Kapitel 21 - Der Alpha

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Blair

Es ist das erste Mal seit fünf Wochen, dass ich in meinem eigenen Zimmer stehe. Davor habe ich eine Woche im Auto geschlafen, während ich Callisto beobachtete und nach der Nacht im Park habe ich vorübergehend auf ihrem Sofa gelebt. Die Unordnung, die ich hinterlassen habe, ist noch immer vorhanden und ich bin ungeahnt erleichtert, dass ich alles so vorfinde, wie ich es zurückgelassen habe.

Wutentbrannt werfe ich die Jacke auf mein Bett und warte darauf, dass meine engsten Freunde, die in den letzten Jahren zu meiner Familie geworden sind, mir folgen. Vincent schliesst die Tür hinter sich ab und die drei stellen sich vor mir auf. Sie achten nicht auf das heillose Chaos in meinem Zimmer, stattdessen macht Morgan sich daran, sich eine frische Zigarette zu drehen und das fertige Endprodukt hinter sein Ohr zu stecken.

»Was habt ihr euch nur dabei gedacht?«, rufe ich schliesslich, da keiner der dreien ein Wort zu ihrer Verteidigung sagen.

»Komm runter, du Märchenprinz«, schnauzt Kalila, »es geht ihr gut. Sie ist sicher verwahrt. Und das bedeutet für uns, wir müssen uns nicht mehr vor dem Alpha und dem ganzen Rest des Rudels blamieren, weil wir einen simplen Auftrag nicht auf die Reihe gekriegt haben.«

Gefährlich ruhig laufe ich zu Kalila rüber, stelle mich direkt vor ihr auf und überrage sie mit meiner stolzen Körpergrösse und den breiten Schultern um einiges. Sie lässt es sich nicht anmerken, aber für den Bruchteil einer Sekunde zuckt sie unweigerlich zusammen, bevor sie zu ihrer alten Aufmüpfigkeit zurückfindet.
Mein ganzer Körper ist bis zum Zerreissen angespannt; meine Haut juckt fürchterlich, mein Herz und mein Puls schlagen schon eine Weile nicht mehr in normalem Takt und ich weiss, dass wenn der Vollmond heute Nacht aufgegangen ist, kann ich meinen Körper endlich von dieser Qual befreien. Es ist wie immer die schönste und gleichzeitig die schlimmste Zeit des Monats: Wolfszeit. Und während dieser paar Stunden will man mich besser nicht zum Feind haben, denn ich kann genauso unberechenbar und unkontrollierbar sein, wie das Tier in mir es will.

»Du tätest gut daran, deine nächsten Worte weise zu wählen«, knurre ich sie an, »ansonsten kann ich diese Nacht für nichts garantieren.«

»Soll das eine Drohung sein? Noch eine?«, fragt Kalila in ihrem gewohnt spöttischen Tonfall und sie hebt herausfordernd die Schultern an, drückt ihre Zähne fest aufeinander und ballt die Hände zu Fäusten.

»Das reicht.«

Die Worte kommen natürlich von Morgan, der von seinen selbstgedrehten Zigaretten absieht und aufsteht. Er kommt zu uns herüber und drückt unsere Körper gewaltsam auseinander, sodass ein günstiger Sicherheitsabstand zwischen Kalila und mir entsteht. Sofort klärt sich mein Kopf und die Wut verteilt sich in meinen Gliedmassen, bis sie sich weniger intensiv anfühlt und ich wieder klarer denken kann.

»Es hat keinen Sinn, uns gegenseitig Vorwürfe zu machen. Was geschehen ist, ist geschehen und Callisto ist nun hier«, meint Morgan, als ob die Sache damit abgeschlossen wäre.

Er bewegt sich langsam im Raum auf und ab und sieht immer mal wieder zu mir herüber, als ob er sich versichern will, dass ich nicht jede Sekunde an die Decke gehe.

»Wann wolltest du uns eigentlich erzählen, dass Callisto zu deiner ominösen Vergangenheit gehört, die du angeblich vergessen hast?«, will Morgan schliesslich wissen und kommt direkt auf mich zu.

Auch Vincent bewegt sich hinter ihm und dreht sich in meine Richtung. Kalila ist wie immer die einzige die abschätzig schnaubt und die Hände hebt, als ob sie sich die Haare raufen will.

»Ich habe nicht angeblich irgendetwas vergessen«, verteidige ich mich, »und woher weisst du davon?«

»Ich habe das Tattoo gesehen«, sagt Morgan schulterzuckend, »es sieht nicht nur aus wie deines, die Worte passen auch zusammen.«

SilbermondWhere stories live. Discover now