Kapitel 6

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,,Wohin bringen sie mich?" fragte Luna. Dabei versuchte sie ihr Zittern zu unterdrücken.
,,Wieso so förmlich junge Lady?" fragte er zurück.
,,Einer von uns beiden muss ja höflich sein und anscheinend wissen sie nicht mal was das ist! Also wohin bringen sie mich?" zischte sie.
,,Zum Käpt'n" sagte er nur.
,,Wieso?"fragte sie weiter und blieb stehen.
,,Woher soll ich das wissen?" entgegnete er und stieß sie die Treppe weiter hinauf, sodass sie fast hinfiel.
,,Keine Ahnung! Vielleicht weil sie genau so ein mieser Gauner sind, wie er?!" fauchte sie.
,,Na, na Püppchen! Wir werden jetzt doch nicht beleidigend oder?" fragte eine Stimme die sie nur all zu gut kannte und die ihr Angst machte.
Luna hatte gar nicht mitbekommen wie sie in einem prunkvollen Gemach ankamen.
Die Wände waren dunkelrot tapeziert und der Boden bestand aus hellbraunen Dielen. In einer Ecke konnte man hinter einem dünnen roten Vorhang ein Bett erkennen. Weltkarten hingen an der Wand und zeigten Bilder von längst vergangenen Zeiten. Ein großer Kompass stand in der Mitte des Raumes.
Anscheinend die Kapitänssuite.
Hinter einem großen Schreibtisch kam der grünäugige Mann hervor.
,,Sie sind der Kapitän?"fragte sie. Die Vorstellung eines so jungen Kapitäns verwirrte sie.
,,Überrascht?" hakte er nach.
Luna gab keine Antwort und fragte stattdessen:,,Wer sind sie?"
,, Mein Name ist Käpt'n John Nautikum"
,,Was wollen sie von mir?"
,,Ach Püppchen, das weißt du doch schon. Ich hatte schon lange keinen so hübschen Fang wie dich gemacht. Das muss ich ausnutzen." sagte er während er wieder dieses dreckige Grinsen aufsetzte.
Er hatte gerade einen Schritt auf sie zu gemacht, als es plötzlich ein heftiges Gerangel in der Tür gab. Marc versuchte sich zu Luna durch zu kämpfen, doch als dann ein dritter Wachmann kam und ihn festhielt, musste er aufgeben. Seine Lippe war aufgeschlagen und blutig und an der Stirn hatte er eine Platzwunde. Verzweifelt versuchte er sich zu befreien, doch er hatte keine Chance.
,,Du schon wieder" sagte der Kapitän so ruhig als würde er gerade ein Kaffeekränzchen abhalten.,,Fesselt ihn" befahl er dem widerwärtigen Mann, der Luna reingeschleppt hatte. Kurze Zeit später, war er an Armen und Beinen gefesselt und saß mit dem Rücken an der Wand. Vor seinem Mund war ein schwarzer Klebestreifen. Er blickte angsterfüllt zwischen Luna und Kapitän John hin und her. Seine Kieferknochen arbeiteten wütend.
,,Ganz recht, du Trottel" sagte John.,,Diese Szene hatten wir schon einmal, nur dass nur ihr jetzt nicht mehr helfen kannst."
Er näherte sich Luna immer weiter. Sie wollte zurückweichen, doch er hielt sie eisern fest. Dann presste er ihren Kopf gegen seinen, sodass sie gar keine andere Möglichkeit hatte, als mit ihrem Mund auf seinem zu landen. Doch diesmal hatte er ihre rechte Hand vergessen und so schlug sie ihm so hart ins Gesicht, dass sein Kopf zur Seite schleuderte. Einen Augenblick war sie selbst erschrocken über sich und das nutze Kapitän Nautikum aus.
Voller Wut sah er sie an. Er schubste sie mit Wucht gegen eine Wand und stöhnend sackte sie zusammen. Doch das reichte ihm nicht als Rache. Er trat mit aller Kraft in ihren Bauch. Sie schrie wie am Spieß, doch er ließ nicht locker und trat immer und immer wieder auf sie ein, bis sie seine Tritte nicht mehr spürte und nur noch am Rande seinen tretenden Fuß sah. Schließlich wurde ihr komplett schwarz vor Augen.

Luna wachte von etwas Nassem auf. Sie blinzelte kurz und sah Marc über sich, der die Augen geschlossen hatte, dem aber stumm eine einzige Träne die Wange herunterliefe. Unter sich spürte sie seine warmen Beine. Sie lag auf seinem Schoss.
Sanft berührte sie seinen Arm. Er öffnete die Augen und lächelte sie liebevoll an.
,,Wieso weinst du?" fragte sie leise.
Sofort versteinerte sich sein Gesicht und er blickte auf.
,,Ich habe zugesehen wie er dich verletzt hat und ich habe nichts getan um ihn aufzuhalten"
,,Marc" flüsterte sie leise. Er sah ihr in die Augen. ,,Du konntest nichts tun. Sie waren in der Überzahl. Niemand hätte da etwas tun können"
Sie legte ihm die Hand an die Wange und streichte leicht darüber.
,,Willst du was essen? Wir haben vor circa einer Stunde etwas bekommen" sagte er leise.
Jetzt erst fiel Luna auf, wie hungrig sie eigentlich war. Sie war ja am gestrigen Abend nicht zum Essen gekommen, sondern hatte es einfach stehen gelassen, um einem Schrei nachzulaufen.
Sie versuchte sich aufzusetzten und drückte sich mit ihren Armen ab, aber sie hatte keine Kraft mehr und brach kläglich wieder zusammen. Marc griff ihr an die Taille und zog sie in die sitzende Position, als wäre sie leicht, wie eine Feder.
Nun saß sie zwischen seinen Beinen und konnte den Kopf nach hinten, an seine Brust lehnen. Er hielt ihr eine dampfende Schale entgegen.
,,Was ist das?" fragte Luna neugierig.
,,Eintopf. Probier mal"
Hungrig nahm sie sich den Löffel, den Marc ihr ebenfalls hinhielt und aß ein wenig von der Suppe. Ihr ausgedörrter Körper schrie förmlich nach mehr und so schlürfte sie die Schüssel leer. Es schmeckte nicht schlecht, aber sie hätte ein Gericht mit Fleisch vorgezogen. Doch wenigstens machte es sie satt und mit der neuen Energie, schaffte sie es auch sich hinzustellen.
Jetzt machte sich auch ihr schmerzender Körper bemerkbar. Sie zog ihr Shirt leicht hoch und sah, dass riesige Blutergüsse auf ihrem Körper waren.
Sie erschrak, weil dadurch fast ihr ganzer Bauch blau und rot schien.
Luna taumelte vor Schreck einen Schritt rückwärts und stieß gegen Marc, der sich anscheinend hinter ihr aufgerichtet hatte.
,,Alles in Ordnung? "
Sie nickte und blickte sich dann um.
Sie waren in einem anderen Raum gelandet, der größer, aber weniger eingerichtet war, als der erste. Er hatte vier Bullaugen und wurde an einer Seite schmaler, was zeigte, dass sie in der Nähe des Bugs waren.
Außerdem waren sie nicht allein. Circa ein Dutzend weitere Menschen saßen auf dem Boden und unterhielten sich leise oder schliefen. Man hatte ihnen kleine Matten hingelegt, damit sie nicht auf dem feuchten Holzboden schlafen mussten.
Ein kleiner Junge weinte, doch keiner der Erwachsenen schien ihn zu kennen, geschweige denn, ihn trösten zu wollen.
Luna ging auf ihn zu und setzte sich neben ihn. Sie schätze sein Alter auf Fünf oder Sechs. Dann legte sie einen Arm um ihn und versuchte ihn zu wärmen, weil er eiskalte Hände hatte. Das Kind schluchzte dankbar, beruhigte sich aber dennoch nicht. Luna schloss die Augen und begann leise eine Melodie vor sich hin zu summen.
Sie konnte sich noch gerade so an den Text erinnern und fing an mit leiser, brüchiger Stimme zu singen.

When the last eagle flies
over the last crumbling mountain
And the last lion roars
at the last dusty fountain

In the shadow of the forest
Though she may be old and worn
They will stare unbelieving
at the last unicorn

When the first breath of winter
through the flowers is icing
And you look to the north
and a pale moon is rising

And it seems like all is dying
and would leave the world to mourn
In the distance hear the laughter
of the last unicorn

I'm alive, I'm alive

When the last moon is cast
over the last star of morning
And the future has past
without even the last desperate warning

Then look into the sky where through
the clouds a path is torn
Look and see her how she sparkles
It's the last unicorn

I'm alive, I'm alive

Dieses Lied war schon immer ihr Lieblingslied, doch jetzt berührte es sie so tief, als hätte sie es das erste Mal gehört.
Der Junge in ihrem Arm war eingeschlafen und atmete lange, ruhige Atemzüge. Sie blickte sich um und merkte, dass alle Personen im Raum, Marc eingeschlossen, sie anblickten. Beschämt senkte sie den Kopf und wollte sich wieder zu Marc verziehen, doch da stand auf einmal eine alte Frau auf und umarmte sie innig. Sie roch nach Rosenparfüm, wahrscheinlich noch ein Überbleibsel vom Kreuzfahrtschiff. Die Frau ließ los und blickte ihr lächelnd in die Augen.
,,Du hast mir Hoffnung gemacht wo keine mehr war. Die Eltern des kleinen Jungens wurden von den Piraten umgebracht. Seitdem hört er nicht mehr auf zu weinen. Doch du hast es geschafft. Glaub mir, in dir steckt mehr als du denkst." sagte die Dame.
,,Danke" entgegnete Luna, weil sie nicht wusste, was sie sonst sagen sollte.
Auf einmal standen auch alle anderen auf und umarmten sie. Manche sahen sie mit Tränen in den Augen an und andere wiederum, blickten sie mit grimmig entschlossener Miene an, als wollten sie ihre gerade geschöpfte, neue Hoffnung nicht mehr verlieren.
Als Letzter kam Marc. Er blickte sie kurz liebevoll an und küsste sie dann zärtlich.
Sie löste sich von ihm und sah ihm dankbar in die Augen.
Die Tage verstrichen und alle machten nichts anderes als essen, schlafen und reden. Luna lernte die Menschen kennen und lieben. Sie schloss jeden Einzelnen von ihnen ins Herz.




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Hallo meine treuen Leser!
Ich freu mich wirklich über die vielen netten Nachrichten die ich von euch bekommen habe. Nicht mehr lange und dann habe ich 100 Reads in dieser Geschichte. Ihr seid toll, wirklich!
Bis zum nächsten Mal.
Eure Lou

Die Entdeckung Mittelerdes Where stories live. Discover now