Teil12

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Im Hotel hatte Jeremy einen kurzen Anflug von schlechtem Gewissen. Er sollte sich melden, aber dazu hatte er weder Lust noch Zeit, wie er sich einredete. Es war definitiv schon zu spät, um bei June vorbeizuschauen und sie würden sich übermorgen sowieso sehen. Er würde es jetzt einfach tun. Mit seinem superheißen Lover einen Tag lang komplett untertauchen. Der Gedanke daran beflügelte ihn geradezu und er schmiss nur schnell ein paar Dinge zusammen in eine Tasche, dann war er auch schon wieder weg. Rufus wartete lässig unten vor dem Hotel auf dem Motorrad und ließ die Maschine an, als er Jeremy kommen sah. Der stopfte nur schnell sein Zeug in eine Gepäcktasche, saß auf und dann ging es auch schon los. Dieses Mal ging die Fahrt nach Süden. Rufus hatte gesagt, es wäre nicht so weit und Jeremy hatte nicht weiter nachgefragt... 

Offensichtlich war Entfernung auf einem schnellen Bike mit Rufus extrem relativ. Kaum hatten sie das Stadtgebiet Greater Londons verlassen und die A3 erreicht, da machte Rufus richtig Tempo. Etwa eine Stunde rasten sie so dahin, bis es auf kleinere Straßen und schließlich auf Landstraßen ging. Rufus kannte den Weg natürlich nur zu gut, deswegen dauerte es nicht lange und sie kamen an kleinen Dörfern vorbei und schließlich war da nur noch Landschaft, die geradezu idyllisch im Mondschein dalag. Sie passierten ein Schild, das auf den South Downs Nationalpark hinwies. Das gab Jeremy eine ungefähre Orientierung. Schließlich fuhren sie durch einen riesigen Torbogen aus Stein, der mit Rehen und Hirschen verziert war. Der Weg dahinter führte durch einen Park oder Landschaftsgarten. Hier fuhr Rufus endlich langsam und irgendwann tauchte ein Haus vor ihnen auf, das zwischen hohen Bäumen erst kleiner wirkte als es war. Als sie davor hielten, war es ein ansehnliches, recht großes, zweistöckiges Haus, wie man es aus Jane Austen Verfilmungen kennt. Noch etwas steif von der Fahrt stieg Jeremy vom Sitz und nahm auch den Helm ab. Rufus schüttelte sich bereits den Lockenkopf und stellte dann das Motorrad ab. Es wunderte Jeremy, dass noch kein Licht im Haus anging, denn die Maschine war nicht zu überhören gewesen. „Stört es nicht, wenn wir so spät hier auftauchen?", fragte er. Rufus lachte nur. „Hier ist keiner außer uns. Das ist ja der Punkt!" Jeremy beschloss, lieber nachzufragen, bevor er sich etwas Falsches einbildete. „Du meinst, du wohnst allein in dem Riesenkasten da? Bist du ein Prinz oder sowas?" Rufus fand das ebenso komisch wie die erste Frage. „Ach nein, wie kommst du auf sowas? Das hier ist das Dower House. Hat mal meiner Großmutter gehört. Mein Bruder und seine Frau wohnen drüben auf der anderen Seite im Herrenhaus."

„Auf der anderen Seite von was?"

„Sieht man im Dunkeln nicht. Da ist ein See."

„Ihr seid...reich?"

„Wir sind alter Adel, mit zu viel alten Mauern und Grünflächen. Willst du gar nicht genauer wissen."

Das war wohl ein ja, auch wenn es nicht ganz so klang. Britisches Understatement. Und doch, ein wenig mehr wollte Jeremy jetzt schon wissen. „Also bist du ein Lord oder Earl oder sowas?"

„Du hast echt keine Ahnung, oder? Als der jüngere Sohn bin ich rein faktisch gar nichts und Richard ist der Duke of Sommerford St. Aubyn. Du kannst ihn seine Gnaden nennen, wenn du magst." Das war wohl ein Witz. Jeremy ließ es fürs Erste gut sein und folgte seiner Lordschaft ins Haus. Inzwischen rechnete er mit dem Anblick von Jagdwaffen, Ritterrüstungen und ausgestopften Trophäen, doch ganz offensichtlich hatte das alles spätestens mit der Großmutter seinen Abschied genommen. Stattdessen war die Eingangshalle mit Fotografien und modernen Bildern ausgestattet. Eine modernisierte Treppe führte nach oben. Jeremy zögerte kurz, um sich umzusehen, da war Rufus schon halb die Treppe hinauf. „Kommst du?"

Und ob er kam. Er schloss die Tür hinter sich und folgte nach oben. Dort war Rufus bereits ins Schlafzimmer gegangen und hatte begonnen, sich auszuziehen. Er trug nur noch seine Hosen und kam direkt auf Jeremy zu, um ihm ebenfalls eilig Jacke und Hemd auszuziehen. Dann küssten sie sich, aber zu so später Stunde mehr zärtlich als leidenschaftlich, wie Jeremy fand. Das fühlte sich gut und richtig an. „Wie sieht's aus? Wir sollten duschen und dann schlafen. Morgen zeige ich dir 'n bisschen was", schlug Rufus vor.

„Von eurem Schloss oder was das ist?" Jeremy war echt zu müde, um noch an irgendwas zu denken.

„Davon auch." Mit diesen Worten ging Rufus ins Bad und deutete Jeremy an, ihm zu folgen. Die Dusche war groß genug für zwei und wäre auch groß genug für alles Mögliche, aber das war jetzt wirklich nicht mehr dran. Stattdessen wuschen sie sich und Jeremy verschob das Rasieren wieder auf morgen. Rufus hatte riesige, weiche, flauschige, ausgerechnet himmelblaue Handtücher und schließlich lagen sie warm und duftend und mit dem Gesicht zugewandt nebeneinander. Keine zwei Minuten später begann Jeremy leise zu schnarchen, was Rufus nicht mehr hörte oder störte...

No lies, keine LügenWhere stories live. Discover now