Moving on

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Ich werde wach und mich überkommt ein ungutes Gefühl. Ich stehe auf und merke, wie mir immer schlechter wird. Ich renne ins Bad und muss mich sofort übergeben. Ich fühle mich furchtbar schlapp und mein Kopf tut weh. Schwangerschaftsübelkeit. Ich bleibe eine Weile auf dem Teppich vor der Dusche sitzen und schlafe fast ein, bis ich meinen Wecker aus meinem Zimmer höre. Na toll, es ist Zeit, aufzustehen und in die Schule zu gehen. Die Übelkeit ist immer noch da, doch ich schleppe mich unter die Dusche.

Als ich die Treppe runter in die Küche gehe und mir der Geruch von frischem Toast in die Nase steigt, wird mir direkt wieder schlecht. Ich halte mir die Nase zu und konzentriere mich darauf, nicht auf den Fußboden zu brechen. Melinda schaut mich mitleidig an. "Da musst du jetzt durch, Schätzchen. Es dauert eine Weile, dann ist die morgendliche Übelkeit verschwunden." Bei dem Wort Übelkeit wird mir noch schlechter. "Ich habe übrigens gestern Abend mit deinen Eltern gesprochen. Dein Vater ist rückfällig geworden und sie haben ihm den neuen Job gekündigt.", sagt Melinda und verdreht die Augen. Das war ja klar. Mein Vater hatte sicher eine plausible Erklärung für seine Kündigung parat, die nichts mit seinem Alkoholkonsum zu tun hatte. Es ist absurd. Ich weiß, dass für meine Eltern eine Welt zusammenbrechen würde, wenn sie von meiner Schwangerschaft erführen, doch selbst kriegen sie es nicht auf die Reihe. Nicht einmal, wenn ihr Sorgenkind nicht da ist.

Es ist 17 Uhr und ich bin endlich zu Hause. Den ganzen Tag über hat alles Übelkeit in mir ausgelöst. Von wegen nur morgens, das sollte Dir-geht-es-den-ganzen-Tag-schlecht Übelkeit heißen. Egal ob der Geruch von Fett in der Mensa, der von Kleber im Klassenraum oder das ekelhafte Parfum des Mädchens in der Reihe vor mir. Ich lege mich in mein Bett, fertig vom Tag und öffne meine Chats. Wieder einmal öffne ich den von Ben und mir. Ich wünschte mittlerweile, ich hätte die letzten Nachrichten nicht gelöscht, sie gehörten dazu und erzählten die Geschichte genau, wie alle anderen Nachrichten. Ich vermisse Ben wahnsinnig, auch wenn ich versuche, mir das selbst nicht einzugestehen. Wir haben beide so viele Fehler gemacht, indem wir alles richtig machen wollten. Ich frage mich, ob er mich auch vermisst. Als ich sein Instagram-Profil öffne, schaue ich mir sein letztes Bild an. Es ist schwarz-weiß und der Blitz war viel zu grell. Er schaut auf den Boden, seine Kapuze ins Gesicht gezogen, doch man sieht ein leichtes Lächeln. Das Foto habe ich von ihm gemacht, es ist zwei Monate alt. Aus irgendeinem Grund gehe ich die Personen durch, die dieses Foto geliked haben. Darunter ist ein Mädel, das ich noch nie zuvor gesehen habe. Ich gehe auf ihr Profil, es ist öffentlich. Sie sieht sehr hübsch aus, ist sportlich. Ihr letztes Foto zeigt sie in kurzer Hose und T-Shirt am Meer. Ben hat dieses Foto geliked und in mir steigen Wut und Eifersucht hoch. Es war klar, dass er so mit der Trennung umgehen würde, aber dennoch tut es weh.

Nach einer Stunde trauriger Musik und vielen Tränen, entschließe ich mich dazu, mir noch einmal die Unterkunft anzusehen, die ich bei meiner ersten Recherche als Mama in Spe gefunden hatte. Ich will hier raus, ich will weg aus Oakland, weg von allem, was mich an Ben erinnert. Das geht zwar nur halb so gut, wenn ich in ein paar Monaten ein Kind austrage, dass vermutlich die gleichen grünen Augen haben wird und die gleichen dunklen Haare, aber nichts desto trotz muss ich hier weg.

Die Unterkunft sieht sehr neu aus. Es ist eine spezielle Förderung für Mädchen und Frauen, die Schwierigkeiten haben, ihre Schwangerschaft und ein geregeltes Leben unter einen Hut zu bekommen. Es gibt Beratungen für eine Ausbildung, es gibt eine Art Tagestätte, wenn die Mütter sich Fortbilden wollen. Man wird komplett betreut und lernt alles, was man braucht, um die erste Zeit als Mutter gut zu überstehen. Das alles basiert auf freiwilliger Basis und man kann jederzeit einen Kurs aussetzen oder woanders hingehen. Es fühlt sich an, als wäre das das Richtige für mich. Ich weiß gerade nicht, was ich möchte und wohin es für mich gehen soll, da scheint mir ein wenig Hilfe von außerhalb ganz praktisch.

Ich entscheide mich dafür, eine E-Mail an die Ansprechpartnerin zu schreiben. Laut deren Website ist die Anmeldefrist für dieses Jahr schon lange beendet, aber man weiß ja nie. Selbst wenn ich dann erst einen Platz für das kommende Jahr kriegen sollte, wäre das in Ordnung. Ich hätte trotzdem ein Datum, auf das ich hinarbeiten könnte. Frauen mit Kinder bis zu drei Jahren können sich dort anmelden und müssen die Einrichtung erst verlassen, wenn sie auf eigenen Beinen stehen und sich bereit dafür fühlen.

Als ich die Mail abschicke, pocht mein Herz. Ich schaue weiter nach Berufen, die ich erlernen könnte, schaue mir Städte an, die weit weg von hier sind. Das alles lenkt mich von meinem Herzschmerz ab.

Trust me, I am a Bad Boy. / AbgeschlossenWhere stories live. Discover now