Kapitel 25 - Kerkerzellen und Wolfsgeheul

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Callisto

Die Gitterstäbe der Tür vibrieren geräuschvoll, als einer der in einen Anzug gesteckten Sicherheitsmänner des Alphas die Tür hinter uns mit voller Wucht zuknallt. Als wäre unsere Inhaftierung nicht deutlich genug und bräuchte charakterliche Unterstreichung.

Es ist dieselbe Zelle, in der Lyra und ich davor gewesen waren, allerdings liegen auf der kleinen Pritsche nun zwei frische Kleiderbündel und zwei Paar einfache Sportschuhe. Blair und ich stehen noch immer beim Eingang der Zelle, als ob es dadurch eine Möglichkeit gäbe, dass die Wachen uns doch noch rauslassen.

Lyra und Vincent werden in diesem Moment unter geräuschvollem Protest meiner kleinen Schwester in die benachbarte Zelle gesteckt und auch bei ihnen fliegt augenblicklich die Tür zu. Die Wachen verlassen ohne ein Wort mit uns oder untereinander zu wechseln den Raum und wir hören nur noch wie die Türen des Fahrstuhles langsam zu schwingen.

Dann ist alles still. Weder Blair noch ich haben etwas zu den vergangenen Ereignissen zu sagen, aber auch Lyra und Vincent schweigen eisern in der benachbarten Zelle neben uns.

Blair, der regungslos neben mir verharrt ist, lässt sich auch nach einer eingehenden Prüfung meiner flinken Augen nicht dazu bewegen, von den Gitterstangen zurückzutreten. Stattdessen steht er einfach nur da, starrt ins Nichts, dort wo eben noch die beiden Wachen standen und hat einen unergründlichen Ausdruck auf dem versteinerten Gesicht. Sein Körper ist steif und kalt wie Eis, als ich eine Hand nach ihm ausstrecke und sie langsam über seinen Oberarm bis zu seiner Hand fahren lasse.

Noch bevor ich etwas sagen kann, - selbst wenn ich keine Ahnung habe, was man in einer solchen Situation sagen soll -, erbebt er unter meiner Berührung und fast schmerzerfüllt zuckt er zurück und wirft seinen Kopf in den Nacken.

Ich höre, wie gleich mehrere Knochen auf einmal brechen. Sofort huscht mein wilder Blick zu Vincent, der in der benachbarten Zelle ebenfalls augenblicklich auf den Vollmond reagiert; auch sein Körper verrenkt sich unnatürlich.

»Was geschieht mit ihnen?«, ruft Lyra mit schriller, panikerfüllten Stimme.

Als meine Augen die ihren finden, erkenne ich darin eine seltsame Mischung aus Angst und Besorgnis auf ihrem Gesicht. Die Panik ist ihr deutlich anzuhören und auch anzusehen. Sie tritt instinktiv einige Schritte von Vincent zurück, doch gleich darauf macht sie ihre Handlung rückgängig und geht mit erhobener Hand auf ihn zu, als ob sie ihn trösten will.

Ich schüttle leicht den Kopf, bevor ich sage: »Sie verwandeln sich.«

Nach einem schnellen, prüfenden Blick auf Vincent, dessen Gliedmassen bereits begonnen haben sich zu deformieren, schiebe ich ein »Bitte, geh weg von ihm Lyra.« hinterher und nur zögerlich tut sie, was ich von ihr verlange.

Ein Schmerzensschrei von Blair reisst mich von meiner Schwester und Vincent weg und ich wende mich ihm zu. Die Verwandlung hat ihn auf den Boden gezwungen und er versucht sich unter Anstrengung die Kleider vom Leib zu reissen. Meine Hände greifen wie von selbst nach dem dreckigen, weissen Hemd und knöpfen die lange Knopfreihe geschwind auf und helfen ihm dabei, es auszuziehen. Meine Hände fahren über seine Schulter und ich bemerke, dass seine Haut heiss wie Glut ist und sich bereits ein feuchter Schweissfilm über seinen Körper gezogen hat. Sein Gesicht verzieht sich zu einer schmerzvollen Grimasse, als er es mir zuwendet und als er die Augen öffnet und mich ansieht, sehe ich nichts ausser Trauer und Verzweiflung und den Glanz des Wolfes darin.

Gemeinsam erheben wir uns und seine Hände zittern wie Espenlaub, als er sich nach mir ausstreckt und seine Arme einen Moment um eine Hüfte legt.

»Ich kann es nicht mehr lange kontrollieren«, höre ich ihn stockend an meinem Hals flüstern.

Die Worte vibrieren auf meiner Haut und dringen bis in die unterste Schicht vor.

SilbermondWhere stories live. Discover now