Festnahme

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"Möchten Sie noch einen Kaffee?", frage ich den älteren Mann, der seit zwei Stunden auf sein Kreuzworträtsel starrt. Er schüttelt den Kopf, ohne mich anzusehen und ich gebe es auf, ihm etwas anzubieten. 

Es ist Anfang Juli und es wird immer heißer hier in Oakland. 

Vorgestern ist die Klimaanlage im Café ausgefallen, was ein absolutes Desaster war. 

David kam her, um uns zu helfen und reparierte die Anlage im Laufe des Nachmittages. 

Er ist total aufgeregt, weil er in ungefähr zwei Wochen Vater wird und bei dem Gedanken, dass Ben dann Onkel sein wird, muss ich schmunzeln.

Die Tür des Cafés geht auf und Ben, Hunter, Steffen und Michael betreten den Raum. 

Jedes Mal, wenn sie das tun, passiert das selbe: Die Leute verstummen, drehen sich zu ihnen um und flüstern sich etwas zu. Ich habe mich schon fast daran gewöhnt. 

Melinda begrüßt sie freundlich und bietet ihnen eine kalte Cola an. Ich räume gerade einen leeren Tisch ab, als Ben zu mir kommt und mich von hinten umarmt. 

"Hast du etwa keine Zeit, um deinen Freund zu begrüßen?", grinst er. 

"Doch, wenn mein Freund etwas bestellt und mir reichlich Trinkgeld gibt", lache ich. 

"Ich gebe dir etwas anderes", flüstert er mir ins Ohr und ich kämpfe dagegen an, knallrot zu werden. 

Ich drehe mich um und er küsst mich. Als ich mich an ihn schmiege, spüre ich die Waffe an seinem Hosenbund. Er dreht sich von mir weg, als er es bemerkt und eine seltsame Stille kehrt zwischen uns ein. 

Es ist unruhiger in der Stadt geworden und ich bin eigentlich froh darüber, dass er sie zum Schutz trägt. 

Wir gehen rüber zu den anderen und ich umarme jeden zur Begrüßung. "Hey Michael, wie läuft es mit... Rose?", frage ich. 

Er seufzt. 

"Hör bloß auf, ihr Frauen seid alle verrückt." Ich muss lachen. 

Ich gönne mir eine kurze Pause und setze mich zu ihnen, bemerke Bens nachdenklichen Blick.

 "Anstrengender Tag heute?", frage ich. 

"Das kannst du laut sagen, am Ende der...", Steffen beendet seinen Satz nicht, weil Ben ihn mit einem warnenden Blick ansieht.

"Ben? Was ist los?", frage ich mit Nachdruck. 

"Danke, Steffen", brummt er. 

Steffen zieht die Schultern hoch und schaut ihn schuldbewusst an.  

"Ein Passant wurde angeschossen. Wir vermuten, sie haben ihn mit einem von uns verwechselt" Ich halte mir die Hand vor den Mund. 

"Wie schlimm ist es?" 

Ben trinkt einen Schluck, um seine Antwort hinauszuzögern. "3 Kugeln haben ihn getroffen. Selbst wenn er es schafft, wird er vermutlich im Rollstuhl sitzen" 

Ein kalter Schauer fährt mir den Rücken entlang. 

"Das ist schrecklich.", sage ich. Ben legt seinen Arm um mich und küsst mich auf die Stirn. "Mach dir keine Sorgen, Babe"

Doch er weiß genau, dass er mich damit nicht beruhigen kann. 

"Wir müssen weiter", sagt Hunter schließlich. Sie verabschieden sich und steigen in den schwarzen Van. 

"Passt auf euch auf.", flüstere ich, während ich zuschaue, wie der Wagen davon fährt. 

Den restlichen Nachmittag bin ich in Gedanken nur bei Ben. Die Angst, ihm könnte etwas zustoßen, wird immer größer. 

Am Abend sitzen Melinda und ich gemütlich am Esstisch. Der Fernseher läuft leise nebenbei und wir essen einen Salat. 

Plötzlich hören wir die Eilmeldung: 

Oakland. Am späten Nachmittag wurde der Clan-Chef Lio Ramirez festgenommen. Ihm werden Straftaten wie Drogenhandel, Waffenhandel und die Beteiligung am Mord von Declan Graith vorgeworfen. Er wird in den nächsten Tagen dem Haftrichter vorgeführt. 

Melinda und ich schauen uns entsetzt an. Sie springt auf und schnappt sich ihr Handy, ich springe auf und rufe Ben an, doch er geht nicht an sein Telefon.

Es ist fast Mitternacht und ich liege hellwach auf meinem Bett.

Es ist viel zu warm zum Schlafen und mir geht die Verhaftung von Bens Bruder nicht aus dem Kopf. 

Ich frage mich, was das für Ben und die Gang bedeutet. Auch an Cleo muss ich denken. Die Arme soll im kommenden Monat ihr Baby bekommen und der Vater ihres Kindes sitzt im Gefängnis. Die Nachricht hat im Laufe des Abends die Runde gemacht und sogar Kendra schrieb mich darauf an. 

Ich schnappe mir meine Kopfhörer, versuche die Gedanken mit Musik zu verdrängen. 

Vielleicht sollte ich Cleo morgen besuchen...

Nachricht von Ben. 

Bist du noch wach? 

Ich antworte ihm sofort und er ruft mich an. "

Hey", sagt er in einem leisen, müden Ton.

"Hey, wie geht's dir?", frage ich sanft. 

"Naja, es geht. Es gab viel zu regeln heute und Cleo ist fix und fertig" 

Ich seufze. 

"Das glaube ich. Ich werde morgen früh zu ihr fahren, vielleicht kann ich ihr irgendwie helfen"

 „Sie wird sich freuen, dich zu sehen" 

Schweigen. 

"Wie geht es jetzt weiter?", frage ich mit einem unguten Gefühl. 

"Naja, wenn der große Bruder festgenommen wird, muss der nächste Bruder übernehmen", versucht er zu scherzen. 

"Wäre das dann nicht David?", frage ich. 

"Ja und nein. Da wir nur Halbgeschwister sind, werde ich den Part übernehmen" 

Meine Brust schnürt sich zusammen. 

"Ben, was heißt das?" 

"Lass uns nicht am Telefon darüber reden. Ich hole dich morgen früh ab und bringe dich zu Cleo. Ich kann aber nicht lange bleiben"

Ich weiß, dass diskutieren jetzt sinnlos ist, also schweige ich. 

"Maria, sei nicht eingeschnappt. Ich brauche deine Unterstützung jetzt mehr denn je" 

Ich lege meinen Kopf in den Nacken und atme tief durch. "Tut mir Leid, du hast recht", gestehe ich. "Ich habe Angst um dich"

"Das brauchst du nicht", sagt er wenig überzeugend. 


Trust me, I am a Bad Boy. / AbgeschlossenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt