Kapitel 2 - Die unerwartete Begegnung

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Callisto

Genervt stapfe ich die ellenlange Treppe zu unserem kleinen Apartment hoch und versuche meine Wut im Zaum zu halten, bevor meine Füsse durch die Treppenstufen brechen. Meine innere Unruhe hat während der alleinigen Fahrt durch die Stadt stark zugenommen und inzwischen bin ich so genervt von meiner grundlosen, namenlosen Aggression, dass ich nicht mehr weiter weiss und beschliesse sie einfach rauszulassen.

Keuchend und vollkommen ausgelaugt komme ich oben an und drehe den Schlüssel schnell im Schloss, stosse die Tür mit einem Fuss auf und betrete unsere kleine Wohnung im Dachgeschoss. Wir haben keine direkten Nachbarn, da unter uns ein kleiner Supermarkt eingemietet hat und so können wir an den Wochenenden und abends so laut sein, wie wir wollen, ohne mit einer Lärmbeschwerde rechnen zu müssen. Nicht, dass in dieser Wohnung tatsächlich jemals eine Party stattgefunden hätte, und das obwohl Ava nie müde wird, lautstark darauf zu bestehen.

»Lyra!«, rufe ich, sobald ich die Wohnung betrete.

Ich werfe meine Schlüssel in die kleine Schale, die auf der Kommode direkt neben der Eingangstür steht und hänge meine dicke Jacke an die Haken gleich daneben.

»Lyra, bist du Zuhause?«, schreie ich erneut, doch ich erhalte keine Antwort.

Stattdessen laufe ich mit den Einkäufen von heute morgen in den Armen in die offene Küche, die direkt an unser weitläufiges Wohnzimmer grenzt. Ich stelle die Tüten auf der Kücheninsel ab, die die Küche vom Rest des Raumes trennt und schalte die Deckenbeleuchtung ein. Es ist bereits nach fünf Uhr abends und im Winter deshalb bereits stockdunkel draussen.

Die Lichter gehen schleppend an und erhellen die großzügigen Räumlichkeiten, in denen weiterhin keine Spur von meiner Schwester zu finden ist. Nachdem ich mir die Hände rasch gewaschen habe, durchquere ich unsere kleine, darauf folgende Essnische, in der kaum mehr als ein kleiner Esstisch und zwei Stühle Platz finden. Ich klopfe an Lyra's Zimmertür, bevor ich zögernd eintrete. Lyra kann es nicht ausstehen, wenn ich ohne ihre Erlaubnis ihr Zimmer betrete, doch manchmal hört sie ziemlich laut Musik, sodass sie mein Klopfen nicht hört.

In ihrem Zimmer ist einiges vorzufinden; unter anderem ein ausgemachtes Chaos. Ungläubig lasse ich meinen Blick über einen Berg von Klamotten, Büchern und anderen Kram wandern, bis hin zur kleinen Fensternische, auf der Lyra immer sitzt, während sie malt. Unzählige ihrer abstrakten Kunstwerke hängen überall in unserer Wohnung, aber das meiste hortet und hütet sie dennoch in ihren eigenen vier Wänden. Eine Unmenge an Pinseln, Farbtuben und anderen Kunstutensilien sammeln sich in Gläsern und stapeln sich auf Regalen an den Wänden bis hin zu ihrer Staffelei, die sie meist von einem Ort zum nächsten schiebt, um während ihres Malprozesses stets das beste Tageslicht zu ergattern. Lyra's kreative Ader und ihre Liebe zur Kunst ist überall in unserer Wohnung und in ihrem Zimmer deutlich spürbar und wenn sie Zuhause ist, lässt sie ihr ungehemmt freien Lauf. Ihr dabei zuzusehen macht mich glücklich und auch stolz, selbst wenn ich ihr das nicht oft sage.

Schnell schliesse ich die Tür ihres privaten Reiches als klar ist, dass Lyra wohl nicht Zuhause ist. Noch nie habe ich ihre Privatsphäre durchbrochen und das werde ich auch nie. Trotz all meiner Verantwortung für diese pubertäre Verrückte, bin ich nicht ihre Mutter und das will ich ihr auch nicht vermitteln. Trotzdem lasse ich es mir nicht nehmen, einen schnellen Blick in unser kleines Badezimmer zu werfen, indem sie ebenfalls ein riesiges Durcheinander hinterlassen hat, bevor ich zurück in die Küche laufe.

Ich hole mein Telefon aus der Tasche und tippe geschwind eine Nachricht für Lyra, in der ich sie bitte mich anzurufen und endlich Nachhause zu kommen. Leider ist es nicht unüblich für Lyra sich en paar Tage nicht blicken zu lassen, selbst wenn sie genau weiss, dass ich das nicht ausstehen kann. Meistens kehrt sie nach ein paar Tagen bei Freundinnen, oder nur der Teufel weiss bei wem, mit einer riesigen Packung Süssigkeiten für mich zurück und bittet mich flehentlich um Entschuldigung.

SilbermondWhere stories live. Discover now