39 - Sonntag Morgen

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3 Uhr Morgens.

So spät ist es inzwischen.

Avery wurde der Magen ausgepumpt. Die Ärztin, die sich meine Wunden angesehen hat, meinte, dass Avery Glück gehabt hat, dass wir sie ins Krankenhaus gebracht haben. Es wurde eine Überdosis an flüssigem Ecstasy in ihrem Blut nachgewiesen, K.O. Tropfen.

Steven war anscheinend auf Koks und hat eine Menge Alkohol getrunken. In den letzten Wochen wurden noch zwei weitere Mädchen ins Krankenhaus gebracht, die wie Avery bewusstlos waren. Sie hatten dieselben Drogen eingeflößt bekommen und konnten sich am nächsten Tag an nichts erinnern.

Meine Verletzungen halten sich in Grenzen. Mein Handgelenk ist verstaucht und meinen Hals zieren rote Druckspuren, aber ansonsten ist nichts äußerlich zu sehen. Eigentlich wollten sie mich zur Beobachtung da behalten, aber da ich dann nicht in Averys Nähe hätte sein können, sondern in einem anderen Stockwerk untergebracht worden wäre, habe ich dankend abgelehnt.

Nun sitze ich mit einer Kühlkompresse gegen meinen Hals gedrückt und einem Verband an meinem Arm, auf dem ungemütlichen Stuhl vor Averys Krankenzimmer. Sie wird vor Morgen früh nicht aufwachen, aber wenn sie es tut, will ich hier sein.

Ich bin nicht die einzige. Unsere ganze Gruppe ist hier im Flur versammelt und wartet darauf, dass Avery wieder wach wird. Meine Stirn lehnt gegen Parker, welcher wiederum gegen Logan lehnt.

Nate redet gerade mit der Polizei. Mich haben sie zum Glück schon befragt und meine Wunden fotografiert. Diese ganze Situation erinnert mich so sehr an das, was mir vor dem Sommer passiert ist und ich will alles tun, damit es Avery nicht so schlecht geht wie mir damals.

Vielleicht ist es gut, dass sie sich an nichts mehr erinnern wird. Dadurch, dass sie sich durch die Vergewaltigungsdroge nicht wehren konnte, hat Steven sie nicht verletzt. Ich weiß allerdings ganz genau wie schlimm die seelischen Schmerzen sind und das die körperlichen dagegen ein schlechter Witz sind. Vielleicht ist es auch das Gegenteil von gut, dass sie sich an nichts erinnern wird, denn die Ungewissheit könnte sie zerfressen.

Wenigstens weiß ich, was Chase mir damals angetan hat und auch wenn seine rauchige Stimme noch immer in meinen Ohren liegt und ich jedes Wort noch weiß, wünschte ich nicht, dass es anders wäre.

Wenn ich mich nicht erinnern könnte, würden sich Fragen in meinem Kopf brennen. Ob er mich berührt hat. Mich geküsst hat..

Ich schüttle mich bei den Gedanken und richte mich auf.

"Alles gut?", fragt Rocky, der zu meiner rechten sitzt und als einziger wach ist.

"Ja.. es ist nur..", ich fange an und merke wie meine Stimme zittert.

Rocky legt seinen Arm um mich und zieht mich zu sich.

"Es ist okay. Sie ist stärker als man denkt. Ihr wird es bald wieder besser gehen.", unterbricht er mich und liest somit meine Gedanken.

Ich mache mir Sorgen um sie. Ich war sie. Vor einem halben Jahr war ich genau an der gleichen Stelle wie sie.

Wäre mir diese Sache nicht passiert, dann hätte ich nie angefangen zu Boxen. Niemals hätte ich mich, ohne vorher die Polizei zu rufen, gegen Steven aufgelehnt. Ich bin ein anderer Mensch durch diese Nacht geworden und obwohl ich es mag, dass es mich stärker gemacht hat, wünschte ich mir es wäre nie passiert.

"Was wenn sie es nicht vergessen kann?", frage ich gedankenverloren und schaue durch die Glastür auf Averys Bett.

Ihre schwarzen Locken stechen auf dem klinisch reinen Bettbezug hervor und ihr Körper ist bis zum Kinn unter der weißen Bettdecke versteckt. Sie sieht so friedlich aus, doch schon jetzt mache ich mir Sorgen darum, dass sie die gleichen Alpträume plagen werden, die mich heimsuchen.

Outsider - Beneath the SurfaceWhere stories live. Discover now