Kapitel 30 - Die Grabstätte der Winterhexen

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Blair

Callisto und Lyra halten sich an den Händen, als sie gemeinsam den dunklen Weg entlang gehen, der von den Parkplätzen bis zum Anfang des Waldes führt. Es ist kurz nach Mittag, aber die Sonne versteckt sich hinter einem dichten Schleicher aus Nebel und Kälte, sodass eine Wegbeleuchtung nicht schlecht gewesen wäre.

Die letzten sieben Stunden haben wir auf engstem Raum in dem Van verbracht und haben nur einmal an einer schäbigen Tankstelle Rast gemacht, um Getränke und Snacks zu kaufen und kurz auf die Toilette zu gehen. In der kurzen Zeit haben wir das Küstenstädtchen verlassen und fast ganz England bis an die Grenzen zu Schottland durchfahren.

Der Northumberland National Park ist ein wunderschönes Fleckchen Erde und weitaus bekannt, da sich darin die berühmte Mauer, der Hadrian's Wall, besichtigen lässt, die damals Schottland von England trennte. Die wilde Rohheit des Landes ist atemberaubend und fast zu schön, um darauf nach einer geheimen Grabstätte der Hexen zu suchen.

Cali macht sich Sorgen. Sie sorgt sich um ihre Schwester, das ist deutlich ersichtlich. Nicht nur wegen der undefinierbaren Beziehung zwischen Lyra und Vincent, von dem nicht einmal ich etwas wusste. Sondern auch wegen dieser ganzen Hexengeschichte, die, zugegen, gefährlich und ein wenig unheimlich ist. Immerhin vertrauen wir blind auf die alten Briefe einer verrückten Hexe, die ihre Kinder zum Schutz vor unserem gestörten Alpha in ein ungewisses Leben schickte und ihnen jegliche Erinnerungen an ihre wahre Identität nahm.

Claire Le Croy scheint zu allem fähig zu sein. Und wir laufen ihr direkt in die Arme.

Viel weiss ich über die Winterhexen nicht, aber wenn ich eines weiss, dann das diese Hexen mächtig und stark sind und nichts für die Werwolfgesellschaft übrig haben. Ich bezweifle, dass es besonders klug ist, nach Claire zu suchen, selbst wenn sie möglicherweise die Antworten auf all unsere Fragen haben könnte.

Aber ich vertraue Callisto. Und sie vertraut Lyra, selbst wenn die nicht weiss, was sie tut.

Ehrlich gesagt, weiss vermutlich keiner von uns, was er tut. Die Neuigkeit, dass Cali die unverzichtbare Schlüsselfigur in dem Le Croy Fluch ist, hat uns alle schockiert und vermutlich hat niemand damit gerechnet. Aber inzwischen ist klar, dass Cali's Tod der einzige Preis ist, den ich nicht zu bezahlen bereit bin und das ist der Grund, wieso ich an ihrer Seite stehe, egal was noch auf uns zukommen mag.

Was die Motivation meiner engsten Freunde angeht, bin ich noch unsicher.

Vincent scheint sich tatsächlich Hals über Kopf in Lyra verliebt zu haben und ist deshalb hier, aber Kalila und Morgan haben sicherlich andere Gründe als blinde Verliebtheit. Vielleicht treibt sie die Loyalität zu mir an, vielleicht aber sehen sie inzwischen keinen anderen Weg mehr, da sie ihren Standpunkt zum Rudel mit der Befreiungsaktion bereits klar positioniert haben. Der Alpha wird uns alle bestrafen, wenn er uns in seine Finger bekommt. Und genau das ist der Grund, wieso ich Cali und Lyra nach ihrer Mutter suchen lasse, denn inzwischen brauchen wir jede Hilfe, die wir kriegen können und sei das mit der an Bedingungen geknüpfte Magie einer unberechenbaren Winterhexen.

Callisto und Lyra laufen ein Stück in den Wald hinein und schauen abermals auf den grob aufgezeichneten Plan, den Lyra in einem der Briefe von Claire gefunden hat. Diese lächerliche Karte soll uns direkt zu den Grabstätten der Winterhexen führen.

Morgan, der schweigend an meine Seite tritt, trägt seine Missbilligung durch unausgesprochene Worte und einer düsteren Miene so offen zur Schau, dass er glatt etwas hätte sagen können. Einen Moment teile ich seine Stille, aber dann seufze ich resigniert und sage: »Ich weiss, was du denkst. Aber unsere Karten liegen schlecht.«

SilbermondWhere stories live. Discover now