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"Mom! Tyler will mich nicht mit dem Auto mitnehmen, sag doch etwas!", schrie ich laut durch das Haus, während ich meinen Bruder angrinste.
"Sei leise, Sirina!", zischte Tyler wütend und zeigte bedrohlich mit dem Finger auf mich.
Darf ich vorstellen?
Tyler, mein über alles geliebter 20-jähriger Bruder, dem ich manchmal wirklich die Augen auskratzen könnte.
"Ich denk' nicht einmal daran", streckte ich ihm meine Zunge entgegen.
Okay, eindeutig zu viel für ihn, da er auf mich zu rannte.
Verdammt!
"Mom!", schrie ich erneut durch das Haus, da ich definitiv Hilfe brauchte.
Jetzt beschleunigte auch ich mein Tempo und rannte um die Kücheninsel herum.
"Tyler, Sirina, hört auf euch gegenseitig zu jagen und fahrt lieber in die Schule! Ihr müsst los!", schaltete sich meine Mutter auch endlich ein und trat in die Küche.
Schützend stellte ich mich hinter meine Mutter und warf Tyler siegerische Blicke zu.
"Aber Sirina hat -", fing Tyler an, wurde aber von Mom unterbrochen:
"Tyler, du bis doch schon 20 Jahre also verhalte dich bitte erwachsen!"
Er seufzte und rollte nur seine Augen.
"Tyler, verhalte dich erwachsen", äffte er meine Mutter leise nach, die ihn nur bedrohlich anschaute.
"Schon gut! Komm, Schwesterherz!", wendete er sich kurz an mich, dann nahm er seine Autoschlüssel und verließ das Haus.
Zügig nahm ich mir eine Jacke und meinen Rucksack, den ich kurzerhand über meine Schulter schmiss. Als letztes gab ich meiner Mom, wie gewohnt einen Abschiedskuss, dann verschwand auch ich aus unserem Zuhause.
Tyler wartete schon ungeduldig im Auto und trommelte mit seinen Fingern auf dem Lenkrad herum.
"Los, beweg' dich endlich ins Auto", entgegnete er grinsend.
Ich rollte nur meine Augen und endlich fuhr er los.
Die Fahrt über lief das Radio und irgendwelche komischen Lieder, die nur mein Bruder hören konnte, brachten mich zum Schweigen.
Er parkte das Auto auf dem Schulgelände, da wo eigentlich keine Parkplätze mehr sind, und starrte mich an.
"Kannst du dich auch mal aus dem Wagen rollen, oder auf was wartest du?", fragte mich Tyler schließlich.
Ich seufzte.
Nicht einmal sein Handy konnte man in seiner Tasche suchen!
"Ich gönne dir einfach etwas mehr Zeit mit mir, Bruderherz", sagte ich, während meine Hand bereits den Türgriff runter drückte.
"Darauf verzichte ich lieber! Die zehn Minuten am heutigen Morgen haben wir schon gereicht", entgegnete er zurück, als ich schon draußen stand.
Ich nahm meinen Rucksack und beugte mich nochmal zu ihm runter.
"Du mich auch, Bruderherz", lächelte ich zuckersüß an und schlug die Tür zu.
Keine Sekunde länger blieb Tyler stehen, da er einerseits vermutlich von mir loskommen wollte und andererseits zu spät zu seiner Schule kam.
Tief ausatmend blickte ich auf das alte Schulgebäude.
Wie ich die Schule hasste, obwohl ich eigentlich ziemlich gut bin. Trotzdem frage ich mich ständig, wofür ich manche Themen in meinem Leben brauchen werde.
Die Schulglocke läutete zum Unterrichtsbeginn und ließ mir keine Möglichkeit nochmals zu meinem Spind zu gehen.
Na super!
Ich steuerte auf das Gebäude zu und sah mich um.
Haufenweise Schüler, die in ihre Klassenzimmer zu rannten.
Auch ich bewegte mich Richtung Klassenraum.
Ich betrat das riesige Zimmer und setzte mich in die dritte Reihe.
Da ich nunmal keine richtige Freunde an der Schule hatte, saß ich alleine, aber das störte mich nicht.
Obwohl ich zu Hause selbstbewusst gegenüber meiner Familie und besonders meinem Bruder bin, wirke ich in der Schule umso schüchterner.
Vermutlich bin ich einfach offener zu Menschen, die ich lange kenne.
Mrs Potters kam gerade durch die Tür in den Saal, als ich meine Sachen ordentlich auf den Tisch gelegt hatte.
Ich richtete meine Aufmerksamkeit der kleineren, rundlicheren Frau, die etwas gestresst wirkte.
"Guten Morgen, die Damen und die Herren!", begrüßte sie uns hektisch, vermutlich um die 5 Minuten nachzuholen, die sie nicht anwesend war.
"Bitte schlag euer Buch auf Seite 251 auf", forderte sie uns kurzerhand auf und begann über das heutige Thema zu sprechen.
Mrs Potter ist meine Deutsch und Literaturlehrerin. Sie ist wirklich unglaublich nett, kam aber manchmal auch ziemlich eigenwillig sein.
So wie Lehrer eben sind.
Gelangweilt von dem heutigen Thema, ließ ich meinen Blick durch den Saal schweifen. Der Raum erinnerte mich sehr stark an ein Amphitheater, also mehrere Reihen, die ihre Höhe verringerten und unten das Pult mit der riesigen Tafel.
Meine Augen huschten von einem Schüler zum anderen. Alles, was ich sah, waren müde, gelangweilte Gesichter, die zu oft zur Uhr starrten, in der Hoffnung, die Stunden würden sich verkürzen.
Schließlich sah ich wieder zu der kleinen Frau, die versucht ihren Unterricht so anschaulich, wie nur möglich zu machen.
Immer wieder versuchte ich dem Thema zu folgen, mich zu konzentrieren, aber ich war heute einfach neben der Spur.
In den letzten 10 Minuten begannen die meisten bereits ihre Sachen einzupacken, genauso auch ich, da Deutsch und Literatur überhaupt nicht mein Fach war und ich einfach in die Pause wollte.
"Ich sehe schon, sie können sich kaum mehr zügeln in die Pause zu gehen, doch bevor sie gehen dürfen, noch eine kleine Information", sagte Mrs Potters seufzend. Gespannt wartete ich darauf, was jetzt wieder anstand.
"Sie alle werden im Laufe des Schuljahres ein Referat mit Präsentation halten, welches die Hälfte zu ihrer Gesamtnote für dieses Jahr dazu beitragen wird", erklärte die ältere Frau den Schülern, die sofort aufseufzten.
"Sie können das entweder alleine oder maximal zu zweit machen. Bitte geben Sie mir im Laufe der zwei Wochen Bescheid, dann hänge ich die Termine mit den Themen aus, die sie zugelost bekommen werden."
Auch ich seufzte leise.
Ich würde das Referat alleine machen, ich hatte ja keine richtigen Freunde auf der Schule, aber es störte mich kaum, denn so lief es immer ab.
"Schön, jetzt dürfen sie gehen", gab Mrs Potters uns schließlich die Erlaubnis zu passieren.
Das ließen sich die Schüler kein zweites Mal sagen, und stürmten aus dem Saal in die lang ersehnte Pause.
Auch ich machte mich schließlich auf den Weg nach draußen.

PainWo Geschichten leben. Entdecke jetzt