Fragen über Fragen

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Ich half Melinda so viel im Café, wie meine Kraft hergab. Seit der Nacht im Club konnte ich nicht mehr richtig schlafen und wälzte mich unruhig von einer Seite zur anderen. Es machte mich fertig und gleichzeitig wütend, dass er so lange auf sich warten ließ. Meine Gedanken hatten so viel Zeit, um darum zu kreisen und sich die schlimmsten Dinge auszumalen. 

Mechanisch betrete ich an diesem Morgen den Klassenraum, versunken in Müdigkeit und meinen Tagträumen. Ich bemerke erst, als ich mich auf meinen Stuhl fallen lasse, dass jemand auf dem Stuhl gegenüber sitzt. Ich schnappe nach Luft, als ich Ben erkenne. Die Erleichterung lässt mich so tief einatmen, wie schon seit Tagen nicht mehr, doch dann schlägt sie in Wut um, dass er sich so lange nicht gemeldet hat. Meine emotionale Achterbahn fährt heute mal wieder extra schnell - und das nur wegen ihm. 

Ben sieht ziemlich müde, aber auf den ersten Blick unverletzt aus. Sein blaues Auge ist fast nicht mehr zu sehen und ich gehe davon aus, dass er in der Schlägerei nicht verwickelt war. 

Seelenruhig betrachtet er meine Arbeit der letzten Tage. Er hat viel verpasst, denn dieser doofe Löwe ist so gut wie fertig. "Sieht gar nicht so scheiße aus", murmelt er und ich frage mich, ob das seine Art ist, Komplimente zu verteilen. 

"Wir sollten das Tagebuch über die Erarbeitung in der Mensa schreiben....", fügt er dann mit einem vielsagenden Blick an. Ich komme nicht umhin, ihm wenigstens einen kleinen Spruch zu drücken. "Naja, so viel wirst du da nicht reinschreiben können" 

Er lässt diesen Satz in der Luft hängen, steht auf und geht an mir vorbei. Ich folge ihm, schnappe mir zwei Schreibblöcke und bin mir sicher, dass heute niemand von uns auch nur ein einziges Wort hineinschreiben wird. 

„Wie geht es dir?", frage ich ihn als wir uns setzen. Ben schaut mich verblüfft an und schüttelt mit einem leisen Schnauben ungläubig den Kopf.

 „Hattest du etwa Angst um mich?", fragt er belustigt und ich erröte. 

„Ich... danke, dass du mich zum Gehen überredet hast. Hier wurde viel geredet und es haben echt viele was abbekommen, als die Massenpanik ausbrach." Er stützt die Arme auf den Tisch. „Schon ok. Gehört ja auch irgendwie dazu, hilflose Frauen zu beschützen." 

Er will sich über mich lustig machen. Die vergangenen Tage habe ich immer mehr Hoffnung in den Gedanken gesteckt, wir könnten bald ganz normal miteinander reden und jetzt das. 

„Also war es doch nur eine Pflicht?", frage ich irgendwie verletzt von seinen Worten und enttäuscht über den Verlauf des Gesprächs, doch dann wird seine Stimme sanfter und er wendet seinen Blick von mir ab. „Nicht nur", seufzt er . "Also, du wolltest reden, hier bin ich." 

So viele Fragen, die in meinem Kopf schwirren und genau in dem Moment, schaffe ich es nicht, auch nur eine von ihnen zu greifen. Ich will unbedingt die wichtigsten Fragen stellen, doch welche waren das?

„Wurde jemand von euch angeschossen?" Er nickt. 

„Wird er überleben?" Er nickt wieder. 

„Willst du nur darüber reden?", fragt er angespannt und ich schüttle nachdenklich den Kopf. 

„Was ist passiert, nachdem ihr dir von dem blauen Fleck erzählt habe?"

„Ich habe denjenigen ausfindig gemacht, der euch beschützen sollte und habe ihn bestraft. Ich habe Ramond besucht und ihm die Nase gebrochen." 

Seine Worte lassen mir das Blut in den Adern gefrieren. Ben erzählt mir, dass er jemanden absichtlich verletzt hat und das in einem Ton, als würde er mir von einem Ausflug ins Disneyland erzählen. Ich war selber schuld. Ich hatte Ehrlichkeit verlangt und nun bekam ich sie. 

„Wie hast du ihn bestraft?", frage ich nach einiger Überwindung. 

„Das geht dich nichts an." 

„Wieso bist du so gemein zu mir?" Er lächelt, wahrscheinlich wegen des Wortes gemein

„Weil ich denke, dass es besser ist, wenn du Angst vor mir hast." 

„Warum?" 

„Weil ich kein guter Umgang bin, du weißt doch, dass ich zu den bösen gehöre." Mit diesen Worten lehnt er sich triumphierend zurück und spielt mit dem Ring an seiner Hand. 

„Wieso hilfst du mir dann, obwohl du möchtest, dass ich Angst vor dir habe?" Er sieht aus dem Fenster, überlegt, setzt sich gerade hin und schaut mir in die Augen. „Das hat mehrere Gründe." 

„Welche?"

„Bist du immer so nervtötend?" „Meistens schon.", antworte ich trocken und wir müssen beide lachen. 

„Na schön. Ich fasse es nicht, dass ich das sage. Ich finde dich interessant, du bist intelligent, hübsch, naiv, nervig und lustig. Als ich den blauen Fleck gesehen habe, wollte ich dich einfach beschützen. Als ich dich im Club gesehen habe, wollte ich gerne kotzen, so wie Tyler dich angemacht hat. Es war eine win-win Situation. Ich konnte dich aus der Gefahrenzone bringen und ihn von dir fernhalten."

Nur er schafft es, dass ich mich geschmeichelt, beleidigt, entsetzt und wieder geschmeichelt fühlte - und das alles binnen weniger Worte und Sekunden. 

„Aber du kannst mich nicht wegstoßen und trotzdem wollen, dass ich mit keinem anderen etwas unternehme." 

„Ich weiß.", sagt er und sein Kiefer spannt sich an. 

„Bist du in Gefahr?", frage ich vorsichtig, weil ich nicht weiß, was ich sonst sagen soll. 

„Immer.", antwortet er ernst.

Trust me, I am a Bad Boy. / AbgeschlossenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt