Kapitel 33 - Herzblut und Angst

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Blair

Feine Wassertropfen tropfen unaufhörlich von der Decke, sie produzieren in der unendlichen Stille und dem erbarmungslosen Hall des Raumes ein unfassbar lautes Geräusch, sodass ich mir am liebsten die Ohren zugehalten hätte. Der anhaltende Reiz ist fast zu viel für meinen ohnehin erschöpften Körper und Verstand.

Abermals öffne ich die Augen und lasse das Augenwasser meinen Blick verschleiern, und sehe doch, dass sich ein weiterer Blutstropfen zur bereits vorhandenen Lache auf dem weissen Boden gesellt. Die rote Pfütze sammelt sich zu meinen gefesselten Füssen, läuft unter den Stuhl, auf dem ich seit Stunden unfreiwillig hocke, und wird mit jeder verstrichenen Sekunde grösser.

Der Blutverlust steigt mir langsam aber sicher zu Kopf; und wenn man die Menge bedenkt, die bereits wild verteilt überall in dem ansonsten makellosen Raum liegt, ist das nicht weiter verwunderlich. Lange werde ich wohl nicht mehr bei Bewusstsein bleiben können, selbst wenn mein Verstand noch nicht bereit ist dies zu akzeptieren.

Mein Körper schreit praktisch nach Erholung und bettelt darum, dass ich loslasse und aufgebe, damit er endlich zur Ruhe kommen kann. Doch mein Verstand lässt es nicht geschehen; ich sage mir, wenn ich wach bleibe, werde ich schnellstmöglich erfahren, was geschehen ist. Ich sage mir, wenn ich durchhalte, werde ich sie wiedersehen.

Allerdings sind seit unserem Unfall auf der Landstrasse unzählige Stunden, wenn nicht gar Tage vergangen, und wenn ich nun die Augen geschlossen halte, fällt es mir beunruhigend schwer ihr Gesicht vor meinem inneren Auge zu sehen.

Wo sie wohl gerade steckt, was sie denkt und ob sie verletzt ist? Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass der Alpha ihr ein Leid zugefügt hat, dafür ist sie zu wertvoll. Doch allein der Gedanke daran schafft es, dass erneut bitterkalte Wolfswut meinen Körper mit seiner unaufhörlichen Kraft durchschüttelt und mir die Galle hochsteigt. Ich muss den letzten Rest meiner Selbstbeherrschung zusammenraufen, um mich nicht zu übergeben.

Dann, als ich denke, dass mich meine Gedanken noch in den Wahnsinn treiben, geht plötzlich in einer schier unerträglichen Lautstärke die Tür zu meiner Verhörzelle auf und die Männer des Alphas betreten schweigend den Raum. Zwei Männer machen sich mit grimmigen Mienen daran, die Fesseln um Hand- und Fussgelenke zu lösen, während die beiden anderen vor der weit geöffneten Tür warten. Dann werde ich grob und ohne Rücksicht auf meine unzähligen Verletzungen auf die Füsse gerissen und erbarmungslos aus dem Raum gezerrt.

Wenn die beiden Männer mich nicht weiterhin an den Oberarmen aufrecht gehalten hätten, dann wäre ich vermutlich zusammengebrochen. Meine Kraft reicht nicht einmal mehr aus, mein eigenes Körpergewicht zu tragen.

Der Gedanke ist beschämend, doch ich versuche all das zu ignorieren und meinen Verstand auf das mir bevorstehende zu fokussieren: Die Bluthunde des Alphas führen mich gewissenhaft durch das Hauptgebäude, auf direktem Weg in meine Räumlichkeiten und überlassen mich sogleich meiner selbst.

Jedenfalls denke ich das, doch dann bemerke ich die mir fast vollkommen fremde Person, die es sich auf meinem gemütlichen Sessel bequem gemacht hat. Als ich stolpernd den Raum betrete, steht auch sie auf und kommt sogleich auf mich zu. Sie hat dunkles Haar und schneeweisse Haut.

»Blair Beaufort, setzen Sie sich und ziehen Sie das T-Shirt aus«, sagt die junge Frau.

Eine merkwürdige Aussage, geht mir einen Moment durch den Kopf, doch ich mache mir darüber keine weiteren Gedanken.

Sie trägt einen weissen Kittel mit langen Ärmeln, der fast bis zum Boden reicht und keinen Blick auf den Rest ihrer Kleidung oder Körper gestattet. Sie trägt eine grosse Tasche, gefüllt mit lauter medizinischer Utensilien bei sich und macht sich daran, alles nötige auszupacken. Während ich tue, wie mir geheissen, bemerke ich ihre forschenden Blicke nur zu gut, die mir bei jeder kleinsten Bewegung folgen und mich genau analysieren.

SilbermondWhere stories live. Discover now