Verwirrung

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Der Weg zu meiner Klasse fällt mir am nächsten Morgen besonders schwer. Ich habe schlecht geschlafen und wurde immer wieder von wirren Träumen heimgesucht, in denen Ben meine Tante bedroht hat.

Als ich nur noch durch die Tür in die Klasse gehen muss, wird mir schlecht. Ich habe keine Ahnung, wie ich mich verhalten soll. Ich könnte so tun, als würde ich davon nichts wissen, doch mir viel es bereits gestern bei einer viel banaleren Sache schwer zu lügen.

Was, wenn er sauer wird, weil ich nun weiß, dass er zu diesen Schutzgeld-Erpressern gehört? 

Ich atme tief ein und wieder aus, dann setze ich langsam einen Fuß vor den anderen. Mit gesenktem Kopf laufe ich durch die Reihen, bis ich keine andere Wahl habe, als hochzusehen.

Und sofort fallen meine Augen auf Ben. Er sitzt an seinem Platz und tippt etwas in sein Handy. Heute hat er einen weißen Pullover an zu einer schwarzen Jeans. Er sieht eigentlich ganz süß aus, wenn er mal nicht aggressiv ist. 

Ich schüttle diesen Gedanken schnell ab, denn dafür war wirklich nicht der richtige Zeitpunkt.

Stumm setze ich mich auf den freien Stuhl, was ihn dazu bewegt, kurz aufzusehen. Als er mich entdeckt, schaut er unbeeindruckt wieder auf sein Handy herab und tippt weiter.

Wir sind dieses Mal zusammen mit einer anderen Gruppe für die Werkstatt eingeteilt, aber da die anderen noch nicht soweit sind, schweigen wir uns zu zweit in dem großen Raum an. 

Ich konzentriere mich ganz auf die Arbeit und hoffe, dass diese Lahmärsche auch bald in diesem furchtbaren Raum aufkreuzen.

 Als Ben über mich hinweg zu einem Stück Pappe greift und mich aus meinen tiefen Gedanken reißt, zucke ich zusammen. Er schaut mich mit großen Augen an. „Alles okay?", fragt er und mustert mich mit hochgezogener Augenbraue. 

Ich bin mir unsicher, was ich sagen soll, nicke kurz und drehe mich weg. „Du bist noch schweigsamer als sonst. Was hast du?", fragt er, als hätten wir uns jemals schon richtig unterhalten. „Warum interessiert dich das?", erwidere ich abweisend und schnappe mir zum fünften Mal den selben Draht, den ich dann wieder fallen lasse. Er antwortet nicht.

Ich weiß nicht genau, warum, aber innerlich führe ich einen Kampf mit mir selbst. Wenn er wüsste, dass ich es weiß, würde er mich ja vielleicht in Ruhe lassen? Da wir noch mindestens eine weitere Woche aufeinander angewiesen sind und ich mich nicht konzentrieren kann, weil ich so damit beschäftigt bin, beschäftigt zu wirken, muss sich etwas an der Situation ändern. 

Ich brauche weitere 20 Minuten, bis die Worte endlich meinen Mund verlassen.

„Ich weiß es. Ich weiß, dass du zu denen gehörst und dass ihr Geld von meiner Tante nehmt..." Mein Herz rast, denn ich kann nicht abschätzen, wie er reagieren wird. Seufzend setzt er sich auf einen der Tische, stellt sein rechtes Bein auf den Stuhl davor. „Dann weißt du auch, dass wir dafür Sorgen, dass euch niemand zu Nahe kommt", beginnt er ruhig.  

"Dass hätte dir nicht passieren dürfen", mit dem Kinn deutet er auf meinen blauen Fleck. "Ich habe mich darum gekümmert"

Bei diesen Worten wird mir erneut schlecht. Ich wusste nicht, was genau er damit meinte und malte mir in diesem Moment alle möglichen Szenarien aus. Er spricht immer in Rätseln und das gibt mir viel zu viel Freiraum, um die schlimmsten Dinge daraus zu interpretieren. 

Ich bin mir nicht einmal sicher, ob er mich hasst, denn er verhält sich oft so, doch dann wieder nicht... vermutlich weiß er es selbst nicht. 

„Ich verstehe das alles nicht. Was willst du eigentlich von mir? Erst gibst du mir das Gefühl, du willst mich fertig machen und dann interessierst du dich dafür, dass ich diesen dämlichen blauen Fleck habe. Erkläre es mir...bitte." Ich scheine lebensmüde zu sein. 

„Ich will dich nicht fertig machen... keine Ahnung, du verwirrst mich.", sagt er und schaut aus dem Fenster. „Inwiefern verwirre ich dich denn?" 

„Scheiße, was weiß ich. Ich hab kein Bock auf sowas..." Er steht ruckartig auf, sodass der Stuhl umkippt. Dann verlässt er wieder einmal in alter Manier den Raum, ohne sich umzusehen.

Ich setze mich und atme tief durch. Mit beiden Händen fahre ich mir über mein Gesicht und schaue müde in Richtung Tür. Was hat er nur an sich, das mir keine Ruhe lässt? Alles wäre so viel einfacher, wenn wir lediglich unsere Arbeit machen würden, doch insgeheim weiß ich, dass wir genau das nicht tun werden. 

Seufzend räume ich unser Chaos wieder ein und verdrehe die Augen, als die anderen in der Werkstatt aufkreuzen. 

"Ihr seid sowas von zu spät", flüstere ich vorwurfsvoll, als ich an ihnen vorbei und zurück in den Klassenraum laufe. 

Trust me, I am a Bad Boy. / AbgeschlossenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt