Kapitel 18 - Die Wolfsfreude

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Callisto

Eine wohltuende Kälte streicht um meinen erhitzen Körper, als Blair und ich gemeinsam die Strasse entlanggehen. Unsere schnellen Schritte führen uns in Richtung des Hyde Parks und meine Gedanken kreisen wie von selbst um den Moment, als wir uns hier das erste Mal begegneten. Seltsamerweise führt es uns immer wieder zurück zu diesem Ort.

Seit dem Tag an dem ich von Freya übermannt und gefoltert wurde, quält mich das Gefühl der Hilflosigkeit und der Machtlosigkeit und in meinem ganzen Leben habe ich mich einer Person und einer Situation noch nie so gewissenlos ausgeliefert gefühlt. Albträume suchen mich seit diesem Tag heim und quälen mich nun fast jede Nacht; Angstschweiss breitet sich dann stets auf meinem gesamten Körper aus und der Gedanke, dass mir das noch einmal passieren könnte, ist geradezu unerträglich.

Meist ist Blair da und weckt mich, redet beruhigend auf mich ein und versucht mir einzureden, dass so etwas kein weiteres Mal passieren kann. Allerdings wissen wir beide nur zu gut, dass das eine Lüge ist.

Er wird nicht jedes Mal da sein, wenn Gefahr aufkommt. Und ich möchte lieber ein dutzend Mal das Opfer von Entführung und körperlichem Schmerz werden, als meine eigene Sicherheit hilflos und unbeholfen in die Hände eines Mannes zu legen. Wenn ich mich nicht selbst verteidigen kann, hat mein Leben keinen tiefen Wert für mich.

Also habe ich Blair dazu überredet, mir zu zeigen, wie ich mich effektiv und schnell aus einer Gefahrensituation befreien kann. Und er will mir beibringen, meine Werwolf-Instinkte einzusetzen und bewusst, stark und schnell zu einem Wolf zu werden.

Es wird Zeit, dass ich dieses Wunder als Geschenk annehme und es nutze. Wenn ich in den letzten Tagen eines gelernt habe, dann dass es keinen Sinn macht, von Geburt auf das Wolfsgen in sich zu tragen und es dann aus lauter Unwissenheit nicht einsetzen zu können. Selbst wenn es noch einmal so weit kommen sollte, dass irgendeine Hexe mir einen ihrer giftigen Zaubertränke in den Organismus pumpt.

Blair, der in einem schnellen Tempo neben mir geht, ist verdächtig ruhig. Sein Gesicht trägt einen verschlossenen, etwas grimmigen Ausdruck und am liebsten hätte ich seine Hand genommen und ihn an mich gezogen. Ich hätte meine Hände auf seinen Nacken gelegt und sein Gesicht zu mir herunter gezogen und ihn gebeten, mir zu erzählen, was in ihm vorgeht.

Allerdings gehe ich davon aus, dass es ihm nicht zusagt, dass er mir die Grundlagen der Selbstverteidigung beibringen soll. Vielleicht wäre es anders, wenn ich nicht das Gefühl hätte, mir selbst und meinem ausgeprägten Sinn des Feminismus wegen etwas zu beweisen. Eine Frau sollte aus eigener Kraft stark sein und sich nicht von der Aussicht von einem Mann beschützt zu werden, abhalten lassen. Ich finde, das bin ich mir schuldig.

Die Dunkelheit und die Kälte hat die Stadt fest in ihren Krallen und so verlassen wir uns ganz auf das schaurige Licht im Park und auf unsere geschärften Sinne, als wir tiefer in die Natur eintauchen. Blair, der noch immer kein Wort gesagt hat, geht voraus und ebnet den Weg für mich. Wir gelangen in einen abgelegenen Teil des Parks; keine Menschenseele ist um diese Uhrzeit noch hier draussen unterwegs und so sind wir vollkommen allein.

Blair dreht sich zu mir um und in seinem Gesicht kann ich nun den Trotz erkennen, den ihn jugendlicher aussehen lässt. Er schiebt den Unterkiefer vor und hebt auffordernd eine Augenbraue, bevor er sagt: »Nun, da nur einer von uns sich willentlich verwandeln kann, muss du die Verwandlung leider ohne mich vollziehen.«

Ich nicke zur Bestätigung, da ich das natürlich weiss. 

»Der erfolgreichste Weg, eine schnelle und erfolgreiche Verwandlung auszulösen besteht in der Übung, aber vor allem geht es auch darum, dass du dich selbst akzeptierst. Der Wolf ist ein hinterlistiges Biest; er spürt es, wenn du Vorbehalte oder gar Zweifel hast. Für dich bedeutet dies, dass du alle negativen Gefühle, Empfindungen und Erinnerungen ablegen musst, die du eventuell mit deiner wahren Natur verbindest«, fährt er fort und kommt einen guten Schritt auf mich zu.

SilbermondWhere stories live. Discover now