wohl das letzte was man in seinem Leben sehen würde, also hielt ich mich da ziemlich bedeckt.
Und ein wenig Stolz war ja auch gesund, wäre man darauf nicht nur so verdammt empfindlich!

Ich harkte mich bei Jin unter, als die Ampel grün wurde und Massen an Menschen über die Straße stürmten.
Bei meine Sinn für Orientierung, hätte ich mich wohl selber verloren, würde ich Jin aus den Augen verlieren.
Neben ihm herhastend bewegte er sich nun weiter selbstsicher durch volle Straßen, die jedoch immer weniger wurden.
Ein riesengroßes, in der Mitte geknicktes Rohr baute sich über der Straße auf.
Gut zweihundert Meter dahinter befanden sich unzählige moderne Gebäude, bei deren Architektur ich jetzt schon wusste, dass ich kläglich versagen würde, mich darin zurecht zu finden.
Wieso war ich nicht nach meinem Abschluss einfach zu Hause geblieben und hätte mir eine kleine Lehrstelle in einem bequemen Bücherladen gesucht, anstatt nach Seoul zu ziehen und zu studieren.
Aber jetzt gab es kein Zurück mehr.
In irgendeinem Zimmer in einem dieser Bauten vor mir befanden sich bereits meine Sachen.
Jetzt lag es nur noch an mir daran sie zu finden oder sie auf ewig zu verlieren.

"Ich hab doch gesagt, noch zehn Minuten, Kirae." meinte Jin überzeugt von seinen vorhin geäußerten Worten und straffte niedlich-arrogant den Rücken, als wir auf dem Fußweg durch dieses Rohrding liefen.
Wenn dies moderne Kunst war, wollte ich nicht wissen, was man in zwanzig Jahren als Kunst verstand.
Am ende wurde dann eine verrostete Brille ohne Gläser für viele Milliarden Won versteigert, einfach weil man Kunst darin sah.
Ich sah heute nochnichtmal Kunst in einem roten Fleck auf weißem Untergrund!

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