Kapitel 24 - Du bist mein Blutopfer

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Callisto

Schock ist nicht einmal ansatzweise das Gefühl, mit dem ich meinen derzeitigen Zustand beschreiben würde. Ehrlich gesagt finde ich hierfür nicht die richtigen Worte, selbst wenn ich in der Lage wäre, es zu versuchen.

Doch es kocht in meinem Inneren. Es kocht, sprudelt und sprüht Spritzer und Funken von Wut und Hass und irgendwann vermischt sich eben diese Wut mit allerlei namenlosen Gefühlen in meinem Bauch. Und als das Blut in meinen Ohren zu Rauschen beginnt, mein Herz mit einer ungeahnten Kraft und Geschwindigkeit gegen meine Rippen donnert und ich das Gefühl habe langsam und qualvoll zu ersticken, kommt endlich Bewegung in meinen eiskalten Körper.

Blair, der mindestens ebenso schockiert über diese Aussage ist wie ich, krallt seine Hand in meinen steifen, kalten Unterarm und hält mich so knapp davor ab, dem Alpha an die Gurgel zu springen. Ich bin unsicher woher diese immense Wut herrührt, aber selbst wenn es stimmt was er da behauptet, so möchte ich verdammt sein, wenn ich es einfach so herunterschlucke.

Es kann nicht wahr sein!, rudern meine Gedanken verzweifelt zurück, nur weil er es behauptet, heisst das doch noch lange nicht, dass es auch der Wahrheit entspricht.

Mit einem Mal ist die Wut wie verflogen; sie verflüchtig sich wie ein kalter Nebeldunst in der Luft und den unausgesprochenen Gedanken zwischen mir und dem Mann, der behauptet mein biologischer Erzeuger zu sein. Und an ihrer Stelle statt bleibt bloss ein ernüchterndes Gefühl der Enttäuschung zurück und mindestens eine Millionen Fragen gleichzeitig prasseln auf meinen Verstand ein; so schnell und so zahlreich, dass ich nichts weiter tun kann, als verzweifelt zu schweigen.

»Nein«, höre ich das Flüstern meiner Schwester, die noch immer direkt hinter mir steht und sich bislang ebenso schweigsam verhalten hat, »das kann nicht wahr sein.«

Meiner eigenen durcheinander gewirbelten Gefühlswelt ist es zu schulden, dass ich den schrillen Ton in Lyra's Stimme nicht sofort wahrnehme, doch ihre geflüsterten Worte klingen nach purer Verzweiflung.

Und dann, als wäre die Situation nicht bereits Zumutung genug, durchschneidet der hohe Schrei meiner kleinen Schwester den Raum und mischt sich mit den teils wohlwollenden Rufen der anwesenden Oberschicht der Werwolfgesellschaft.

Blair und ich wenden uns fast zeitgleich zu Lyra um, die sich mit einer unerwarteten Kraft von Vincent losreisst und mit unkontrollierten Bewegungen gen Mitte des Raumes prescht, direkt auf den noch immer breit grinsenden Alpha zu. Blair versucht noch, ihren Arm zu greifen und sie aufzuhalten bevor es zu spät ist, doch sie windet sich geschickt aus seinem Versuch und stürzt sich mit einer heftigen Aggression auf den Alpha.

Dieser, noch immer Herr der Lage, scheint ihre Machenschaften als solche lange vor uns enttarnt zu haben und ist auf ihren überraschenden Angriff vorbereitet. Er tritt einen Schritt zur Seite, sodass Lyra ins Nichts stürzt und packt sie schliesslich an ihrem vollen, silberweissen Schopf. Er reisst ihren schlaff gewordenen Körper an ihrem Haar auf die Füsse und zieht ihr Gesicht ganz nah an sein eigenes.

Ein abgrundtief hässliches, emotionsloses Grinsen tritt auf seinen Mund und verzieht sein ansonsten recht ansehnliches Gesicht zu einer grausigen Fratze. Er sagt in kaum vernehmbarer Lautstärke: »Kluges Kind«, und legt seine freie Hand um ihren Kiefer.

Lyra's Gesicht ist noch immer von kindlicher Rundung und so ertrage ich es kaum, sie in seinen widerlichen, offenbar sehr gewalttätigen Fängen zu sehen. Aber als Blair mich zurückhält, seine Arme um meinen Oberkörper legt und mich davon abhält, meiner Schwester zur Hilfe zu eilen, kann ich nur machtlos zusehen, wie er seine Fingerspitzen über ihre rundlichen Wangen gleiten lässt.

»Deine Schwester scheint die einzige zu sein, die verstanden hat, um was es hier tatsächlich geht und wieso du, Callisto, von unvergleichlichem Wert für mich bist«, richtet der Alpha sein Wort an mich.

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