Kapitel 25

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Fünf Seeleute stiegen gerade in ein zweites Rettungsboot, als Luna und Jake ankamen. Marc half dem letzten ins Boot und schaute sich dann um. Anscheinend suchte er jemanden und Luna konnte sich schon denken wer das war.
Sie riss sich von Jake los und lief zu Marc, doch der beachtete sie gar nicht.
,,Jake, da ist noch ein Platz frei. Geh rein, dann lasse ich euch runter" sagte Marc mit selbstbewusster Stimme.
,,Was ist mit euch?" fragte Jake daraufhin.
,,Wir gehen ins nächste Boot"
,,Dann komme ich mit euch"
,,Nein" sagte eine Stimme. Luna bemerkte erst kurze Zeit später, dass sie selbst das gesagt hatte. ,,Geh in das Boot"
,,Aber..."
,,Jake!" sagte sie nun mit lauter Stimme. ,,Geh. In. Das. Boot."
Ihre Nerven waren zum Zerreissen gespannt.
Jake bedachte sie noch mit einem wissenden Blick und stieg dann in das Boot.
Marc sagte kein Wort mehr und ließ mit stoischer Miene das Rettungsboot ins Wasser.
,,Sind jetzt alle Leute in den Booten?" fragte Luna leise.
,,Ja, alle außer dem Kapitän"
,,Was heißt: Alle außer dem Kapitän? Wo ist er?"
,,Er ist auf der Brücke und sieht zu, wie das Schiff sinkt. Er sagte, dass er immer bei seinem Schiff bleiben würde, egal was passiert, auch wenn es ihn in den Tod reisst" Marc musste schreien, denn das Heulen des Windes war zu ohrenbetäubender Lautstärke angeschwollen.
,,Das ist doch verrückt! Wir müssen ihn da rausholen!" rief Luna.
,,Nein! Wir müssen uns in Sicherheit bringen"
,,Ich gehe da nicht rein, ohne den Kapitän" erwiderte sie trotzig.
,,Sei vernünftig! Das Schiff sinkt und wir müssen schnellstmöglich weg!"
,,Lass mich wenigstens mit dem Kapitän reden"
,,Wir müssen..."
,,Nein! Wir müssen nicht! Du bist derjenige der ins Boot will, nicht ich. Das einzige was wir müssen, ist mit dem Kapitän zu reden"
Ihr war bewusst, dass sie Marc gefährlich reizte. Seine Augen funkelten wütend und er blickte sie kalt an. Luna dachte schon, sie hätte den Bogen überspannt, aber zu ihrer Überraschung nickte er schließlich.
Sie drehte sich um und lief zur Tür. Die Gischt rann ihr inzwischen in den Nacken und von da ihren Rücken hinab. Ihre Finger und Lippen waren schon blau angelaufen, doch sie lief weiter durch das sinkende Schiff, bis sie endlich an der Tür zur Brücke ankam.
Luna griff an die Klinke, zögerte dann aber.
Sie drehte sich um und blickte in Marcs Gesicht. Der aber, sah an ihr vorbei, auf die Tür.
Seufzend widmete sich Luna wieder der Klinke und drückte diese herunter.
Als die Tür aufschwang, hatte sie erwartet, von piepsenden und blinkenden Geräten begrüßt zu werden, aber nichts dergleichen geschah. Der Raum lag in völliger Stille und Dunkelheit. Alle Anlagen waren abgeschaltet.
Nur vor dem Fenster war ein wenig Licht, dass den Kapitän beleuchtete, der ihnen den Rücken zudrehte und in den Sturm hinausschaute.
,,Kapitän..." fing Luna an, doch sie wurde unwirsch unterbrochen.
,,Was macht ihr hier? Ihr solltet zu den Rettungsbooten!" sagte der Kapitän laut.
,,Aber was ist mit ihnen? Sie werden sterben, wenn sie hier bleiben"
Ein verächtliches Lachen ertönte und der Kapitän drehte sich zu ihnen um.
Sein Mund war zu einem Lächeln verzogen, doch seine Augen strahlten eine Traurigkeit aus, die ihr den Atem verschlug.
,,Mädchen, wann und wie ich sterbe, ist ganz allein meine Entscheidung. Und ich werde dieses Schiff nicht verlassen. Ich habe ein halbes Jahrhundert lang auf diesem Schiff gelebt und gearbeitet. Es ist ein Teil von mir und wenn es in den Fluten des Meeres versinkt, dann sinke ich mit ihm"
,,Aber das können sie nicht machen"
,,Doch das kann ich"
,,Sie können nicht von uns erwarten, dass wir sie sterben lassen"
,,Ich fürchte, das erwarte ich"
Er lächelte immer noch, wenn auch nicht mehr ganz so stark.
,,Luna, komm. Es ist seine Entscheidung" meinte Marc sanft und legte seine Hand auf ihren Oberarm.
Sie entzog sich seinem Griff.
,,Wenn sie nicht mitkommen wollen, dann bleibe ich auch hier" sagte sie wütend. Irgendwie musste sie ihn ja dazu bewegen mitzukommen.
,,Gut, bleib eben bei mir. Wenigstens habe ich dann Gesellschaft beim Ertrinken" erwiderte er ruhig.
Die Antwort schockte Luna. Sie hatte mit einem Einwand oder einer Beschwichtigung gerechnet, aber die Gleichgültikeit des Kapitäns war schlimmer als beides zusammen.
,,Sind sie denn total verrückt?" schrie sie ihn an.
,,Lass mich" Sie versuchte die Hand auf ihrem Arm abzuschütteln, die Marc ihr wieder dort hingelegt hatte, doch diesmal hielt er sie fest.
,,Luna, das Schiff sinkt. Wir müssen hier runter" Er hielt sie nun an beiden Oberarmen fest und zog sie vorsichtig, aber bestimmt in Richtung Tür.
,,Lass mich los" Sie versuchte sich zu befreien, doch seine Finger waren eisern fest.
,,Bitte seien sie vernünftig" rief sie dem Kapitän zu, aber der wandte sich bereits wieder ab und blickte aus dem Fenster in die Nacht.
Marc hatte sie inzwischen auf den Flur gezerrt, wobei sie sich immernoch heftig wehrte. Luna wusste, dass sie sich aufführte wie ein bockiges Kind, aber sie wollte nicht, dass noch jemand ihretwegen starb.
Erst als sie Marc ihren Ellenbogen gegen die Nase stieß, welche dann gleich anfing zu bluten, beruhigte sie sich so, dass sie alleine zum Rettungsboot gehen konnte.
An den Weg dorthin konnte sie sich nicht mehr erinnern. Sie war zu sehr in Gedanken versunken, um den tosenden Sturm zur Kenntnis zu nehmen.
Erst als sie im Boot saß, besann sie sich wieder auf die Realität.
Marc stieg gerade zu ihr, als das Schiff knarrend Schlagseite bekam. Sie hingen nun circa vier Meter höher in der Luft, als zuvor.
Hektisch versuchten sie jetzt beide die Seile zu lösen, wobei jeder von ihnen jeweils einen Seilzug auf der rechten und der linken Seite bearbeitete.
Marcs Taue lösten sich leicht, sodass seine Seite sich absenkte, aber Lunas Seile verhakten sich ineinander.
Das Rettungsboot kippte. Es ging alles so schnell, dass sie gar nicht realisieren konnte, was geschah.
Ruckartig kam das schief, rutschende Boot zum Stehen und schleuderte Luna über den Rand hinweg.

Die Entdeckung Mittelerdes Where stories live. Discover now