Teil29

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„Du bist richtig verliebt", bemerkte June, kaum dass Rufus gegangen war.

Natürlich war Jeremy mehr als das. „Du machst dir gar keine Vorstellung davon, ich bin völlig verrückt nach ihm. Er hat mein Leben in wenigen Tagen so sehr verändert!"

„Kein Wunder, er sieht auch umwerfend aus", fand sie.

„Das ist es nicht", sagte Jeremy und suchte nach Worten, um für sie zu beschreiben, was es denn war. „Er ist wie... Regen nach einer endlosen Dürre, ...wie ein erleuchtetes Fenster in tiefer Nacht, ...wie eine Farbe. Und er gibt mir das Gefühl, dass ich das alles auch für ihn bin."

„Du hast ihm von David erzählt?"

„Ja, er weiß es. Und er ist toll damit."

„Ich glaube, er mag mich nicht."

„Er mag die Situation nicht. Und ich auch nicht. Wenn das alles hier vorbei ist, dann wirst du sehen, dass ich damit richtigliege. Er ist so jung und so privilegiert aufgewachsen, dass er gar nicht versteht, wozu wir so ein Affentheater veranstalten müssen."

June nickte. Vielleicht hätte Jeremy damit Recht.

Drei Stunden später kam es Jeremy so vor, als wolle das Fotoshooting überhaupt kein Ende nehmen. Der Fotograf hatte immer noch weitere Ideen und Mrs. Bakerfield gab jedes Mal ihre Meinung dazu. Immerhin war sie von June und Jeremys Outfits begeistert. Dass June in dieser Hinsicht so stilsicher war, hatte das Ganze wahrscheinlich enorm verkürzt. June trug eine klassische Kombination im Marine Stil – nicht zu förmlich war ihr Motto, aber top aktuell. Jeremy hatte sie nach kurzem Protest eine Jeans erlaubt, aber dazu trug er ein dunkles Jackett mit einem passend blauen Hemd. Krawatte hatte er auch verweigert. Sie hatten in den Dorf- und Strand- Kulissen des Grimes posiert, einzeln in ihren Garderoben und jetzt war noch die Crush Bar dran. Hier sollten die Fotos den gewissen Touch kriegen, der die Leser der Opera Now in Sicherheit wiegen beziehungsweise in die Irre führen sollte, je nachdem, von welchem Standpunkt man es betrachtete. Jeremy sollte lässig mit dem Rücken und aufgestützten Ellenbogen an der Bar lehnen, June saß auf einem Barhocker, ihm zugewandt und mit einem Arm auf der Bar liegend, sodass sie sich fast berührten. Jeremys Hemd war absichtlich einen Knopf weiter auf als zuvor. Sein Drink und ihr Lippenstift hatten genau die gleiche Farbe. Das würde sicher die gewünschten Assoziationen wecken. Keine Lügen... Das Interview zielte auf Kopfkino. Beide kamen aus den USA, sie hatten sich bei einer Masterclass kennengelernt, beide liebten Britten, sie genossen beide die Zeit in London und sie sollten die Eigenschaft des anderen nennen, die ihnen die liebste war. Jeremy nannte Junes Humor. Später würde das Magazin daraus ihren Humor machen, der sie für ihn so besonders liebenswert machte. June nannte Jeremys Leidenschaft für die Musik. Das Magazin würde nur die Leidenschaft nennen. Irgendwann ließ Jeremys Konzentration deutlich nach und beinahe hätte er für sich geschmunzelt, denn die Situation, dass er gerade ein Interview gab, in dem alles so klingen sollte, als seien er und June ein Paar, während er gerade daran dachte, dass er seinen Arztbesuch wegen des AIDS-Tests verschieben müsste, war irgendwie bizarr komisch. Er konnte zwar davon ausgehen, dass alles in Ordnung war, denn er war negativ beim letzten Test, doch Davids Diagnose kam auch wie aus dem Nichts. „Mr. Harrison, wie sehen ihre Pläne für die Zukunft aus?", wollte der Journalist wissen und schaute, als würde er die Frage wiederholen. „Meine Pläne?", Jeremy überlegte kurz, dann fiel ihm ein, was als nächstes Projekt anstand. „Nun ja, wenn der Grimes gespielt ist, dann geht's zurück in die USA, zwei Monate an der Met mit „Tannhäuser" unter Levi." „Das ist wieder mit Miss Fairfax?"

„Ich werde die Elisabeth in dieser Produktion singen", warf June ein.

„Das ist das Liebespaar, nicht wahr?" Der Typ hatte seinen Job gelernt und ließ nichts aus.

„Ja", sagte Jeremy schlicht. Was sollte er auch sonst sagen. „Wenn Sie dann alles hätten, was sie brauchen, dann würde ich jetzt gern Schluss machen. Ich habe noch etwas vor mit dem angefangenen Abend."

„Du meinst", korrigierte June, „wir haben noch etwas vor." Sie lächelte, als wäre nichts dabei, wenn sie dem Journalisten diese Steilvorlage gab. Jeremy fragte sich, woher sie den Nerv dafür nahm. Er sagte gar nichts und stand auf, um dem Typen vom Magazin die Hand zu geben, damit er das Zeichen verstand und verschwand. „Vielen Dank für ihre Zeit und guten Abend."

Der Typ nahm es tatsächlich richtig auf, bedankte sich ebenfalls und ließ die beiden dann allein.

„Das wäre geschafft!", jubelte June, „Ab der nächsten Ausgabe sind wir das neue Traumpaar der Opernszene. Wir sind wie die Netrebo und Villozanne."

„Dass du das alles so als Spaß siehst und lügst, ohne rot zu werden, ist mir gerade echt zu viel." Er schüttelte verständnislos den Kopf und der vorwurfsvolle Unterton war nicht zu überhören.

„Ach Jerry, sieh das nicht so eng. Hauptsache ist doch, wir kriegen, was wir wollen." Seit wann nannte sie ihn Jerry? Okay, vielleicht war er jetzt überspannt und reagierte gereizt auf alles. Er müsste erstmal irgendwie 'runterkommen. Wenn es nur schon so weit wäre, dass er und Rufus allein sein könnten...

„June, nimm es mir nicht übel, aber ich will hier sofort weg. Ich habe heute Dinge getan, die ich nie tun wollte. Ich habe mich selbst verleugnet und ich kann jetzt nicht mehr." Wie schlimm er das alles fand, wurde ihm erst jetzt klar, als er es aussprach.

Sie legte ihm plötzlich wie zum Trost den Arm um die Schulter und gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Nimm das nicht so ernst. Es wird bestimmt alles gut." Jeremy versteifte instinktiv. Dabei war es weniger die Umarmung an sich, sie war ja seine beste Freundin, als ihr Unverständnis der Situation, das ihn abstieß. Da war kein echtes Begreifen. Und so gab sie ihm eher das Gefühl, dass er sich nicht so anstellen solle...Du bist überreizt, sie meint es nur gut...

Er wartete einen höflichen Moment, dann befreite er sich langsam. „June, du bist lieb, aber ich muss jetzt gehen. Ich muss weg hier."

Sie schaute ihm nach mit einem Blick, den er nicht deuten konnte. Überraschung? Enttäuschung? Verwirrung? „Ist gut. Melde dich morgen wegen des Diners", rief sie ihm noch nach. Das Diner? Echt jetzt?

Nichts wie weg und in ein Taxi.

No lies, keine LügenDonde viven las historias. Descúbrelo ahora