Kapitel 5

511 39 8
                                    

Luna öffnete ihre Augen. Sie befand sich in völliger Dunkelheit. Jedenfalls glaubte sie das. Doch nach kurzer Zeit gewöhnten sich ihre Augen an die Lichtverhältnisse. Sie konnte die Umrisse eines Tisches erkennen und eine kleine Liege war auch in ihrem Raum. Doch sie war nicht leer. Die Konturen eines Körpers waren darauf zu erkennen.
Luna wollte zu der Person gehen, wurde aber von Fesseln zurückgehalten, die ihre Hände und Füße an den Stuhl banden. Auf ihrem Mund war noch der Klebestreifen.
Langsam wurde ihr bewusst, dass sie wirklich in Gefahr war. Panisch ließ sie den Blick nocheinmal durch ihr Zimmer gleiten. Da fiel ihr die Tischkante ins Auge.
Sie glänzte metallisch, genau wie der restliche Teil des Tisches.
Luna schob sich so gut sie konnte rückwärts auf den Tisch zu. Dann hielt sie ihre geknebelten Hände gegen das Eisen.
Mit aller Kraft rieb sie die Fesseln an der Kante. Langsam spürte sie, wie die Seile um ihre Handgelenke lockerer wurden.
Mit einem letzten kraftvollen Ruck befreite sie sich und machte sich dann am Klebestreifen und an ihren Füßen zu schaffen.
Mit schmerzverzerrtem Gesichtsausdruck rieb sie sich ihre Gelenke, die von dicken dunkelroten Striemen umrahmt waren. Die Fesseln hatten ihr ins Fleisch geschnitten. Jetzt erst merkte sie, wie verspannt ihr Nacken war. Warscheinlich hatte sie stundenlang mit hängendem Kopf auf dem Stuhl geschlafen.
Obwohl das kein natürlicher Schlaf war, sondern von einem Medikament verursachter, fühlte sie sich dennoch ausgeschlafen.
Plötzlich fiel ihr die Person auf der Liege wieder ein. Sie ging schnellen Schrittes auf die Gestalt zu.
Wie sie gehofft hatte war es Marc der anscheinend immer noch bewusstlos war.
Als sie einen roten Punkt an seinem Hals entdeckte, hob sie ihre Hand automatisch an ihren eigenen. Auch sie spürte eine kleine Schwellung die von der Spritze herrührte, die man ihr in den Nacken gerammt hatte.
Sie strich Marc die Haare aus der Stirn, sah aber ein, dass sie nicht mehr machen konnte, als auf sein Erwachen zu warten, also beschloss sie sich das Zimmer näher anzusehen. Zuerst ging sie zur Tür. Wie vorhersehbar war sie verschlossen.
Dann ging sie zu dem einzigen Fenster. Es war ein winziges Bullauge, durch das man nächtlich, geschwärzte Wellen sehen konnte. Auch gab es ein großes Fensterbrett.
Ihre Zelle lag ziemlich weit unten, da das Wasser immer wieder das Glas bedeckte.
Am Horizont sah sie aber schon einen leicht rötlichen Schimmer. Ein Zeichen dafür, dass der Sonnenaufgang nicht mehr weit entfernt sein konnte.
Sie drehte sich wieder dem Innenraum zu und erspähte durch das dämmrige Licht ein Regal. Beim näheren Betrachten entdeckte sie Bücher in ihm.
Sie zog eines heraus: Die Abenteuer des einbeinigen Piratenkapitäns.
Eindeutig nicht Lunas Buchgeschmack.
Sie stellte es kopfschüttelnd wieder zurück zu den anderen Büchern.
Dann zog sie das nächste heraus: Geschichte der Schifffahrt.
Auch dies interressierte sie nicht sonderlich. Dann fiel ihr ein altes, in Leder gebundenes Buch auf.
Sie betrachtete es eindringlich, konnte aber auf der Außenseite keinen Titel ausmachen. Beim Aufschlagen fiel ein kleiner Zettel heraus. Er war vergilbt wie der ganze Rest des Buches. Als Luna ihn dann auseinanderfaltete sah sie, dass es ein Foto war. Oder eher eine Bleistiftskizze. Eine sehr alte Bleistiftskizze von einem sehr alten Schiff. Auf der Rückseite stand:
Aqua-Aurora
Sie legte das Bild wieder zurück ins Buch und betrachtete jetzt die Innenschrift: Lokbuch der Aqua-Aurora.
Da es das einzige Buch war, dass sie interessierte, nahm sie es mit aufs Fensterbrett auf das sie sich setzte.
Inzwischen war es so hell geworden, dass sie genug Licht zum Lesen hatte.

Erster Eintrag: 27.4.1878
Heute wurde ich, Friedrich Wilhelm Nautikum, zum Kapitän der Aqua-Aurora befördert. Wir haben ruhiges Wetter. Unsere Geschwindigkeit beträgt zehn Knoten. Der Wind bläst stetig in unsere Segel. Die Mannschaft hat gute Laune. Der Rum wird nicht mehr lange halten. Ende

Zweiter Eintrag: 28.4.1878
Wir haben Flaute. Wir kommen nicht aus dem windstillen Gebiet heraus. Kein Land in Sicht. Die Mannschaft wird unruhig. Der Rum ist alle. Ende

Ein Stöhnen ließ Luna aufblicken. Marc bewegte seinen Kopf unruhig hin und her.
Mit einem geschickten Hüpfer sprang sie vom Fensterbrett.
Sie hockte sich neben sein Bett und strich ihm beruhigend über den Kopf. Er runzelte im Schlaf die Stirn, entspannte sich aber dann wieder.
Enttäuscht über sein Weiterschlafen nahm sie sich wieder das Buch und setzte sich vors Fenster.

Dritter Eintrag: 29.4.1878
Wir haben immernoch Flaute. Die Mannschaft macht sich Sorgen, dass Poseidon wütend auf sie ist. Der nichtvorhandene Rum macht die Sorgen nicht besser. Ende

Vierter Eintrag: 30.4.1878
Der Wind bläst wieder. Poseidons Wut ist verflogen. Die Mannschaft hat noch eine Notfallration Rum gefunden. Ausgelassene Stimmung. Ein junger Mann hat sich beim Deck schrubben den Knöchel umgeknickt.
Ich habe ihm zwei frei Tage gegeben in denen er seinen Knöchel kurieren soll. Wir können uns keine Ausfälle leisten. Höchstgeschwindigkeit betrug 12 Knoten. Wir werden mit Verspätung in der neuen Welt ankommen. Ende

Ein Murmeln von Marc machte sie wieder auf ihn aufmerksam. Sie ging zu ihm und küsste ihn auf die Lippen, in der Hoffnung, dass der Dornröschen Trick funktionierte. Doch es klappte leider nicht und Luna widmete sich wieder ihrem Buch.

Fünfter Eintrag: 1.5.1878
Land in Sicht. Eine unbekannte Insel wurde von unserem Späher entdeckt. Wir werden sie erkunden. Unsere Fracht kann auch ein paar Tage später ankommen. Vielleicht finden wir etwas Nützliches an Land. Die Mannschaft kann ihre Neugier nicht mehr verleugnen. Höchstgeschwindigkeit betrug 11 Knoten. Wir haben guten Wind. Ende

Sechster Eintrag: 3.5.1878
Gestern waren wir mit einem unserer Ruderboote auf der Insel. Seltsame Geschöpfe lebten dort. Sie waren sehr klein und misstrauisch. Lockige, fusselige Haare schmückten ihre Füße. Meinen Männern wurde es unheimlich. Wir traten den Rückzug an. Wegen des langen Tages auf der Insel und der anstrengenden Ruderfahrt zurück ist heute Ruhetag. Die Mannschaft schläft größtenteils. Der Rum wurde aufgefüllt durch ein Getränk von den kleinen Menschen. Sie nannten es Met. Es machte uns ganz torkelig. Ich habe Kopfschmerzen. Ich werde schlafen. Ende

,,Luna?" kam ein heiseres Flüstern vom Bett. Sie sprang überglücklich auf und hockte sich zum dritten Mal neben ihn.
,,Wie gehts?" fragte sie lächelnd.
,,Wenn man von den höllischen Kopfschmerzen absieht, dann eigentlich ganz gut"
Er wollte sich hinsetzen, wurde aber von den Seilen, die seinen Körper fixierten, aufgehalten.
,,Warte kurz" sagte Luna und fing an, ein Seil nach dem anderen aufzuknoten.
Als er endlich frei war, stand er auf und streckte sich. Dann sah er sich um:,,Wo sind wir?"
,,Ich weiß es nicht genau, aber ich vermute auf dem Schiff der Piraten"
Plötzlich erinnerte er sich wieder an den gestrigen Tag.
,,Es tut mir so leid" sagte er und schloss sie in seine Arme.
,,Hey, hey, hey! Mir geht es gut. Mir ist nichts geschehen. Du musst dir keine Sorgen machen." tröstete sie ihn.
,,Das er dich angefasst hat wird er noch bitter bereuen." sagte er grimmig.
,,Danke" sagte Luna.
,,Wofür?"
,,Wärst du nicht gewesen...ich will mir nicht vorstellen was er noch alles mit mir gemacht hätte"
,,Und dir geht es wirklich gut?" fragte er noch einmal.
,,Ja" hauchte sie an seine Lippen. Sie standen nur Zentimeter voneinader entfernt, so als könnten sie einander verlieren, wenn der Abstand zwischen ihnen größer wäre. Marc beugte sich ganz langsam zu ihr herunter und küsste sie zärtlich und hielt sie so vorsichtig fest, als wäre sie zerbrechlich. Er legte den Arm um ihre Taille und zog sie noch enger an sich. Zärtlich fuhr er mit seiner Hand durch ihre Haare während er sie immer weiter küsste. Sie spürte, dass seine Berührungen immer wilder wurden und wusste das sie gerade ganz andere Probleme hatten, doch sie konnte ihn einfach nicht loslassen. Er drückte sie nun so fest an sich das ihr die Luft wegblieb. Auch das störte sie nicht. In diesem Augenblick brauchte sie nur seine wundervollen warmen Lippen und seinen starken Körper zum Leben.
Plötzlich erstarrte Marc. Er blickte zur Tür. Sie wollte sich in seinen Armen drehen, um zu sehen was los war, doch er hielt sie so fest, dass sie sich nicht bewegen konnte.
,,Du bekommst sie nicht" sagte Marc betont ruhig, während der blanke Hass in seinen Augen stand.
,,Das werden wir ja sehen" sagte eine Stimme die ein wenig lallte und sich alt anhörte.
Luna befreite sich mit einem Ruck aus Marcs Armen um den Mann in der Tür sehen zu können. Doch sie hatte noch so viel Schwung, dass sie stolperte und direkt gegen den Mann stieß. Er hatte eine dicke knollige Nase und fettige Haare. Ausserdem stank er nach Alkohol und Fisch. Angewidert wollte sie sich von ihm wegstoßen, doch er hielt sie am Arm fest und zog sie mit nach draußen.
Sofort stürmten zwei weitere Männer in den Raum um Marc aufzuhalten, der versuchte ihr nachzulaufen.





♡♡♡♡♡♡♡♡♡♡♡
Hallihallo meine lieben Leser!
Schön das ihr bis hier gelesen habt.
Mich würde mal interessieren, wer denn meine Geschichte liest...
Also frage ich jetzt einfach mal frei heraus: Wie alt seid ihr denn so?
Wir sehen...oh nein...wir LESEN voneinander!
Bis zum nächsten Kapitel
Eure Lou ^^

Die Entdeckung Mittelerdes حيث تعيش القصص. اكتشف الآن