Kapitel 8 - Das Düsterschloss

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Blair

Heimlich beobachte ich sie. Es ist irgendwie zu einer Gewohnheit geworden, sie bei allem anzusehen, so als wäre sie mein. Es ist wie eine Sucht, die ich schon nicht mehr kontrollieren kann. Und wie gut sie dabei aussieht. Sie wirft ihr langes, welliges Haar zurück, als sie es unter dem Halstuch hervor zieht. Dann setzt sie ihr altbekanntes, müdes Lächeln auf, das nie ganz ihre Augen erreicht und das weder echt noch warm ist. Ganz anders als ihr echtes Lächeln, das mein Herz von Tag zu Tag immer mehr aufzutauen scheint.

Sie wechselt ein paar nette Floskeln mit dem jungen Mann, der bei der Bank arbeitet. Dann, endlich, gibt sie ihm die Informationen die er braucht um auf das Konto zuzugreifen, dass ihre Eltern anscheinend für sie angelegt haben. Die gesamte Geschichte ihrer Familie ist mehr als verdächtig, und vor allen Dingen, komisch: Nicht nur, dass Cali sich nicht erinnert, ihre Eltern scheinen für Callisto und ihre Schwester vorgesorgt zu haben. Sie haben nicht nur für eine möbelierte Wohnung in London gesorgt, sondern den beiden auch alle nötigen Geldmittel zur Verfügung gestellt. Und ich frage mich, wie um Himmelswillen man seine Kinder ohne jegliche Erinnerungen an sich selbst und an ihre wahre Natur in die weite Welt entlassen kann.

Wer tut so etwas? Und wo liegt der Nutzen darin?, frage ich mich abermals und kann meinen Verstand nicht davon abhalten, die Verknüpfungen zu meinem eigenen Fall von Gedächtnisverlust herzustellen.

Die klaren Worte, die sie mit dem Bankangestellten wechselt, holen mich aus meinen Grübeleien heraus. Ich kann jegliche Laute und die leistete Silbe mit anhören, obwohl ich auf der gegenüberliegenden Strasse stehe und der Stadtlärm sämtliche Geräusche in meinem Kopf verdoppelt. Ich höre ihr zuckersüsses Lachen, und weiss in diesem Moment, dass sie mit dem Typen flirtet.

Mir steigt sauer die Galle hoch, wenn ich daran denke, was dieser Kerl wohl für Gedanken hegt, nachdem ich seinen Puls habe beschleunigen hören. Es gibt verschiedene, körperliche Merkmale, die gewisse Emotionen verraten. So weiss ich zum Beispiel aufgrund von beschleunigtem Atem und Herzrasen, wenn jemand lügt, und ich weiss, wie Männer reagieren, wenn ihnen eine Frau gefällt.

»Wieso hat das so lange gedauert«, fahre ich sie an, als sie mit eiligen Schritten die Strasse überquert und vor mir stehen bleibt.

Zuerst sehe ich einen Schatten über ihren ansonsten recht ausgelassenen Ausdruck huschen, aber dann tritt ein wissendes, gemeines Grinsen auf ihren sinnlichen Mund.

Schnell schaue ich weg.

»Du hast gelauscht«, stellt sie dann nüchtern fest.

Kopfschüttelnd wende ich mich von ihr ab und gehe denselben Weg zurück, den wir wenige Minuten zuvor gekommen sind.

»Nein.«

Schweigend gehen wir zurück zu meinem Auto und als wir gleichermassen die Türen hinter uns geschlossen haben, beugt sie sich gefährlich nahe zu mir herüber.

Ich spüre ihren heissen Atem auf meinem Gesicht und sehe das Funkeln in ihren Augen, als sie sagt: »Es gibt keinen Grund, eifersüchtig zu sein, Blair, ich gehe trotzdem mit dir Nachhause.«

Der Ton in ihrer schönen Stimme ist ausgelassen und gespielt provokativ, als wäre dies eine harmlose Neckerei zwischen Freund und Freundin. Angestrengt versuche ich den verruchten Unterton in ihrer Stimme zu ignorieren, von dem sie gar nicht weiss, dass er da ist. Und ich versuche zu ignorieren, dass die zuckersüsse Verzückung auf ihrem Gesicht das heisse Verlangen und Begehren in mir nicht noch stärker macht. Sie ist verlockender, als sie weiss und verlockender, als gut für mich ist.

Cali lacht fröhlich, als ich selbst nach einer geraumen Weile des Schweigens noch immer nichts auf ihre Aussage zu erwidern weiss. In meinem Magen flattert es verdächtig, als ich meinen Blick einen Moment von der Strasse abwende, um sie neben mir lachen zu sehen. Diese verdammten Gefühle, dieses verdammte Kribbeln.

SilbermondWo Geschichten leben. Entdecke jetzt