Kapitel 3 - Der Fremde in meiner Küche

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Callisto

Ein wildes, lautes Dröhnen weckt mich.

Es dröhnt im Inneren meines Kopfes, als ob ein ganzes Orchester darin spielen würde. Stöhnend halte ich mir eine Hand an den Schädel, der sich trotz des starken Knochens geschwollen und wund anfühlt. Ebenso wie der Rest meines Körpers, der nach eingehender Besichtigung, vollkommen entblößt unter meiner Bettdecke liegt. Verwirrt lasse ich den Stoff fallen und versuche meine empfindlichen Augen zu öffnen, die das grelle Licht der Deckenbeleuchtung nur schlecht aufnehmen.

Was ist passiert?, frage ich mich in dieser Sekunde und versuche mich angestrengt an die letzten Stunden, an das letzte Bild, zu erinnern, das mir inmitten des Durcheinander meines vernebelten Gedächtnisses geblieben ist.

Und dann kommt mir das Gefühl von vollkommener Freiheit und Macht in den Sinn und die grenzenlose Freude, zu rennen.

Meine Sinne scheinen verstärkt, oder auf jeden Fall irgendwie geschärft zu sein, denn als ich mich aufsetze, höre und rieche ich jemanden, der in unserer kleinen Küche ausserhalb meines Zimmers steht und eine Mahlzeit zubereitet. Es ist nicht Lyra.

Schnell raufe ich meinen zerstörten Körper und den letzten Rest meines Verstandes zusammen, schlüpfe in eine kurze Stoffhose und ein bequemes T-Shirt, wobei ich jegliche Unterwäsche weglasse, und verlasse anschließend mein Zimmer. Mit langsamen Schritten folge ich den ohrenbetäubend lauten Geräuschen und dem hellen Licht, welches dieser Fremde gleichermassen in meiner Küche produziert.

»Callisto, du bist wach«, begrüsst er mich, noch bevor er mich erblickt hat und dreht sich erst dann zu mir um.

Bei dem Fremden handelt es sich um den jungen Mann aus dem Park, den ich vor lauter Rage beinahe umgerannt hätte. Nur schwach erinnere ich mich daran, dass er mir gefolgt ist. Nun steht er schwer beschäftigt in meiner Küche. Er trägt eine gemütliche Stoffhose und das dunkle Sweatshirt, dass ich bereits im Park an ihm gesehen habe. In den Händen hält er diverses Kochbesteck und über seiner Schulter hängt ein Geschirrtuch.

Die ganze Situation ist so absurd, geradezu lächerlich, dass der kurze Drang in mir aufkommt, hysterisch loszulachen.

»Wer bist du? Was hast du hier zu suchen?«, bombardiere ich ihn dann aber stattdessen, »und woher kennst du meinen Namen?«

Ein sanftes Lächeln umspielt seinen sinnlichen Mund, das jedoch seine Augen nicht erreicht. Alles in allem ist sein gesamtes Aussehen recht irritierend: Seine Augen haben eine ähnlich unnatürliche Farbe wie meine, doch in der einen Iris erkenne ich selbst von meinem Standpunkt dunkelbraune Flecken, was merkwürdig und zugleich faszinierend ist. Er ist gross, hat kräftige, breite Schultern und einen selbst unter dem Sweatshirt erkennbar definierten Oberkörper, selbst wenn er nicht wie ein typischer Sportler wirkt. Sein sonst so dunkles Haar ist relativ kurzgeschoren, aber er hat sich einen leichten Bart stehen lassen, was ihn insgesamt etwas verruchter erscheinen lässt.

Er ist attraktiv. Und zwar sehr. Angestrengt versuche ich mich nicht von seinem guten Aussehen einschüchtern zu lassen, aber noch mehr muss ich meinen Körper dazu zwingen, nicht augenblicklich auf ihn zu reagieren.

Erfolglos. Es ist wie ein physischer Kurzschluss: Mein Herz hämmert wie verrückt gegen die Innenseiten meiner Rippen, mein Puls rast und meine Hände werden schwitzig. Und als wäre das alles nicht bereits merkwürdig genug, so habe ich das unangenehme aber sehr intensive Gefühl, als ob ich ihn kenne. Es grenzt an ein Wunder, das keine merkwürdigen Erinnerungsbilder durch meinen Kopf zucken, die mir bestätigen, wie verrückt ich tatsächlich bin.

»Immer mit der Ruhe«, erwidert er auf meinen emotionsgeladenen Ausbruch und bedenkt mich ein zweites Mal mit einem kleinen Lächeln, »mein Name ist Blair. Ich habe dich gestern im Park gefunden, erinnerst du dich?«

SilbermondWhere stories live. Discover now