Entschuldigung

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Mit Kopfhörern im Ohr mache ich mich auf den Weg in die Schule. Es ist Montagmorgen und mein ganzer Körper tut weh. Jeder Schritt erinnert mich an die Anspannung, die durch meine Muskeln gezogen hatte, als dieser widerliche Typ mich berührt hatte. 

Wenigstens musste ich mit Ben nicht weiter an dem Projekt arbeiten. Es war Geschichte, genau wie alles andere, was mit ihm zusammenhing. 

Ich starrte auf meinen Bildschirm und laß mir erneut die Nachricht durch, die Ben mir gestern Nacht geschrieben hatte: Es tut mir Leid. 

Kopfschüttelnd drückte ich sie weg. Ich hatte nicht darauf geantwortet und diese Entschuldigung konnte er sich sparen. Ich wollte nichts mehr mit ihm zu tun haben... 


Die Klingel ertönt nach den ersten zwei Stunden und ich packe meine Sachen zusammen. Gerade als ich den Raum verlassen möchte, stellt sich mir jemand in den Weg. Erschrocken mache ich einen Satz nach hinten und sehe in seine betrübten, müden Augen. 

"Maria, können wir reden?", fragt er mit belegter Stimme, doch ich gehe ohne ein Wort an ihm vorbei, versuche mir die Anspannung und die Angst nicht anmerken zu lassen. 

"Bitte, ich erzähle dir alles", ruft er mir hinterher. "Fuck, bitte", ruft er und setzt sich in Bewegung, um mir hinterher zu laufen. Genervt von seinem schlechten Versuch verdrehe ich die Augen. Meine nervösen Hände balle ich zu Fäusten, fokussiere den Flur, der sich vor mir erstreckt. Es ist nicht mehr weit bis zu dem Raum, in dem ich den nächsten Unterricht haben werde. 

"Ich habe mich so schrecklich gefühlt gestern", ertönt seine traurige Stimme dicht hinter mir. Mit geschlossenen Augen bleibe ich auf der Stelle stehen. Ich drehe mich langsam zu ihm um und es ist das erste Mal, dass ich ihm wieder in die Augen sehe. 

Er kommt näher, doch ich schüttle energisch den Kopf. "Bitte nicht zu nahe..", flehe ich, immer noch eingeschüchtert von dem Auftritt gestern. 

"Hast du Angst vor mir?", fragt er mit großen, verletzten Augen und ich kaue auf meiner Unterlippe herum. "Ein bisschen", flüstere ich und wende meinen Blick von ihm ab. Sein ganzer Körper spannt sich an und er schaut wütend zu Boden. Dann geht er einen Schritt nach hinten, auch wenn sein ganzer Körper sich dagegen zu wehren scheint. 

"Ich muss es dir erklären...", sagt er leise nach einem kurzen Moment, in dem wir uns still gegenüber standen. 

"Ich habe jetzt Unterricht", seufze ich. "Der alte Harrison macht keine Anwesenheitsliste", wirft er ein. Ich spare mir die Frage, woher er weiß, bei wem ich nun Unterricht habe und mache eine Handbewegung, die ihm sagt, er solle vorgehen. 

Mit zusammengepressten Lippen nickt er, dreht sich um und läuft in die entgegen gesetzte Richtung. 

Kurz darauf befinden wir uns wieder auf der Trabrennbahn. Ich setze mich auf den Platz, auf dem ich schon einmal gesessen habe und diesmal fühlt es sich anders an. 

Wir schweigen, bis seine raue Stimme die Stille endlich durchbricht. "Was willst du wissen?", fragt er und macht es mir wirklich nicht leicht. Er spielt mir den Ball zu, obwohl er mir auch einfach sagen könnte, was das gestern war. 

 "Wieso hast du mir nicht geholfen?", frage ich leise und sehe den Schmerz, der zurück in seine Augen findet. 

"Ich konnte nicht, es tut mir Leid. Unsere Arbeit, unsere Leute stehen über allem. Ich wäre ihnen in den Rücken gefallen, wenn ich dir geholfen hätte. Das wäre für uns beide nicht gut ausgegangen", antwortet er verbittert. 

"Hätte...hätte er mich wirklich geschlagen?" 

Wieder zögert er seine Antwort heraus. 

"Ich weiß es nicht. Vielleicht schon... aber mein Bruder versucht die Dinge eigentlich erst friedlich zu lösen", antwortet er wenig überzeugend und ich frage mich, ob er spätestens dann eingegriffen hätte. 

"Dein BRUDER? Dieser Lio ist dein Bruder?", fassungslos starre ich ihn an. Ben fährt sich mit einer Hand über den Nacken und nickt nachdenklich. 

"Ja, mein Bruder und der Boss. Ich hätte es ihm nicht verzeihen können, hätte er dir wirklich weh getan. Aber er hat es nicht, Maria. Es tut mir wirklich Leid, dass du Angst hattest. Irgendwie war mir klar, dass Melinda diesmal das Geld hat und...", er winkt ab. 

„Ich dachte, Melinda hätte irgendeine Art von besonderem Status bei euch. Wieso dann dieser Auftritt?"

"Das hat sie, deshalb hat sie schon zwei Wochen länger Zeit bekommen, als üblich... aber irgendwann sind die zwei Wochen um." 

Ich seufze. "Es war mein Schulgeld." 

Ben schaut mich fragend an. "Sie hat mein Schulgeld bezahlt, damit ich auf diese Möchtegern-Elite-Ghetto-Schule komme." Ich kicke mit dem linken Fuß einen Stein von der Fläche. 

"Ich hab mir sowas schon gedacht, aber es ändert leider nichts", sagt er und schürzt seine Lippen. Sein Blick ist auf die Reihen vor uns gerichtet. 

Ich stehe auf und er tut es automatisch auch. "Okay." Er runzelt die Stirn. "Okay...was?" 

"Es ist okay. Ich kann nicht ewig darauf rumreiten. Mir ist nichts passiert", misstrauisch beäugt er mich und meinen plötzlichen Sinneswandel. 

 "Bist du dir sicher?" Ich nicke. Ich weiß, dass Ben und alles um ihn herum gefährlich ist, dass ich das lieber nicht tun sollte, doch seit dem er vor meinem Klassenraum aufgetaucht ist, spüre ich wie er mich wieder in seinen Bann zieht. Ich hatte das Gefühl, was noch so fragil und neu ist, vergessen oder verdrängt, doch jetzt konnte ich es nicht mehr ignorieren. 

"Okay, gut", nickt er erleichtert. "Also wenn du möchtest, dann können wir uns bald mal treffen, also..." Ich muss schmunzeln. 

"Fragst du mich gerade nach einem Date, nachdem du dich dafür entschuldigt hast, dass dein Bruder mich schlagen wollte?" In seinen Augen ist die pure Panik zu erkennen. "Zu früh?" Ich lache und seine Körperhaltung wird entspannter. 

"Nein, nicht zu früh. Ich wollte dich nur ärgern. Ich würde mich gerne mit dir treffen." Sein Blick ist zwar angespannt, aber ich weiß, dass er sich freut.

Dann gehen wir zurück zur Schule und ich bete, dass der Lehrer keine große Sache daraus macht, wenn jemand fehlt.

Trust me, I am a Bad Boy. / AbgeschlossenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt