Kapitel 34 - Don't let go

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Callisto

Die Dunkelheit der Nacht hat sich über die Stadt gelegt und ein kalter Wind fegt mit einer brausenden Geschwindigkeit um meinen Körper, doch ich fühle die Kälte nicht, noch höre oder sehe ich das Gewusel der nächtlichen Stadt unter mir.

Ich fühle überhaupt nichts mehr, was im Grunde ein Segen ist wenn man bedenkt, dass Werwölfe selten nichts fühlen. Doch nun fühlt sich das Nichts gewaltig nach totenstiller Leere an, die mich von Innen nach Aussen auffrisst und nichts mehr von meiner Selbst übrig zu lassen scheint.

Ich wünsche mir die überfordernde, übertriebene Wolfswut zurück, die meinen Körper, meinen Verstand und meine Seele in den letzten Wochen stets beherrschte. Und ich wünschte, er wäre hier und würde mir sagen, dass ich mich beruhigen soll, dass ich nicht alleine bin mit dieser Bürde, und ich wünschte, er würde meine Hand nehmen und ich könnte auf unsere ineinander verschränkten Finger hinabsehen und das perfekt zusammenpassende Tattoo auf unseren Handgelenken sehen.

Ich wünsche mir Blair so sehr herbei, und seine deutlich spürbare Abwesenheit schmerzt so sehr, dass mein Herz sich nur kläglich und erbärmlich geschwächt zusammenziehen kann. Und gerade als ich denke, dass es ganz den Geist aufgeben will und ich mich meiner gewaltsam zurückgedrängten Trauer hingeben kann, höre ich das laute Quietschen der Tür, die auf das Dach führt.

Verstohlen wische ich ein paar lose Tränen weg und vergrabe meine Hände in den Taschen der Daunenjacke, bevor sich Lyra mit einer missbilligenden Miene und fest aufeinander gepressten Lippen neben mich auf die steinerne Mauer setzt.

Es ist ihr deutlich anzusehen, dass es ihr hier oben eindeutig zu kalt ist, doch sie meckert nicht. Einen Moment sitzen wir schweigend nebeneinander und bewundern den sternenklaren Nachthimmel, und meiner Meinung nach hätte es auch bis zum Morgengrauen so bleiben können, doch nach einer Weile beginnt sie zu sprechen.

»Meine Sachen wurden in deine Suite gebracht«, informiert sie mich, »der Alpha hat sich also von dir überreden lassen, dass ich bleiben kann.«

Schulterzuckend sage ich: »Nur, wenn du das auch willst.«

»Natürlich«, erwidert sie sofort, »schliesslich müssen wir dieses enorme Henkersschwert, das über deinem Haupt baumelt, entschärfen, nicht wahr?«

»Vielleicht ist es klüger, es gut sein zu lassen«, meine ich tonlos, »ich bin nicht sicher, wie viel der Alpha bereit ist zu tolerieren.«

Lyra schnaubt und ich höre den Ärger in ihrer Stimme deutlich, »Cali, ich gebe nicht auf. Selbst wenn du dich offensichtlich mit deiner miesen Lage abgefunden hast und bereit bist in zwölf Monaten dein Leben für eine Sache zu opfern, die es definitiv nicht Wert ist zu sterben. Ich bin nicht bereit meine grosse Schwester an diesen Schwachsinn zu verlieren ... ganz gleich, was ich dafür tun muss, ich werde einen Weg finden.«

Lyra klingt überraschend überzeugt von ihrer Stärke und Willenskraft, wobei ich davon ausgehe, dass sie damit vor allem ihre Fähigkeiten als Hexe meint. Und wenn diese ganze Situation nicht so aussichtslos gewesen wäre, dann hätte ich jetzt eine Menge Stolz für sie empfunden, doch so bleibt sie mir im Halse stecken.

Momentan sieht es nämlich nicht danach aus, dass wir einen Ausweg finden. Ohne Claire Le Croy, unserer durchgedrehten Mutter, wird es ohnehin schwierig, eine Lösung zu finden, die mir bestenfalls das Leben rettet. Abgesehen davon, dass mein Vater wiederum äusserst überzeugt von seinem Tun und motiviert ist, mir während eines kranken Rituals das Leben zu nehmen.

Und auch wenn ich mich durchaus freiwillig entschieden habe zum Rudel zurückzukehren, fühlt es sich nun danach an, als sässe ich fürchterlich in der Falle.

SilbermondWhere stories live. Discover now