Kapitel 30 - Mai oder April

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Es war ruhig. Niemand von uns sagte ein Wort und wir beide schauten nur angestrengt und schweigend auf die Straße. Der Schock und auch Angst saß mir immer noch in den Knochen. Ich will Antworten. Endgültige Antworten.

"Ich denke du willst nachhause?"

"Nein, ich will Antworten."

"Wo soll ich denn dann hinfahren?"

"Da wo es ruhig ist."

Ich schaute ihn nicht an und spielte nur nervös mit meinem Oberteil. Die Waffe lag auf meinem Schoß. Die Munition war schon in meiner Hosentasche verstaut.

"Na gut.", sagte Severin und fuhr weiter ruhig gerade aus. Ich könnte mir vorstellen wo er hin fuhr. Grundsätzlich ist es mir egal aber Angst habe ich trotzdem.

Verfolgt uns Damian? Hat er vielleicht so etwas wie ein Navi für Menschen? Mache ich mir nicht gerade zu viel Sorgen?

Ich kann mir im Moment einfach alles vorstellen. Wirklich alles. So wie er gerade war kann ich ihm sogar so einiges mehr zutrauen. Diese Roten Augen sind wir eingebrannt in meinem Kopf.

"Du hast Fragen. Stell sie. Ich kann dir dann schon einmal ein paar beantworten."

Jetzt schaue ich das erste Mal auf dieser Fahrt zu ihm. "Was ist er? Warum würde er so wütend und emotionslos? Er war ja fast ein Menschlicher Stein."

Severin neben mir lachte leicht und sieht mich an. Er hielt vor einem Haus an. "Ich werde dir alles oben erklären. Aber wenn du diese Frage beantwortet haben willst musst du sich auf einiges Gefasst machen. Nichts mehr wird so sein wie vorher. Auch ich habe danach alles mit andere Augen gesehen. Alles, selbst mein eigenes Leben selbst hat eine andere Bedeutung bekommen."

In meinem Kopf übersetzt hört sich das etwas anders an. Ich verstehe ihn aber es bedeutet auch automatisch, dass wenn ich mit ihm aus diesem Auto aussteige gibt es kein Zurück mehr von der Wahrheit. Ich nicke.

Seine Worte hallten mir in meinem Kopf nach. "Welt.", "Andere Augen sehen.", "Veränderung.". Was war denn heutzutage schon noch normal? Zusammen stiegen wir aus und er schloss sein Auto ab. Die Waffe hatte ich vorher sorgfältig in dem Handschuhfach vor mir verstaut. Ihm vertraute ich. Im Moment zumindest noch.

Er ging auf eines der Häuser zu und schloss die Tür auf. Normal wie jedes andere Haus in dieser Straße sah es zumindest von außen aus. Das kann sich alles immer halb ein paar Sekunden ändern. Er ging in sein Haus holen und machte dann eine einladende Geste.

Ohne weiter darüber nach zu denken gehe ich auf das Haus zu. Im Hinterkopf habe ich immer noch diesen einen klagenden Gedanken. Mein Leben wird jetzt sicherlich komplett umgekrempelt. Wenn es das nicht schon längst wurde.

"Ich wäre dir wirklich sehr verbunden, wenn du die Schuhe ausziehen würdest. Ich habe sogar Hausschuhe."

Ich musste schmunzeln. Nett von ihm. Aber trotzdem lehnte ich dankend ab. Ich laufe lieber, wie bei mir zuhause auch, ohne Hausschuhe herum. Später vergesse ich noch sie auszuziehen oder sonst etwas. "Dann bevor wir zum eigentlich wichtigen Teil kommen kann ich dir etwas zu trinken anbieten?"

"Irgendetwas Starkes. Ich brauche etwas zum herunterkommen."

"Kommt sofort! Geh' schon einmal ins Wohnzimmer. Einfach geradeaus durch gehen."

Er verwand in der Küche und ließ mich alleine in dem Flur stehen. Wie er mir gerade gesagt hat gehe ich Richtung Wohnzimmer. Alles war Hell und nach meinem Geschmack sehr alt. Alles war irgendwie verschnörkelte und außerdem auch aus Holz. Ein sehr dunkles Holz.

Es sah alles sehr einladen aus aber trotzdem fühle ich mich wie in die Barock Zeit zurückversetzt. Ich traute mich gar nicht richtig mich auf eine der Stühle zu setzen. Sie sahen für den alltäglichen Gebrauch zu wertvoll aus.

Schnell, bevor es echt peinlich wurde, setze ich mir auf das Sofa. Der Stoff der das Sofa ummantelte war dunkelrot und sehr weich. Echt merkwürdig und komisch.

"Ich habe ihnen etwas Vodka mitgebracht. Aber auch Bourbon. Ja nach dem ob sie direkt einen Schock bekommen wollen oder erst nach ein paar Gläsern."

Severin kam mit zwei Gläsern und zwei Flaschen in der Hand zu mir. Er stellte alles geordnet auf den Tisch. "Ich bevorzuge dann doch lieber den Bourbon, danke."

Er nahm die Flasche und schüttete in ein Glas ein bisschen hinein. Er gab es mir und ich nahm das Glas nickend entgegen. Es war ein wirklich schönes Glas. Das Muster am Glasboden war ungewohnt und irgendwie witzig. Ich weiß nicht recht wie ich es besser beschreiben könnte.

"Nun zu deinen Fragen."

Er setzte sich auf einen der Stühle, vor denn ich vorhin stand und drehte sich zu mir. Er überschlug das eine Bein auf das andere und musterte mich. In der einen Hand sein Glas und in seiner anderen fehlte nur noch eine angezündete Zigarre.

"Was hat ihn dazu gebracht auf einmal so anders zu werden? Er war wie ausgewechselt. Einfach so.", sagte ich und nahm einen kleinen Schluck aus dem Glas. Ich war erstaunt. Ich sollte mich langsam wieder mal auf den normalen Alkoholkonsum gewöhnen. In der letzten Zeit habe ich viel und vor allem auch guten Alkohol getrunken. In allen möglichen Variationen.

"Wahrscheinlich konnte er sich nicht mehr kontrollieren.", sagte er und schaute wütend auf sein Glas. " Das passiert leider ab und zu aber bei ihm eigentlich nicht so oft. Hat ihn irgendetwas aufgeregt oder sonst etwas?"

"Wir haben nur eine kleine angetrunkene Wette geschlossen. Dann war er weg. Aber wie meinst du das mit Kontrolle verlieren?"

"Ich habe ganz vergessen dir die Vorgeschichte zu erzählen. Entschuldige.", sagte er in einem sanften Ton und setzte sich gemütlicher hin. Das leicht gefilmte Licht warf Schatten auf sein Gesicht. Irgendwie gruselig.

"Das Unglück passierte 1888. Ich glaube es im Mai oder April. Er hatte einen schwerwiegenden Unfall bei dem er Vater so wie Schwester verlor. Er hatte niemanden außer mich. Nur ich könnte Fall an das Überleben über die Jahrzehnte beibringen. Ganz schön schwierig mit so einem Typen wie ihm zu arbeiten. Wie sind mal..."

"Warte, Warte, Warte. 1888? Das ist schon über 100 Jahre her oder nicht?"

Ich habe Angst. Ein Teil von mir hofft, dass er sich einfach nur im Datum Vertan hat. Doch so einen Eindruck machte er nicht. Leider.

"Naja. Ich mache es kurz, schade. Wir sind Vampire."

Blood Dead [1] #Ortusaward2020Where stories live. Discover now