2 - Sonntag Morgen

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Mit meinen zwei dunkelblauen Rollkoffern betrete ich das Zimmer im zweiten Stock am Ende des Ganges.

„Hier lang, 2B!", rufe ich Tyler zu, der mit zwei Kartons unter den Armen hinter mir herläuft und dabei fast zusammenbricht. Ich habe ihm ja gleich gesagt wir können auch öfter laufen. Ich lese die beiden Namen auf dem Papier an der Tür. Mit schwarzem Edding wurden krakelig Brooke & Avery drauf geschrieben. Avery also... interessant.

„Verdammt, kleines.", spricht der schweißgebadete Junge hinter mir und folgt mir in mein neues Heim.

„Sieht so aus, als sei ich die erste.", sage ich und schaue auf die beiden leeren Regale die sich links und rechts neben der Zimmertür befinden.

„Freie Bettauswahl.", lacht Tyler und deutet auf die beiden Betten, die jeweils vor einem Fenster platziert sind. Eins rechts an der Wand in der Ecke und das nächste im rechten Winkel zum ersten, an der länglichen Wand gegenüber der Tür.

„Ihr schlaft Kopf an Kopf", bemerkt Tyler und deutet auf die Kopfkissen. Hoffentlich schnarcht meine neue Mitbewohnerin nicht. Da habe ich diesen Sommer schon echt genug mit Tyler zu kämpfen gehabt. Wenn es draußen warm wird, wird er zum Braunbär. Keine Ahnung was das mit der Hitze zu tun hat, aber für ihn macht diese Aussage sehr viel Sinn.

„Wenigstens steht da noch ein Tisch zwischen uns.", erwidere ich und deutet auf den Nachttisch in der Ecke. Wir haben unser Zimmer an der Hausecke, wodurch wir zwei Fenster haben. Die anderen Zimmer, in die ich bisher rein Linsen konnte, sind kleiner und haben noch dazu nur ein Fenster.

Ich stelle erstmal meine Koffer unter den Schreibtisch am Fußende des rechten Bettes. Der andere Schreibtisch liegt an der länglichen Wand direkt neben dem Bett, aber ich habe mich ins geheim schon für dieses Bett entschieden und vermute einfach mal, dass die daneben liegenden Schreibtische zu den Betten gehören.

„Nicht das Bett näher am Kleiderschrank? So könntest du direkt, wenn du dich umziehst alles aufs Bett schmeißen.", scherzt mein ach so witziger Freund und spricht mein Chaos an, dass ich jedes mal hinterlasse, nachdem ich mich fertig mache.

"Haha, aber nein. Dieses Bett ist perfekt.", träume ich und lasse mich rückwärts hinauf fallen.

Tyler kommt auf mich zu und legt sich hinter mich, sodass unsere Blicke nun durch den noch leeren Raum gleiten.

"Ob der Kleiderschrank groß genug für dich ist..", faselt Tyler drauf los und bringt mich nun auch ins grübeln. Die Türen scheinen zwar nicht gerade klein, aber wenn man aus einem Zimmer mit begehbaren Kleiderschrank auszieht, ist das definitiv was anderes.

"Werde ich spätestens beim auspacken sehen.", antworte ich und gucke nach hinten in seine schokobraunen Augen.

"Na komm, lass uns den Rest deiner Sachen holen und dann noch einen Kaffee trinken gehen.", sagt Tyler nach einer kurzen Pause und springt vom Bett auf. Ich stöhne kurz auffällig auf, bis er mich über die Schulter wirft und aus dem Zimmer schleppt.

Keine halbe Stunde später sind wir fertig mit den Kartons die wir sauber auf den Schreibtisch gestapelt haben und sitzen nun in einem kleinen Café namens Danas. Gut zu wissen, dass keine 3 Minuten von meinem Wohnheim ein Ort ist, wo ich meine morgendliche Koffeinzufuhr erhalten kann. Zumal dieses Café einfach ein Traum ist. Viele alte Sessel, Sofas, Tischlampen und Tische lassen den Raum in einem warmen Licht erscheinen. Keine Sitzecke gleicht sich. Alle Möbel sind Unikate.

„Ein schwarzer Kaffee und einer mit Milch bitte.", sagt Tyler und legt einen 10er auf die Theke.

„Hier bitte, mein süßer.", gibt ihm die ca. 60 Jahre alte Frau mit rot gefärbten, krausen Locken die Becher, die Rechnung und das Wechselgeld, dass Tyler so gleich in die Trinkgeld Tasse fallen lässt. Er erntet ein dankendes Zwinkern von der Frau die ich nach lesen ihres Namensschilds als Dana identifiziere.

„Du kriegst Konkurrenz.", lächelt Tyler mich an und stellt meinen Kaffee vor mir auf den Tisch.

„Und ich dachte ich wäre die einzige für dich.", erwidere ich lachend, während ich mich in dem großen braunen Ohrensessel zurückfallen lasse.

„Tja, falsch gedacht.", scherzt Tyler und nimmt einen Schluck aus seinen Becher. Wie er den schon trinken kann weiß ich nicht. Ich brauche mindestens 5 Minuten Zeit zum abkühlen, trotz der Milch.

„Man sieht mein Zimmer.", sage ich und deute zwischen den großen Laubbäumen auf die Ecke des riesigen beige-grauen Backstein Gebäudes. Man sieht direkt, dass das Haus sehr alt ist, das College besteht aber auch schon seit 1897. Wer weiß, ob das Zimmer indem ich schlafe auch schon seit 1897 existiert.

„Das da vorne muss dann wohl der Campus der Sportler sein.", Tyler deutet in die andere Richtung auf ein paar Gebäude in der Ferne. Ca. 10 Minuten Fußweg von hier, wenn ich schätzen müsste.

„Ich schätze schon.", erwidere ich und verliere mich in Gedanken. Diese ganzen Eindrücke von meinen neuen Zuhause prasseln auf mich ein und es bereitet mir wirklich Freude mir das Leben hier vorzustellen. Nur durch Tyler in meiner Nähe könnte es noch besser werden. Ich hoffe ich überstehe die Zeit ohne ihn.

„Kannst du nicht heute Nacht hier schlafen?", frage ich mit meinem Hundeblick und bettle regelrecht danach, dass er bei mir bleibt. Wenigstens für eine Nacht.

„Kleine, wie soll ich das anstellen? Ich war eigentlich schon viel zu lange hier. Ich muss noch 14 Stunden mit dem Auto weiter und am Montag Morgen fit sein.", erwidert er und streicht mir über die Wange.

Er hat mir schon einen riesigen Gefallen getan. Die CA liegt nämlich in der komplett anderen Richtung. Wäre er direkt zu seinem College gefahren, hätte er nur 10 Stunden gebraucht. Da ich mein Auto Jonah überlassen habe, für den unwahrscheinlichen Fall, dass er in zwei Monaten pünktlich zu seinem 16ten seinen Führerschein hat, sollte er ein Auto haben. Abgesehen davon brauche ich hier nun wirklich keins.

„Na gut. Ich will dich nicht aufhalten.", sage ich ehrlich, denn auch wenn ich ihn gerne bei mir haben würde, ist es vermutlich besser, wenn er jetzt geht. Ich sollte mich einrichten und falls meine neue Mitbewohnerin noch heute ankommt, soll sie nicht gleich von einem Kerl in ihrem Zimmer überrascht werden.

Wir stellen unsere Becher auf den Servierwagen am Eingang ab und verlassen lachend das Café als Dana noch ein „bis Bald, Schätzchen" an Tyler gerichtet, hinterher ruft. Sie ist wohl schockverliebt. Fast schade, dass sie ihn nicht all zu bald wiedersehen wird, verstehen kann ich sie ja.

Angekommen an Tylers Jeep liegen für uns für ein paar Minuten einfach nur in den Armen, während er sich mit dem Rücken an die Fahrertür lehnt.

„Ich werde dich vermissen.", flüstert er mir ins Ohr und gibt mir dann einen langen Kuss auf den Kopf den er mit einer Hand noch näher an sich drückt. Tränen formen sich in meinen Augen, als ich merke, dass jetzt der Moment gekommen ist um Abschied zu nehmen. Wir haben noch nicht darüber gesprochen wann wir uns wieder sehen werden und da das Semester bald beginnt und wir uns erstmal einleben müssen, wird es mit einem Wochenend-Besuch wohl noch eine Weile dauern.

„Ich vermisse dich jetzt schon.", erwidere ich und lächele ihn an als ich sehe, dass auch seine Augen etwas feucht sind.

„Ich liebe dich, Brooke Williams."

„Ich dich auch, Tyler Matthews."

Es folgt ein leidenschaftlicher Kuss und während uns zwei Mädels die anscheinend zu meinem Wohnheim gehören zujubeln, vergesse ich allmählich die Welt um uns herum und genieße diesen letzten Moment mit ihm.

„Auf ganz ganz bald.", versichere ich ihm durchs Fenster als er es sich im Auto gemütlich gemacht hat und hole mir noch einen letzten kleinen Kuss ab, bevor er mit seinen drei kleinen Kartons im Auto um die Ecke biegt und aus meinem Sichtfeld verschwindet.

Outsider - Beneath the Surfaceحيث تعيش القصص. اكتشف الآن