Kapitel 13 - Das Wolfsrudel

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Blair

Mein Blick fährt über ihren schlafenden Körper. Ihre Brust hebt und senkt sich in beruhigender Gleichmässigkeit und ihr Gesicht hat einen selten entspannten Ausdruck angenommen. Cali hat sich auf dem Sofa ausgestreckt, sodass ihre Beine halb über der Lehne hängen und ihren Kopf hat sie auf ein Kissen gebetet, das gegen meine Beine drückt. Ihr weisssilbernes Haar ist in grossen Wellen hinter ihrem Rücken eingeklemmt und doch rieche ich das blumige Shampoo.

Mich überkommt der Drang, es hervor zu ziehen und noch bevor ich mich davon abhalten kann, tue ich genau das. Meine Fingerspitzen gleiten über ihren Nacken, berühren ihre warme Haut und fahren unter ihren Kopf. Mit einer raschen, sanften Bewegung ziehe ich ihr Haar unter ihrem Körper hervor und als hätte sie es geahnt, bewegt auch sie sich in diesem Moment. Mit einem wohligen Seufzen hebt sie ihren Oberkörper etwas an, bis sie ihr Gesicht schließlich auf meinem Oberschenkel ablegt.

Wie in Trance wandert meine Hand über ihren Hals bis zu ihrer Wange und unweigerlich muss ich an den Moment zurück denken, als ihr Ex hier aufgetaucht ist. Mein Mund auf ihrer Haut und meine Hände um ihre Hüften; es war wie ein Rausch gewesen, wie eine Droge, die ich verzweifelt konsumierte und mir nicht vorstellen konnte, jemals damit aufzuhören.

Ich möchte mich herunter beugen und ihr Gesicht mit meinen Lippen bedecken und sie in einen schönen Traum küssen, doch etwas hält mich davon ab. Frustriert lehne ich den Kopf auf die Rückenlehne des Sofas zurück und schliesse die Augen. Angestrengt versuche ich mich davon abzuhalten, etwas zu tun, das ich bereuen werde.

In den meisten Wolfsrudeln ist es strengstens verboten, dass gebissene Wölfe sich den reinblütigen Werwölfen auf diese Art nähern. So auch in meinem. Bislang stellte diese Regel kein Problem für mich dar, denn im Silbermond Rudel gibt es keinen reinblütigen Werwolf, der auch nur ansatzweise mein Interesse erweckte. Das hat sich allerdings schlagartig geändert, als ich Callisto kennenlernte. Wobei es sich in unserem Fall nicht einmal um Interesse handelt, eher um einen unwiderstehlichen Drang ständig in ihrer Nähe sein zu wollen, den ich inzwischen nicht mehr erfolgreich kontrollieren kann. Andauernd erwische ich mich dabei, wie ich sie anstarre, wie mein Herz zu rasen beginnt, wenn sie mich ansieht, mich berührt und ständig habe ich das Bedürfnis, sie meinerseits zu berühren. 

Ich kann nichts dagegen tun und je länger wir zusammen sind, desto stärker scheint diese Anziehungskraft zu werden. Und je mehr wir gemeinsam erleben und in Erfahrung bringen, desto überzeugter bin ich davon, dass all dies kein Zufall ist; dass alles mit ihr zusammenhängt und dass sie die Lösung für all meine Fragen ist.

Und das ist nicht nur sehr verwirrend, sondern auch wirklich angsteinflössend. Abgesehen davon, dass ich gerade dabei bin, mich einem strikten Befehl des Alphas zu widersetzen. Meine Aufgabe lautete, sie aufzuspüren und zum Rudel zu bringen, aber solange ich nicht weiss, was hier los ist, werde ich einen Teufel tun. Wohlwissend, dass dies meinen Tod bedeutet. In meiner Welt gibt es kein schlimmeres Verbrechen, als den Befehlen seines Alphas kein Gehorsam zu leisten.

Seit ich Callisto über den Weg gelaufen bin, habe ich ohnehin mindestens ein Dutzend Regeln gebrochen und gegen Gesetze verstossen, die nicht nur von den Werwölfen aufgestellt, sondern auch von den Hexen unterstütz werden. Meine Gleichgültigkeit meiner Zukunft gegenüber ist erschreckend, daher versuche ich schlichtweg auch das zu ignorieren.

Für mich sind meine Ziele und Wünsche inzwischen sehr überschaubar geworden und das einzige, was ich will, ist der Frau zu helfen, die schlafend auf meinem Schoss liegt. Selbst wenn ich nicht so genau verstehe, was zwischen uns ist. Oder woher es kommt und was das alles zu bedeuten hat. All diese Fragen sind nicht mehr wichtig, wenn ich in ihr bildschönes Gesicht blicke und mir immer mehr bewusst wird, dass sie das einzig wichtige Puzzleteil ist, dass mein verwirrter Verstand all die Jahre verzweifelt gesucht hat.

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