Kapitel 19.2 - Die rosarote Blase

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Blair

Die Tage verstreichen wie im Flug. Das Hotelzimmer ist zu unserer persönlichen Blase geworden, die keiner von uns mehr verlassen will. Jedenfalls fühlt es sich so an.

Alles in mir sträubt sich, wenn ich daran denke, dass in wenigen Tagen Vollmond ist und wir uns mit meinem Rudel treffen um Lyra einzutauschen. Seit Tagen denke ich darüber nach, wie ich es Callisto am besten sagen soll und ich weiss, dass jeder verstrichene Tag ein Tag mehr ist, an dem ich sie belüge. Ich hasse mich dafür, sie anzulügen und sie so auszunutzen.

Ich versuche mir einzureden, dass ich es vor allem tue, um sie zu beschützen. Und in gewisser Hinsicht stimmt das vielleicht sogar ... Aber vermutlich bin ich einfach bloss feige.

Callisto wird mit jedem Tag gereizter. Sie geht wie auf Nadeln; jedes Geräusch und jede unkontrollierbare Komponente schreckt sie auf und macht sie nervös. Ich wünschte, ich könnte ihr versichern, dass alles gut werden wird, doch selbst wenn ich weiss, dass es Lyra gut geht, habe ich keine Ahnung wo uns diese Geschichte hinführen wird.

Inzwischen liegt klar auf der Hand, dass Cali irgendwie besonders ist. Vielleicht liegt es bloss daran, dass sie ein Mischling ist: das Kind einer Hexe und eines Werwolfes, - was im Grunde schon ausreicht, um in unserer Welt als besonders zu gelten -, doch je mehr Zeit ich mit ihr verbringe, desto überzeugter bin ich davon, dass das noch nicht alles ist.

Ich gehe den Anrufen und Nachrichten meiner Brüder bewusst aus dem Weg, vereinbare kaum noch heimliche Treffen mit ihnen und halte sie auf Abstand.

Alles was ich will, ist mehr Zeit. Mehr Zeit um ihr nahe zu sein, um einen Ausweg zu finden, um eine unmögliche Erklärung für das zu finden, was ich hier tue. Ich weiss, es gibt nicht mehr Zeit; ich weiss, es gibt keine zweiten Chancen, nicht in meiner Welt.

Wir sitzen auf einer Bank im Park und geniessen das friedliche Winterwetter. Der Schnee liegt Knöchelhoch, sodass alles um uns herum in eine makellose weisse Decke gehüllt ist. Es ist wie im Märchenland. Ich höre Callisto neben mir tief seufzen und ein kurzer Blick auf ihr wunderhübsches Äusseres verrät mir, dass sie ihren verworren Gedanken nachhängt. Sie macht sich stets fürchterlich viele Gedanken über die Ereignisse, die sich in den letzten Wochen förmlich überschlagen haben und auf die wir weiterhin keine klaren Antworten haben.

Ihre Sorgen sind verständlich, mir geht es ja nicht anders. Aber leider haben wir noch immer keinerlei Anhaltspunkt, um mehr darüber herauszufinden, wer sie ist und woher sie kommt. Ebenso wie bei mir. Wir wissen nichts über unsere vorherigen Leben, ausser dem, was wir momentan empfinden. Und natürlich die wenigen Erinnerungsfetzen, die sich ab und zu zeigen, doch die helfen nicht besonders weiter. Alles was sie uns sagen ist, dass wir einmal zusammen gewesen sind, glücklicher und jünger.

Das Gefühl ist immer noch äusserst merkwürdig, wenn ich so darüber nachdenke. Aber so langsam gewöhne ich mich an das Ungewisse.

»Wir müssen bereit sein«, sagt sie dann, »inzwischen ist es mir egal, was ich alles nicht verstehen kann. Ich will einfach meine Schwester zurück. Vielleicht hat sie sogar mehr herausgefunden als wir und kann uns weiterhelfen.«

Der Gedanke an Lyra holt mich in die unausweichliche Tragödie der näheren Zukunft zurück. Ich weiss, dass es meine Schuld ist und das meine eigene Dummheit und der Egoismus mich in diese Lage gebracht haben, auch wenn ich diese Tatsache noch immer zu verdrängen versuche.

Aber mir ist der Gedanke, dass Lyra mehr weiss als wir, auch schon gekommen.

»Mach dir keine Sorgen«, pflichte ich ihr bei, »solange sie den Stein wollen und wir ihn haben, wird alles gut gehen.«

SilbermondWo Geschichten leben. Entdecke jetzt