Kapitel 31 - Die Wahrheit über den Fluch

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Callisto

Die unendliche Dunkelheit des Winters hat sich über das Land gelegt und die Strassen tuen sich, in die tausenden Lichter der anderen Autos getaucht, vor uns auf. Wir haben die Autobahn vor wenigen Minuten verlassen und fahren nun über eine meist verlassene Landstrasse. Es kann nun nicht mehr weit sein.

Ich denke an Lyra's Gesicht zurück und mir läuft ein eiskalter Schauer mein Rückgrat hinab. Ich denke daran, wie meine kleine Schwester in Mitten der verrotteten Überreste unserer Vorfahren stand und mit entgeisterter Miene über den einen Fluch gesprochen hat, vor dem sich hier alle fürchten.

»Du glaubst nicht, was geschehen wird, wenn der Fluch erst einmal gebrochen ist, Cali«, sagte sie und ihre Augen wuchsen zu kugelrunden grossen Teichen der Verzweiflung und schieren Angst an, sodass sich augenblicklich jeglicher Widerstand in meinem Inneren auflöste und ich nur noch zuhörte.

»Der Fluch hat eine einfache, klare Wirkung: Die Zerstörung der Gwynedd Wölfe und all jener, die sich ihnen anschliessen. Das schliesst das gesamte Silbermond Rudel mit ein und alle reinblütigen Oberhäupter; fast die gesamte, britische Werwolfgesellschaft.«

»Was soll das bedeuten?«, fragte ich, um mehr darüber zu erfahren.

»Der Fluch hat verhindert, dass die reinblütigen Werwölfe des Silbermond Rudels sich vermehren. Deshalb waren die Familien weitgehend Kinderlos und so sterben die reinblütigen Linien der Werwölfe nach und nach kümmerlich aus. Und der Fluch kann nur unter bestimmten Umständen gebrochen werden: Fast unmöglich sie so herzustellen, wie sie damals waren.«

Lyra erklärte mir eingehend, was man benötigt um solche dunklen Flüche zu brechen und das es ein Vorhaben der Unmöglichkeit darstellt, das zu schaffen. Der jetzige Alpha, mein Vater, sucht seit Jahrzehnten nach einer Lösung, ebenso wie seine Vorgänger. Und da ich beide Blutopfer in mir vereine, ist die erste unüberbrückbare Hürde quasi geschafft. Das weitere Vorgehen hängt davon ab, wie gut die Umstände der damaligen Situation nachgestellt werden können und wie detailliert die Informationen des Alphas sind.

»Vielleicht weiss er selber nicht, was er tut«, meinte Lyra, »aber das bezweifle ich. Er hatte Jahrhunderte Zeit, um an die richtigen Informationen zu gelangen.«

»Gibt es eine Möglichkeit, ihn aufzuhalten?«

»Ich weiss es nicht«, meinte Lyra und sah dabei verzweifelter aus, als ich mich fühlte, »aber es gibt eine gute Nachricht: Ein Merkmal des Originalfluchs ist die Vollmondnacht, in der er erschaffen wurde. Die Winterhexen nennen ihn den Blutmond und er kommt nur alle sieben Jahre einmal vor. Das bedeutet, wir haben knapp zwölf Monate Zeit um eine Lösung zu finden, die nichts mit deinem Tod in dieser Sache zu tun hat. Solange muss der Alpha sich mit diesem widerlichen Opfermord gedulden und solange bist du ihm das Heiligste auf der Welt. Er wird nicht zulassen, dass dir etwas geschieht.«

Mit diesen Worten schaffte es Lyra, dass sich in mir eine Idee, - ein Plan -, formte, von dem ich seit diesem Zeitpunkt keinen in Kenntnis gesetzt habe. Mit einem hatte Lyra recht: Der Alpha wird nicht zulassen, dass mir auch nur ein Haar gekrümmt wird, bis ich nächstes Jahr zum genau richtigen Zeitpunkt sein Blutopfer werde.

Aber bis dahin habe ich eine Kontrolle und Macht, die er nicht beherrschen kann: Mich selbst. Und ich werde sicherlich nicht kampflos aufgeben. Besser gesagt: Ich werde nicht aufgeben, ohne etwas dafür zu fordern. Und wenn ich es geschickt anstelle, gelingt es mir zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Dinge einzufordern und der Alpha wird sich meinem Willen beugen müssen.

Natürlich erzähle ich keinem meiner Mitreisenden von meinen Plänen, denn logischerweise verlangt ein ebenbürtiger Handel, dass auf beiden Seiten etwas lohnenswertes angeboten wird und in diesem Fall ist mein lohnenswertes Etwas mein Leben. Ich bin bereit es zu geben, wenn ich dafür etwas für mich wertvolles zurück bekomme.

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