Kapitel 12

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Lunas Welt drehte sich im Kreis. Alles geschah so schnell hintereinander, dass sie keine Zeit mehr hatte, nach Luft zu schnappen.
Fynn wurde von einem Piraten festgehalten. Der kleine Junge trat wild um sich und wehrte sich wehement.
Sein Peiniger war ein junger, versoffener Mann. Das dunkelbraune Haar fiel ihm strähnig, schmutzig auf die Schultern.
Er hielt einen Säbel in der Hand, dessen Klinge leicht gekrümmt war.
Fynn versuchte sich immernoch zu befreien.
Luna starrte ihn weiterhin erschrocken an, während sie versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen.
Sie sah die Klinge nichteinmal kommen. Die Säbelspitze ragte aus der Brust des Jungen. Hellrotes Blut glänzte an dem eisernen Ende.
Er sah sie mit großen Augen an, überrascht und anklagend.
Luna wusste nicht, was sie tun sollte. Zitternd versuchte sie sich zu bewegen, nur um irgendeine Reaktion aus ihrem Körper herauszuholen.
Ein dunkler Fleck breitete sich auf seinem hellgrauen T-Shirt aus. Fynn sah hinab, als würde er nicht fassen können, was gerade geschah. Seine Atemgeräusche wurden immer lauter und rasselten schließlich schwer.
Der Pirat schien keinerlei Reue zu empfinden. Auch der nebenstehende alte Mann sah nicht so aus, als würde ihm das Kind leidtun.
Der einzige dessen Gesichtszüge leicht entgleisten, war John Nautikum. Er hatte wohl nicht mit der Dreistigkeit seiner Mannschaft gerechnet.
Mit einem Ruck zog der Pirat seine Klinge aus dem Jungen und hinterließ eine Wunde, die nun umso mehr blutete.
Jemand schrie. Erst einen Augenblick später merkte Luna, dass sie es selbst gewesen war. Sie stürzte auf Fynn zu, wurde aber im letzten Moment am Arm festgehalten.
Verschwommen sah sie Marc vor sich, der langsam den Kopf schüttelte. Vor lauter Tränen die ihr Gesicht hinunterliefen und ihren Hals benetzten, konnte sie nicht erkennen, wie mitleidig er sie anschaute. Das durfte nicht sein. Er war doch noch ein Kind. So konnte es nicht enden. So durfte es nicht enden. Nicht jetzt, wo sie den Jungen ins Herz geschlossen hatte.
Ein dumpfes Poltern ließ sie aufhorchen und Luna sah, dass Fynn nun auf dem Boden zusammenbrach. Er verdrehte die Augen und sah schließlich blicklos in den schwarzen Himmel der Nacht.
Luna konnte nicht mehr zusehen. Sie entriss ihre Hand Marc und rannte auf den Piraten zu, der den kleinen Jungen getötet hatte. Mit einem überheblichen Lächeln, sah er ihr entgegen.
Das Schwert sauste in einem blitzschnellen Bogen auf sie herab, doch sie war schneller, duckte sich unter der Klinge hinweg und fasste nach dem Griff des Säbels. Der strähnige Pirat war so perplex über ihre Reaktion, dass er das Schwert losließ. Darauf hatte Luna gewartet.
Sie drückte ihm die Schneide gegen die Kehle. Doch auch sie spürte plötzlich kaltes Eisen an ihrem Hals.
,,Das würde ich an deiner Stelle lieber lassen" sagte der alte Mann spöttisch und verlieh seinen Worten Nachdruck, indem er mit der Klinge leicht in ihre Kehle ritzte. Ein dünnes Rinnsal Blut rann aus der Schnittstelle.
Verzweiflung machte sich in ihr breit.
Langsam verringerte Luna den Druck auf den Hals des Mannes vor ihr und senkte dann ihren Säbel ganz.
,,Und nun, sag deinen Leuten, dass sie von dem Boot runterkommen sollen" keifte er sie an.
Sie nickte und ging weiter rückwärts. Vorbei an dem kleinen zusammengesunkenen Körper, der immernoch blicklos in den Sternenhimmel schaute. Luna riss ihren Blick von dem toten Jungen los und suchte verzweifelt nach einem Ausweg, der nicht allzu selbstmörderisch war. Ihr fiel nichts ein.
An ihrem Rücken spürte sie die Reling, unter der das Meer toste und brauste. Das Eisen an ihrem Hals war wie ein eisiger Dolch, der ihr langsam, aber unwillkürlich den Lebensfaden durchschnitt.
Sie fasste einen Entschluss. Luna war sich nicht sicher, ob sie das richtige tat, aber sie sah keinen anderen Weg, um die Menschen zu retten, die sich auf sie verließen. Sie hatte schon einmal versagt und wollte es nicht wieder tun.
Ihr Arm schnellte in die Höhe und das Schwert in ihrer Hand traf auf das Seil, dass das Rettungsboot festband. Die Klinge durchtrennte es, als wäre es aus Butter.
Sie hoffte, dass sie das richtige tat.
Das kleine Boot gab knarrende Geräusche von sich und fiel ins Meer. Für eine kurze Zeit hatte Luna Angst, das Schiffchen würde unter dem Druck des Wassers zerschellen. Doch es blieb im Ganzen und driftete von dem großen Piratenschiff weg.
Nun standen Luna und Marc ganz allein mit drei Piraten auf dem Fluchtweg des Schiffes. Der alte Mann starrte sie hasserfüllt an.
Nun machte sich Angst in ihrem Körper breit. Von den Finger- bis in die Zehenspitzen glühte sie vor Furcht. Und noch immer rannen ihr die Tränen übers Gesicht.
Sie hatte keinen blassen Schimmer was jetzt geschehen würde, doch angenehm würde es bestimmt nicht werden.
Marc nahm ihr die Entscheidung ab, indem er sie hinter sich her zog. Gejagt von den Piraten, rannten sie zurück in die Kapitänssuite. Vorbei an dem großen Kompass, zu der Tür, die auf den Flur führte. Glücklicherweise kam ihnen dort niemand entgegen.
Sie wussten nicht wo sie hinliefen, aber sie waren sich einig, dass ihre Flucht nur in eine Richtung gehen konnte. Oben.
Auf dem Weg durch den langen Flur, kamen sie immer wieder an dicken Schlottüren vorbei. Luna schmiss diese zu, um ein wenig Zeit zu schinden und ihre Verfolger aufzuhalten.
Nach einer Weile kamen sie zu einer Treppe, die spiralenförmig nach oben und unten verlief. Luna und Marc rannten, ohne sich groß Gedanken zu machen wohin, auf die großen Treppenstufen zu und liefen dann, zwei auf einmal nehmend, nach oben.
Überrascht hielt Luna inne und sah sich um. Sie waren von einem Raum umgeben, der eine riesige Fensterfront besaß, die sich über drei der vier Wände zog. Vor den großen Glasfenstern standen allerlei technische Gerätschaften.
Gar nicht so, wie man es von einem sonst so unordentlichen Piratenschiff erwartete. Das Metall der einzelnen Knöpfe glänzte poliert, als wäre es noch nie benutzt worden.
Ein paar Lämpchen blinkten hier und da, auf der größten Schaltfläche.
Luna kam sich vor, als würde sie in einem Flugzeug-Cockpit stehen. Eine grüne Radaranlage zeigte, dass sich kein Land in ihrer Umgebung befand.
Eine andere Anzeige ließ sie wissen, wie tief der Meeresboden von ihrem Standort entfernt war und wieder andere Lämpchen gaben die Geschwindigkeit des Schiffes an.
Luna wurde von einem Geräusch unterhalb der Treppe aus ihren Gedanken gerissen.
Marc zog sie weiter in den Raum hinein.
,,Was sollen wir jetzt tun? Wir sitzen in der Falle" flüsterte sie ihm zu.
Er sah sich zweifelnd um, schien dann aber einen Einfall zu haben.
Er ging mit ihr an der Hand, um die Schaltpulte herum, bis sie vor einem großen Fenster standen. Außen vor der Verglasung, gab es ein schmales Fensterbrett, dass sich einmal um die ganze Brücke zog. Dahinter kam der gähnende Abgrund, der in den schwarzen Massen des Ozeans endete.
Luna wusste immer noch nicht, was er vorhatte, aber sie würde es sicherlich gleich erfahren. Er ging einen kleinen Schritt zurück und warf sich gegen die Scheiben. Das Glas erzitterte einmal, rührte sich aber sonst nicht. Fluchend wand er sich um und ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. Er blieb an einem metallenem Stuhl hängen.
Marc durchquerte den Raum, nahm ihn sich und kam wieder zurück. Dann schwang er den Stuhl gegen das Fenster.
Es klirrte, ging aber nicht kaputt.
So langsam lief ihnen die Zeit davon. Aus lauter Verzweiflung nahm Marc Anlauf und rannte mitsamt Sitzgelegenheit auf die Scheibe zu.
Das Glas zerbarst und die Splitter flogen ins Meer. Marc, aber hatte seinen Schwung unterschätzt.
Er fiel durch das Fenster hindurch. Im fallen drehte er den Kopf nocheinmal zu ihr um. Bedauern stand ihm ins Gesicht geschrieben und er formte mit den Lippen Worte, die sie nicht verstand. Dann blickte er wieder geradeaus.
In Richtung Ozean, bis die Dunkelheit und die Schatten seine Silhouette verschluckten.

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