Wieder zurück

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"Brauchst du noch etwas?", fragt Melinda vorsichtig. Ich schüttle den Kopf. "Nein, danke." Sie nickt und verlässt das Zimmer mit einem matten Lächeln. Ich schmeiße mich auf das Bett und starre an die Decke. Es fühlt sich wie eine Ewigkeit an, dass dies hier mein Zimmer war. Dabei ist es erst zwei Monate her.

Nach dem Streit mit Ben bin ich sofort aus der Wohnung verschwunden. Naja, nicht sofort. Erst habe ich geheult wie ein kleines Kind, habe meine Sachen wild durcheinander geschmissen in der Hoffnung, sie würden irgendwie in meinem Koffer landen. 

Ben schrie mich an, ich solle da bleiben und kurz war alles ruhig, als er meinen Arm verarztete.

 Als ich dann schließlich ging, wollte er mich aufhalten, er zog mich an sich und ich könnte schwören, einen Funken Trauer in seinen Augen gesehen zu haben. Aber das war nun egal, es spielte keine Rolle mehr.

Während ich zu Melinda lief und hoffte, dass Ben mir nicht folgen würde, spielte sich unsere Beziehung vor meinem geistigen Auge ab. 

Das war doch alles vollkommen irre. 

Ich verliebte mich in einen Typen, der von Anfang an unfreundlich, geheimnisvoll und gefährlich war. Ich war ein klassischer Fall von diesen Freundinnen, die denken, sie könnten ihren Freund zu einem besseren Menschen machen. 

Es gefiel mir, dass sein Beschützerinstinkt so ausgeprägt war, dass die Menschen Respekt vor ihm hatten und es gefiel mir, wie anders er zu mir im Gegensatz zu anderen war. 

Er hat mich immer davor gewarnt, dass dieses Leben einen kaputt machen kann, dass irgendwann alles aus den Fugen geraten könnte. Er hatte recht, doch ich habe es ignoriert. 

Ich habe es noch nicht einmal bemerkt, als ich quasi von ihm zu sich nach Hause entführt und eingesperrt wurde, weil sich draußen eine Art Krieg abspielte. 

Meine Eltern haben unsere Familie aufgegeben, damit aus mir etwas wird und ich habe alles nur noch schlimmer gemacht. 

Es brauchte erst eine Ohrfeige, um zu verstehen, was hier passierte. Ich war so naiv... und immer noch so verliebt in ihn.

Ich schaute auf mein Handy. Es war mittlerweile 23 Uhr und ich hatte sieben verpasste Anrufe von Ben und etliche Nachrichten. Ich traute mich gar nicht, sie zu öffnen. 

Stattdessen suchte ich online nach einer Auskunft über Lios Prozess und wurde schnell fündig. In dem Artikel ist die Rede von Beweisen, Zeugenaussagen und Videomaterial. Das hörte sich nicht gut an. Arme Cleo, ich wünschte, ich wäre heute irgendwie für sie da gewesen.

Zu all diesen Lektionen gehörte wohl auch, dass ich egoistisch war. 

Als ich die Augen öffne, ist es taghell in meinem Zimmer. Ich muss gestern Abend einfach eingeschlafen sein. 

Ich habe noch meine Klamotten an und mein Handy liegt neben mir auf dem Bett. Ich fühle mich wie überfahren und taumle ins Badezimmer. Nach einer Dusche und einem Kaffee geht es mir besser. 

Melinda kommt die Treppe herunter. 

"Guten Morgen, Süße. Hast du gut geschlafen?" Ich nicke. "Ja, danke. Es ist schön, wieder hier zu sein" 

Sie umarmt mich und ihr alt bekanntes Parfum mit dieser leichten Sommernote steigt mir in die Nase. "Das finde ich auch. Aber denk daran, wir müssen irgendwann darüber reden, wieso du wieder hier bist. Und deine Eltern machen sich wahnsinnige Sorgen. Ich musste sie schon vor Wochen abhalten, herzukommen" 

Meine Eltern. Ich habe so gut wie keinen Kontakt zu ihnen gehabt, was auch daran liegt, dass sie kein Smartphone besitzen und immer per Zoom telefonieren wollen. 

"Ich werde sie heute Abend anrufen", sage ich und schenke mir den nächsten Kaffee ein. 

Dann schaue ich um die Ecke in das Café. Es ist leer und dunkel, aber ich weiß, dass Melinda es immer noch putzt und darauf aufpasst, wie auf ein Baby. Sie folgt meinem Blick. 

"Ich überlege, es in zwei Monaten wieder zu öffnen. Ich weiß, das ist noch eine Zeit bis dahin, aber ich könnte es neu streichen oder grundsätzlich mal renovieren" 

Die Idee ist gar nicht so schlecht, auch wenn das Café total schön ist, könnte es an der einen oder anderen Stelle frischen Glanz gebrauchen. 

"Ich helfe dir, wenn du willst" Doch Melinda schüttelt den Kopf. 

"Nein, nein. Du wirst erstmal wieder zur Schule gehen. Das ist wichtiger" 

Da hat sie recht. Auch wenn ich versucht habe, bei Ben den Stoff nachzuholen, ich hänge hinterher. Deshalb werde ich morgen wieder in die Schule gehen und ich habe jetzt schon Angst vor dem Gespräch mit dem Direktor und den Blicken der anderen.

Als ich wieder auf mein Zimmer komme, leuchtet mein Handy auf. Es ist wieder Ben und ich ignoriere den Anruf, bis das Handy nicht mehr leuchtet. 

Ich öffne seine Nachrichten und sie sind wirr. Erst entschuldigt er sich, dann ist er wütend und fragt mich, wie ich nur abhauen konnte. In der nächsten Nachricht will er mit mir reden, in der übernächsten habe ich die Ohrfeige seiner Meinung nach verdient. Ich bin mir sicher, dass er sich gestern betrunken und daraufhin diese Nachrichten geschickt hat, deshalb lösche ich sie einfach und schalte mein Handy aus. 

Mein Gehirn braucht ganz dringend Ablenkung und plötzlich kommen mir die Schulbücher und Aufgaben sehr gelegen. 

"Willst du etwas essen?", fragt Melinda hinter mir und ich schrecke hoch, denn ich habe sie gar nicht bemerkt. 

"Ja, gerne", sage ich. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass es bereits 14 Uhr ist. 

Die letzten vier Stunden sind wie im Flug vergangen und ich habe die ersten zwei Themen, die ich verpasst habe, gut verstanden. 

Das ist zwar noch nicht viel, aber immerhin ein Fortschritt. 

Ich folge Melinda in die Küche und wir essen gemeinsam Pasta. Ich habe ihr Essen vermisst. "Was soll ich Ben sagen, wenn er vor der Tür steht?", fragt Melinda plötzlich. 

Ich schaue sie mit großen Augen an, spüre sofort die Panik in mir aufsteigen. 

"Nein, er stand noch nicht vor der Tür, aber wir wissen beide, dass es dazu kommen wird", sagt sie und verdreht gespielt die Augen. 

Ich muss fast lachen, weil sie recht hat. 

"Du sagst ihm, dass ich nicht da bin", sage ich mit vollem Mund. Sie schaut mich ungläubig an. 

"Schick ihn einfach wieder weg", murmle ich. 

Sie nickt und trinkt einen Schluck Wasser. "Okay."

Ich stelle gerade meinen Wecker auf 6:30 Uhr, als ich eine Nachricht von Kendra bekomme.

 Wieso ruft Ben mich an?

Oh Gott, jetzt dreht er vollkommen durch. 

Ich ignoriere diese Frage und schreibe ihr stattdessen, dass ich morgen in die Schule kommen werde. Nach einigen freudigen Emojis ihrerseits, lege ich mein Handy beiseite und starre wieder an die Decke. 

Soll ich es ihr morgen sagen, oder nicht?

Trust me, I am a Bad Boy. / AbgeschlossenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt