Kapitel 20 - Angst ist kein brauchbares Gefühl

93 13 3
                                    

Callisto

Sobald ich mit einem stinkenden Sack auf dem Kopf in einem Fensterlosen Van sitze, gefesselt und geknebelt wie ein Schwerverbrecher, und darüber nachdenke, wohin mich mein Leben in letzter Zeit geführt hat, muss ich tatsächlich laut auflachen.

Ich lache, weil es sich nicht lohnt Angst zu haben. Es macht keinen Sinn Panik zu bekommen, denn offenbar scheinen mich heutzutage selbst wahllose Fremde entführen zu wollen.

Die Angst ist kein brauchbares Gefühl, eher im Gegenteil; sie lässt einen alles vergessen und nicht mehr klar denken, geschweige denn rational handeln. Wut hingegen, purer hässlicher Zorn, erlaubt es mir, meine Umgebung und alle die mir zu nahe kommen oder mir Schaden zufügen wollen, in Stücke zu zerreissen und ohne schlechtes Gewissen zu verschwinden.

So viel zum Thema Selbstverteidigung, Feminismus und die Tatsache, dass ich nicht auf das Können eines Mannes angewiesen sein will.

Auch dieser Gedanke bringt mich dazu, wie eine Verrückte hysterisch loszulachen.

Und doch habe ich auf halbem Weg aus dem Hotelzimmer entschieden, alles mit mir geschehen zu lassen und später darüber nachzudenken, wie ich aus der Situation herauskomme. Wenigstens weiss ich, dass es sich bei meinen Entführern nicht um irre Hexen von irgendeinem kranken Kult handelt, sondern eindeutig um Werwölfe. Wenn ich es nicht gerochen hätte, dann hätte ich diese Tatsache aus den Gesprächen heraus gehört, die die drei miteinander führen.

Ich höre drei Herzen, die wild in den Körpern meiner Entführer schlagen. Ich höre ihren irren Puls, rieche das Adrenalin in ihrem Schweiss und ich kann praktisch die Aufregung in dem kleinen Van fühlen, die diese Leute versprühen.

Sie haben mir mein Telefon und meine Schlüssel abgenommen, doch ich weiss, dass sie sie aufgehoben haben. Eine der dreien ist eindeutig eine Frau; eine, die es irgendwie besonders auf mich abgesehen hat und ich hoffe wirklich nicht, dass es noch eine von Blairs Verflossenen ist, die ihren Ärger an mir auslassen will. Langsam muss ich eine Liste über potenzielle Verrückte führen, die mir den Hals umdrehen wollen um ihren ehemaligen Schatz zurückzubekommen.

Das Auto, indem wir sitzen, fährt schnell. Zu schnell für die Innenstadt von London, also gehe ich davon aus, dass sie nicht nur irre sind sondern auch wie Irre fahren.

Inzwischen glaube ich wirklich, dass es an ein Wunder grenzt, falls ich diesen Tag überleben sollte. Das einzig Gute an dieser Situation ist, dass sie nach dem Stein gesucht haben und ich mir fast sicher bin, dass sie meine kleine Schwester erwähnt haben. Sie nannten zwar nicht explizit ihren Namen, doch sie sagten die andere Gefangene, was für mich Grund genug ist, davon auszugehen, dass damit Lyra gemeint ist. Und das hingegen ist ein Grund mehr, in diesem Moment ruhig zu bleiben. Diese Werwölfe führen mich mit viel Glück direkt zu meiner Schwester und sobald ich sie sehe, kann ich mir immer noch Gedanken darüber machen, wie ich aus dieser beschiessenen Lage wieder herauskomme. Und wer weiss, vielleicht hat Blair uns bis dahin auch bereits gefunden; das letzte Mal scheint er meinem Geruch recht schnell auf die Spur gekommen sein.

Der kratzige Sack auf meinem Kopf riecht so eklig, dass mir davon übel wird. Zudem macht es mir zu schaffen in einem wild fahrenden Gefährt zu sitzen, dessen Bewegungen ich mit verbundenen Augen nicht einschätzen kann. Immer wieder spüre ich wie sich das Wolfsgen bemerkbar macht, aber so wie letztes Mal bei Freya haben sie mir irgendetwas gegeben, dass meine Verwandlung unterdrückt. Der einzige Unterschied besteht darin, dass ich schmerzhaft spüre wie mein Körper gegen dieses Gift rebelliert. Meine Knochen versuchen zu brechen, versuchen sich zu verändern und meine Haut juckt, brennt und möchte reissen, doch es geht nicht. Das Gefühl ist fast schrecklicher und schmerzhafter, als die Verwandlung selbst.

SilbermondWo Geschichten leben. Entdecke jetzt