Teil7

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Irgendwann gegen Morgen erwachte Jeremy als Erster. Er sah an sich herunter und fragte sich, wie es kam, dass dieser junge Engländer mit dem seltsamen, langen Namen so selbstverständlich auf seinem Schoß schlief. Im Schlaf sah er noch jünger aus als sowieso schon. Anfang zwanzig, schätzte Jeremy, und wenn er genau hinsah, dann schimmerte da ein rötlicher Haaransatz durch. Schauspieler. Haare gefärbt. Was er wohl für Rollen spielte? Irgendwie gefiel Jeremy die Vorstellung, dass sie beide einen Beruf hatten, bei dem sie auf der Bühne standen. Was sie wohl noch gemeinsam hätten? Und wenn sie sich tatsächlich ähnlich waren, vielleicht könnte dann was daraus werden ... 

Als er wieder hinsah, schlug Rufus die Augen auf. 

„Guten Morgen", sagte er leise mit einem hinreißenden Lächeln. 

„Dir auch." 

Und schneller als es Jeremy lieb war, war Rufus auch schon aufgestanden und schaute sich nach seinen Sachen um. Er hatte es sich doch nicht etwa anders überlegt und wollte jetzt einfach so verschwinden? 

„Was ist?", fragte er plötzlich, während er sich seine Kleider anzog, „du willst doch wohl nicht da liegen bleiben, oder? Wir können zu mir fahren und was zum Frühstück mitnehmen. Ich muss erst abends im Theater sein. Also haben wir den ganzen Tag." 

Das klang toll.

„Ich komme ja schon." 

Irgendwie war es ganz cool, dass Rufus genau wusste, was er wollte. Und irgendwie deckte sich das mit dem, was Jeremy wollte. 

„Ich habe heute Abend keine Vorstellung und könnte mir anschauen was du machst", schlug er vor.

„Magst du Shakespeare?"

„Aber ja." Das war nicht gelogen.

„Cool. Morgen ist keine Vorstellung. Und bei dir?"

„Sonntags nie."

„Bei mir auch nicht. Wir könnten aufs Land fahren."

„Was sollen wir da?"

„Da fällt uns schon was ein."

Jeremy zog sich jetzt auch schnell etwas an. Sie hatten gerade Pläne zusammen gemacht. Das war grandios. Er müsste später unbedingt eine Nachricht an June schreiben! 

„Ich bin so weit."

„Na dann komm."

Jeremy blickte sich noch einmal kurz um, um sicher zu gehen, dass nicht jeder vom Hauspersonal gleich merken würde, was sie in der Garderobe getrieben hatten. So weit war alles halbwegs in Ordnung. Dann machten sich die zwei auf den Weg nach draußen. Im Haus waren erst wenige Angestellte unterwegs und schauten leicht überrascht, weil sie sich nicht erklären konnten, warum Mister Harrison so früh in der Oper war. Und auf Rufus konnten sie sich ebenso keinen Reim machen. Der fand das Ganze nur allzu amüsant, jedenfalls sah es ganz danach aus.

„Kann es sein, dass wir hier gerade deinen Ruf ruinieren?", fragte er mit nicht eben wenig Ironie. 

Jeremy lachte nur. Und wenn schon, wen interessierte das. 

Schließlich kamen sie auf die Straße und Jeremy wollte direkt ein Taxi rufen, aber Rufus hielt ihn zurück. 

„Lass mal. Ich steh' da hinten." 

Er deutete in die Richtung vom Covent Garden Markt durch Floral Street. Jeremy fragte sich gerade, wo man da in der Gasse überhaupt parken könnte, als Rufus schon auf ein Motorrad zuging. Das wurde ja immer besser! Die Lederjacke wäre wohl ein Hinweis gewesen. Rufus öffnete sogleich eine Box und holte seinen Helm hervor. 

„Hier, nimm du den. Du kommst hinter mich und hältst dich gut fest." 

Jeremy grinste. Er würde sich bestimmt so richtig gut festhalten. Gar kein Zweifel.

No lies, keine LügenWhere stories live. Discover now