Kapitel 27 - Sinnlichkeit und Leidenschaft

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Callisto

Lyra schert sich nicht um meine Privatsphäre, stattdessen betritt sie ohne anzuklopfen das Badezimmer und wirft mir einen missbilligenden Blick zu. Trotzig ignoriere ich jedoch ihren Unmut und fahre mit meinen ausgestreckten Fingern durch mein zerzaustes Haar, das sich in seinen widerspenstigen Locken über meinen Oberkörper ergiesst.

»An deiner Stelle wäre ich vorsichtig mit deinen anschuldigenden Blicken«, beginnt Lyra schliesslich, »ich bin nicht diejenige, die heimlich mit einem heissen Werwolf rummacht.«

»Ich mache mit niemandem heimlich rum«, verteidige ich mich schwach.

Lyra lacht trocken und wenig amüsiert.

»Na gut, dann eben nicht heimlich. Aber rumgemacht wird definitiv. Und im Gegensatz zu dir, würde ich es dir niemals verheimlichen, wenn sich zwischen Vincent und mir etwas ergibt.«

Mit sarkastisch erhobener Augenbraue sehe ich sie durch den Spiegel hinweg an, »Ich glaube, du würdest es überhaupt niemandem verheimlichen mit deinem Verhalten, Lyra. Offensichtlicher könntest du es nun wirklich nicht machen.«

»Das ist doch nicht der Punkt!«, ruft sie dann aufgebracht.

Schulterzuckend tue ich so, als wüsste ich nicht, wovon sie spricht, sondern arbeite weiter daran die Knoten aus meinem Haar zu lösen. Leider erfolglos.

»Und ausserdem«, fährt sie fort und zieht sich zeitgleich das T-Shirt über den Kopf, »seit ihr beide auch nicht gerade diskret, meine liebe Schwester. Blair und du himmelt euch gegenseitig an, es ist kaum auszuhalten.«

Erneut zucke ich mit den Schultern und ignoriere ihre haltlose Anschuldigung vehement. Ich kann mir allerdings nur zu gut vorstellen, dass sie damit recht hat. In Blairs Nähe bin ich schlichtweg nicht in der Lage, meine Emotionen zu kontrollieren, geschweige denn, was mein verräterischer Körper anstellt. Blair macht verrückte Sachen mit mir.

Lyra entkleidet sich vollkommen und steigt in die Dusche. Der warme Wasserstrahl produziert augenblicklich heissen Dampf, der langsam die Scheiben beschlagen lässt. Mein Spiegelbild ist kaum noch durch das milchige Glas zu erkennen und ich wende den Blick ab.

»Wie ist es überhaupt dazu gekommen, dass du Vincent so toll findest?«, frage ich schliesslich mit erhobener Stimme über das Getose des Wassers hinweg.

Diese Frage beschäftigte mich seit ich die beiden das erste Mal zusammen wahrgenommen habe und ich habe mich seither gefragt, wie es sein kann, dass meine Schwester ihren Entführer auf irgendeine Weise anziehend findet. Um ehrlich zu sein, ist das mehr als verstörend und beweist mir einmal mehr, dass Lyra nicht alle Tassen im Schrank hat.

»Er war nett zu mir, während ich einen gesamten Monat in diesem Loch versauert bin«, sagt sie leichthin, als wäre ihr seine Verwicklung in das Ganze schlichtweg nicht bewusst, »er hat mich bei Laune gehalten. Er hat mir täglich mehrere Stunden Gesellschaft geleistet, mir frische Kleidung und Mädchenkram gebracht und mir von seinem Leben als Werwolf erzählt. Er sagte, es tue ihm leid, dass ich in dieser Lage bin und dass sie nur den Stein von dir wollen. Er hat mir versprochen, mich sicher Nachhause zu bringen, sobald alles vorbei ist.«

Die Erzählung ist gleichermassen vollkommen absurd, wie irgendwie charmant. Ich kann merkwürdigerweise verstehen, wieso sie sich in ihren hübschen Entführer verguckt hat, selbst wenn man hier eindeutig vom Stockholm-Syndrom sprechen muss. Anders lässt sich diese zunehmende Verwirrung meiner kleinen Schwester nicht beschreiben.

Vielleicht haben sie ihr Bewusstseinsverändernde Drogen gegeben, denke ich hysterisch.

»Zuerst habe ich ihn jedes Mal zu schlagen versucht, als er in meine Zelle gekommen ist. Aber irgendwann habe ich kapiert, dass er mir nicht hätte Gesellschaft leisten müssen, wenn er es nicht gewollt hätte und dass ich ihm leid tat. Und irgendwie fand ich das süss.«

SilbermondWo Geschichten leben. Entdecke jetzt