Kapitel 40: Die Fesseln der Trauer

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„Remus und ich haben sie hier gefunden", sagte er kraftlos, die Tränen liefen wieder über seine Wangen.
Minervas Hände zitterten, als sie über Hermine leuchtete, sie legte eine Hand in seinen Nacken und zog ihn zu sich, versuchte irgendwie Trost zu spenden, kämpfte dabei selbst mit den Tränen.
Hagrid kam schluchzend zu Severus und Minerva, er fiel auf seine großen Knie und weinte dicke Tränen, sein Weinen war fast so laut, wie das Wolfsgeheul von Remus. Flitwick stand nutzlos in der Gegend rum, das war alles zu viel. Severus befreite sich aus Minervas Griff, legte seine Arme wieder um Hermine und hob sie hoch.
Mit ihr auf den Armen lief er zurück nach Hogwarts, mit jedem Schritt spürte er, wie sein Herz mehr und mehr zerriss und sich eine bleierne Stumpfheit über ihn legte.

Stunden, Tage und Wochen zogen an Severus vorbei ohne, dass er etwas mitbekam, er hatte immer noch das Bild von Hermines Leiche im Kopf, konnte es selbst mit Tränken nicht loswerden.
Er träumte jede Nacht von dem Abend im Wald und versuchte nach einer Woche komplett auf das Schlafen zu verzichten. Er ertrug es nicht, lieber spürte er die Leere, die ihn weiter und weiter aufzufressen schien, als den Schmerz ihres Verlustes zu ertragen.
Er mied sein Bett, ebenso wie seine Couch. Er stand für Stunden reglos im Raum, starrte in den Kamin oder auf den Boden vor sich, setzte sich wenn überhaupt mal auf den Schreibtischstuhl.
McGonagall versuchte das ein oder andere Mal mit ihm zu reden, sie sprach nette Worte, aber keines davon vermochte zu ihm durchzudringen. Er antwortete nicht, reagierte nicht. Er war körperlich anwesend, aber sein Geist war in den grausamen Fesseln der Trauer gefangen. Er aß kaum noch, was McGonagall am allermeisten beunruhigte, er nahm schnell ab, wirkte fahl, ungesund blass, die Schatten unter seinen Augen wurden jeden Tag tiefer, seine Adern schimmerten langsam, aber sicher durch seine Haut, die Haare wirkten stumpf, hatten ihren einstigen Glanz verloren.
Severus in seiner Gesamtheit hatte seinen Glanz verloren.

Als Hermine beerdigt wurde stand er regungslos am Sarg, die Hexen und Zauberer des Bestattungsunternehmens hatten gute Arbeit geleistet, man sah von der Folterung nichts mehr.
Severus Blick flog über Gesicht, sie sah aus, als würde sie schlafen, mit dem einfachen Unterschied, dass sie nie wieder aufwachen würde. Er schluckte, als ihr Sarg in die Erde gelassen wurde, sein Herz, von dem er in den letzten Wochen fast nichts gemerkt hatte, zog sich mit einer Intensität zusammen, dass er dachte, es würde in seiner Brust implodieren. Remus bemerkte seine Schmerzen und stützte ihn, bewahrte ihn davor, mit ins Grab zu stürzen und setzte ihn auf einen Stuhl.
Severus rang nach Luft, seine Kehle schnürte sich zu, er verkrampfte sich. Remus hockte sich vor ihn, suchte seinen Blick, konnte ihn aber nicht fassen, er schlug Severus ins Gesicht, was ihn aus seiner Trance holte.

In Severus Augen lag nicht nur Trauer und Verlust, es schien, als wäre da noch etwas tieferes, als wäre seine Existenz weggewischt, als würde nur noch Dunkelheit aus den schwarzen Augen zu Remus zurückblicken.
Harry, Ginny und die Weasleys trauten sich nicht zu Severus zu gehen, zu groß war der Schock über Hermines Tod und seiner überwältigenden und beinahe greifbaren Trauer.
Der Werwolf zog Severus mit sich mit, er brachte ihn nicht in die Kerker, sondern nach oben, mehr ins Licht, setzte ihn auf seine Couch und legte eine leichte Schlaftrance auf ihn, er musste schlafen, sonst wäre er sehr bald nicht mehr Herr seiner Sinne und Fähigkeiten.
Einige Stunden wurde Severus von seiner Müdigkeit in dem bitterbenötigten Schlaf gehalten, dann schlug er müde seine Augen auf, sah sich um. Er war nicht in seinen Räumen und auch nicht in Hermines. Auf dem Tisch stand ein dampfender Tee, daneben eine Platte mit Sandwiches und eine Tafel Schokolade.
„Iss'... dann geht's dir besser.", ertönte Remus Stimme von hinten, er war ans Fenster gelehnt und sah über die Ländereien.

Severus setzte sich hin, er hatte keinen Hunger, schob die Platte von sich weg.
„Severus bitte, wie lange hast du schon nichts zu dir genommen? Hast du mal in den Spiegel geguckt? Du.musst.essen!", er flehte ihn schon fast an.
Severus seufzte, nahm ein Schluck vom Tee und nahm sich ein Sandwich, als er trank und aß spürte er zum ersten Mal seit langer Zeit wieder seinen Körper. Er fühlte sich ausgemergelt und erschöpft, kraftlos, ausgehungert, ein unbändiger Heißhunger ergriff ihn, er stopfte sich die ganze Platte an Sandwiches in kürzester Zeit in den Mund, lehnte sich dann erschöpft wieder zurück in das Sofa.
Remus setzte sich zu ihm und musterte ihn, Severus starrte wieder einfach nur vor sich hin.
„Ich weiß, dass du in sie verliebt warst", sagte Severus plötzlich, sah zu Remus, „deine ganze Art ihr gegenüber... so fürsorglich, wie du sie angesehen hast, sie berührt hast... es tut mir leid, dass sie dich nicht gewählt hat.", sagte er leise, er war ein gebrochener Mann.
„Warum?", fragte Remus rau.
„Vielleicht wäre sie dann noch am Leben.", seine Augen füllten sich wieder mit Tränen, liefen einfach aus ihnen heraus.
„So darfst du nicht denken Severus.", Remus fiel es sichtlich schwer gefasst zu bleiben, es ließ ihn nicht kalt seinen Freund und Kollegen so zu sehen, auch wenn sie in den Wochen vor Hermines Tod eher weniger befreundet waren, was zum aller größten Teil Remus Schuld war.
„Es ist das Einzige, an das ich zurzeit denken kann. Wäre Hermine nicht mit mir... zusammen gewesen wäre sie wahrscheinlich nicht Lucius' Ziel gewesen. Dann würde sie noch hier sein, in deinem Wohnzimmer, in ihrem Wohnzimmer... am Leben.", er schluckte, setzte sich wieder auf.

„Wie alt war sie, Remus?", fragte er leise.
„Severus..."
„WIE ALT", schrie er.
„24", gab Remus leise zurück und schluckte.
„24 Jahre... nur 24 Jahre... man stirbt nicht mit 24.", schrie er verzweifelt.
„Sie ist nicht gestorben...sie wurde ermordet.", schrie nun Remus.
Severus sprang auf, er tigerte durch den Raum, er konnte nicht sitzen. Er ballte die Hände zu Fäusten und rannte aus dem Wohnzimmer, rannte durch die Gänge, aus dem Schloss, über die Ländereien, rein in den Verbotenen Wald.
Kraftlos sank er mitten im Wald zusammen, seine Seiten stachen, sein Herz klopfte ihm bis zum Hals, er fühlte sich wieder so ausgemergelt, schwach. Seine Sicht verklärte sich, als dicke Tränen aus seinen Augen liefen, er schrie den ganzen Schmerz aus sich heraus, seine Stimme hallte im Wald wider, verfing sich in den Bäumen und wurde zu ihm zurückgeworfen.

Severus beugte sich nach unten zum Boden, ließ die Stirn in das Gras sinken und weinte, immer mehr.
Er suchte Halt im Gras, vergrub seine Hände tief in den Büscheln samt Erde und Wurzeln und drückte sie zusammen, riss sie aus dem Boden. Er setzte sich wieder auf, sah auf das ausgerissene Gras.
Genauso fühlte er sich, entwurzelt, schwach.
Er ließ das Gras aus seinen Händen gleiten, bis ihm plötzlich etwas auffiel.

Ein kleiner Stein, mit geschliffenen, samtenen Seiten lag in seiner Hand, schwarz, eine Mischung aus matt und glänzend. Er kam ihm irgendwie bekannt vor, konnte ihn aber nicht richtig zuordnen.
Er strich sich die Tränen aus den Augen, atmete kurz durch und betrachtete seinen Fund wieder, ließ ihn in seiner Hand hin und her rollen.

„Severus?", fragte eine weibliche Stimme vor ihm, „Was machst du denn auf der Erde?", sie lachte.

Offenbarung || Echos Where stories live. Discover now