Teil27

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Jeremy genoss die Motorradfahrt, wie immer, und noch mehr in der neuen Jacke, konnte sich aber nicht gegen den Gedanken wehren, dass er in nächster Zeit doch ein Taxi nehmen müsste. Aber vielleicht würde man sie unter den Helmen auch nicht erkennen? In jedem Fall behielten sie die Dinger auf, bis sie das Haus betreten hatten. Der Pförtner wies ihnen den Weg in eines der Büros, wo der Typ von der Opera Now und Peter bereits warteten. Da war auch noch eine Frau, die Peter als Mrs. Bakerfield vorstellte. Sie war wohl eine Art Spezialistin in Fake- News und Täuschungsmanövern. Peter nannte sie eine PR und Society-Expertin. Bestimmt hatte die schon einen „Schlachtplan" entwickelt. Um irgendwie anzufangen, stellte Jeremy Rufus vor, der allen charmant die Hand gab. Mrs. Bakerfield schien zum einen erfreut, aber auch überrascht. „Sie sind verwandt mit dem Duke of Sommerford?"

Rufus wirkte ein wenig verlegen, lächelte aber höflich. „Sein jüngerer Bruder", gab Jeremy knapp zur Antwort.

„Ich bedaure sehr, dass man Sie und ihren Bruder in so eine missliche Lage bringt", fuhr sie fort.

„Daran ist für Richard nichts misslich." Rufus lächelte noch, aber er schoss scharf zurück. Er war sich des uneingeschränkten Rückhalts seines Bruders absolut sicher. Rick konnte nerven, aber er gab immer Rückendeckung. Jeremy fragte sich, ob Rufus seinen Bruder überhaupt eingeweiht hatte. Wenn er es nicht getan hatte, dann sicherlich, weil es für Richard wirklich keinerlei Problem darstellte. Mrs. Bakerfields Katzbuckelei deutete jedenfalls an, dass es höchst unfein war, die Sommerford St. Aubyns mit derlei Dingen zu belästigen. Der Typ von der Zeitung, Mr. Hurst, schaute jetzt leicht verunsichert. Peter wirkte eher neugierig. Jeremy sah darin eine Chance, sich jetzt auch zu positionieren. „Erklären Sie mir und seiner Lordschaft doch einfach, was man jetzt von uns erwartet." Als Amerikaner hätte er nie gedacht, dass es ihm so viel Genugtuung verschaffen würde, mit Rufus' Titel zu protzen. Aber das hatte Wirkung. Peter, Mrs. Bakerfield und Hurst tauschten vielsagende Blicke aus. Dann begann sie. „Nun ja, zunächst einmal ist die Identität von seiner Lordschaft..."

„Oh bitte, Mr. Sommerford reicht vollkommen", warf Rufus gespielt gönnerisch ein, wobei nur Jeremy den ironischen Unterton erkannte.

„...also die Identität von Mr. Sommerford dürfte für alle nur von Vorteil sein. Niemand würde es wagen, über die Besuche in der Garderobe, die selbstverständlich rein gesellschaftlicher Natur waren, Gerüchte zu verbreiten."

„Was meinen Sie mit gesellschaftlich?", wollte Peter wissen. Jeremy spitzte sogleich die Ohren. Rufus hatte dagegen sofort verstanden.

„Sie meint, dass ich in Vertretung meines Bruders, als Mäzen des Hauses, gesellschaftlichen Umgang mit dir gepflegt habe. Sozusagen Höflichkeitsbesuche." Er konnte sich ein Augenzwinkern nicht verkneifen, als er das sagte.

Jeremy fing an, das alles irgendwie amüsant zu finden. „Das stimmt", sagte er, „du bist immer sehr höflich", und zwinkerte zurück.

Mr. Hurst schien das alles weniger lustig zu finden. „Es bleibt also bei absoluter Diskretion von ihrer Seite?", wollte er wissen.

„Aber natürlich", bestätigte Jeremy. Rufus nickte.

„Dann", begann jetzt Peter, „sollten wir uns darauf konzentrieren, den Lesern der Opera Now und dem Publikum eine kleine Romanze zu bieten. Nur sicherheitshalber. Wir haben einen Fototermin für dich und June arrangiert, nachher im Foyer und im Hotel. Morgen bei der Vorstellung, habt ihr in der Pause ein gemeinsames Interview und am Freitag findet ein Galadiner für die nominierten Künstler statt. Da geht ihr auch gemeinsam hin."

Jeremy war über die schlichte Perfidität des Plans doch einigermaßen erstaunt. Offenbar würde allein die Präsenz von June bereits genügen, um den Leuten vorzugaukeln, dass sie ein Paar wären. Für ihn funktionierte die Welt wohl wirklich völlig anders als für die meisten Leute, denn nur wenn zwei Kollegen gut miteinander arbeiteten und in der Öffentlichkeit erschienen, dann spekulierte er da noch lange nicht über eine Liebesgeschichte.

„Weiß June schon davon?", wollte er jetzt wissen.

„Aber ja, wir haben heute Morgen gesprochen. Sie ist bereit, wenn du es bist", antwortete Peter.

„Das bin ich unter zwei Bedingungen. Es muss bei diesem einen, einzigen Anlass bleiben. Und Rufus und ich willigen nur unter der Voraussetzung ein, dass es gleich nach der Preisverleihung, egal wie diese ausgeht, beendet ist. Dann tun wir bis dahin, was zu tun ist." Jeremy hatte sich das gerade spontan ausgedacht und schaute zu Rufus, ob der damit einverstanden war. Rufus senkte zustimmend den Blick und nickte dann.

„Keinen Tag länger", sagte er zur Versicherung.

„Gut, sehr gut. Dann werden wir uns ja einig." Peter klang erleichtert und der Typ von der Opera Now holte ein Schriftstück aus einer Aktentasche hervor.

„Was ist das?" Jeremy war jetzt leicht alarmiert. Sollte er das auch noch schriftlich geben? Wenn er es bisher ausgehalten hatte, dann fühlte er sich jetzt doch gedemütigt.

Mr. Hurst drehte das Schriftstück so, dass Jeremy es lesen konnte. „Das ist eine Einverständniserklärung zu den bereits erwähnten öffentlichen Anlässen zu erscheinen, ebenso zu weiteren Anlässen, die sich im Laufe der nächsten Wochen noch ergeben könnten, unsere PR-Abteilung und Mrs. Bakerfield werden sich darum kümmern. Natürlich kommen Sie auch zur Preisverleihung mit Miss Fairfax. Und sie verpflichten sich zur Diskretion in Bezug auf Mr. Sommerford."

„Was heißt Diskretion? Ist das diskret genug, wenn wir in seiner Wohnung oder auf dem Familienanwesen sind?" Das klang gereizt. Jeremy merkte jetzt, wie sehr es ihm wirklich gegen den Strich ging. Sollte er etwas unterschreiben, was ihm Regeln für sein Zusammensein mit Rufus vorschrieb? Hatten er und David auf all diesen Demonstrationen etwa umsonst gekämpft? Rufus trat dichter an ihn heran. Entweder wollte er damit zeigen, dass er zu ihm stand, oder er wappnete sich für einen möglichen Ausraster. Es war wohl beides. Jeremy hielt es jedoch für besser, sich zu beruhigen. Diese Typen hatten keine Ahnung und folgten den Regeln einer Gesellschaft, die sie selbst auch nicht diktierten. Jeremy hasste es trotzdem und senkte den Blick.

„Also gut, ich unterschreibe. Aber wenn wir es wollen, dann kann Rufus jederzeit mitkommen. Zu dem Diner oder zu der Preisverleihung. Nur so, wie ein Freund oder Bekannter, aber wenn er will, dann kommt er mit." Jeremy schaute zu Rufus. Der nickte unmerklich.

„Also schön. Wenn Sie diskret sind und Miss Fairfax auch immer bei Ihnen ist, dann wird das gehen", fand Mr. Hurst.

Jetzt nahm Jeremy den „Vertrag", fast so, als würde er fürchten, dass der ihn beißt.

„Peter, du hast das gelesen? Ist das okay?" fragte er seinen Manager.

„Wenn du dich nicht daran hältst, ist keiner von den Anwesenden für irgendetwas verantwortlich. Wenn du für Schlagzeilen sorgst, die deinen Ruf schädigen, dann ist das deine Sache. Das ist die kurze Version davon," erklärte Peter den Inhalt.

Jeremy unterzeichnete.

Mr. Hurst, Mrs. Bakerfield und Peter schienen erleichtert. Rufus, das erkannte nur Jeremy, war angespannt wie ein Bogen.

Dann verließen sie gemeinsam den Raum.

Kaum war die Tür ins Schloss gefallen, atmete Jeremy auf. Zwar war das alles nicht in Ordnung, aber sie hatten es hinter sich gebracht. Und Rufus war toll gewesen.

„Das war reiner Bullshit, aber du warst große Klasse", flüsterte Jeremy, während sie diskret zum Ausgang gingen.

„Du meinst den Sommerford St. Aubyn Joker?! Ja, manchmal ist der ganz hilfreich. Ich werde Richard davon erzählen, damit er Bescheid weiß." Also hatte Rufus sich das alles auch gerade so ausgedacht. Dann waren sie ja schon zwei.

„Und übrigens, nur für den Fall, dass wir die Karte nochmal ziehen müssen. Ich habe als der Jüngere den Ehrentitel Marquess."

„Das klingt gut, das merke ich mir. Marquess Rufus. Du kannst mich Yankee nennen."

„Ich hoffe, das ist jetzt kein Kink von dir?"

Jeremy musste lachen, trotz aller Diskretion. Also hatte keiner von beiden seinen Humor verloren. Das war gut. „Gehen wir zum Hotel", schlug er vor, „da rede ich mit June und du musst dann ins Theater."

„Okay."

No lies, keine LügenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt