Kapitel 3

1.9K 60 3
                                    

»Und wie sehe ich aus?«, fragte ich meine Mutter, als ich mich im Kreis drehte. Das Kleid bestand aus bordeauxroter Seide und fühlte sich extrem hochwertig an.

»Wunderschön. Das Kleid passt dir wie angegossen«, antwortete sie und lächelte mich glücklich an.

Seit zwei Wochen lebte ich schon mit meiner Familie. Anfühlen tat es sich als wären es schon Jahre. Letzte Woche lernte ich einige Verwandte kennen, die mich genauso wie die anderen herzlichst in die Familie aufnahmen. Es fühlte sich noch immer wie ein Traum an. Doch alles war real. Nichts auf dieser Welt würde ich gegen dieses Leben eintauschen wollen.

Dennoch aber gab es einige Dinge, die von mir geheim gehalten wurden. Vor allem der Grund meiner Adoption. Einige Male fragte ich nach, bekam aber immer wieder die gleiche Antwort.

»Es ist kompliziert, Aurora. Du wirst alles früh genug erfahren.«

Jeder hier wirkte plötzlich so geheimnisvoll, wenn es um dieses Thema ging. Ich war eine ungeduldige Person. Dennoch musste ich abwarten. Abwarten bis endlich der Tag kam, an dem ich alles erfahren würde.

»Seid ihr bereit?«, klopfte mein Vater an der Tür an. Meine Mutter schaute sich noch einmal kurz im Spiegel an und strich ihr graues Kleid glatt.

»Ja sind wir, wir kommen gleich runter.«

Mir fiel schon etwas früher auf, dass meine Eltern hochrangige Leute waren. Als was genau sie arbeiteten wusste ich nicht. Warum auch immer fühlte ich mich komisch wann immer ich darüber nachfragen wollte. Etwas in mir sagte, dass meine Familie noch viel komplizierter war als gedacht. Alle hier lebten in einer Art Struktur. Auch fiel mir auf, dass es viele Menschen gab, die für uns arbeiteten. Seien es Chauffeure oder Bodyguards, alle hatten einen großen Respekt gegenüber unserer Familie. Würde ich meine Eltern nicht kennen, würde ich denken, dass sie Angst vor ihnen hätten.

Schnell versuchte ich all die wirren Gedanken in meinem Kopf wegzufegen, sodass ich mich komplett auf heute Abend fokussieren konnte. Es soll wohl ein Abendessen mit den Kollegen meines Vaters geben. Und warum auch immer nahm er seine ganze Familie mit. Das war wohl normal so, wobei ich noch nie von einem Geschäftsessen gehört hatte, bei dem die Familien dabei war.

Was auch immer, hier in dieser Welt war eh alles komisch. Ich brauchte noch etwas Zeit um mich an dieses Leben zu gewöhnen.

»Ihr seht beide wunderschön aus«, kommentierte mein Vater, als wir die Treppen runterstiegen. Während er meiner Mutter einen Kuss auf die Wange gab, streichelte er mir leicht über den Kopf.

An die wahre Liebe glaubte ich eigentlich nie. Meine Eltern aber ließen mich oft überlegen, ob es diese nicht doch wirklich gab. Sie waren sich immer respektvoll gegenüber und verstanden sich super, also das komplette Gegenteil meiner toxischen Adoptiveltern, die definitiv eine Ehetherapie brauchten.

Oder auch gleich eine komplette Therapie allgemein.

Angekommen sah ich mir das Restaurant an. Kein Wunder, dass wir so schick gekleidet waren, es war ein teures Restaurant für die obere Schicht.

Ich konnte mich nicht daran erinnern, wann ich zuletzt an solch einem Ort war. Oft nahm mich meine Adoptivfamilie einfach nicht mit. Schon damals fiel mir auf, dass etwas nicht stimmte.

»Aurora, kommst du Kind?«

Meine Eltern liefen schon los, während ich noch immer in Gedanken versunken war. Schnell erwachte ich aus meiner Trans und nickte kurz. Den beiden folgend betraten wir das Restaurant und machten uns auf den Weg nach hinten. Dort saßen schon einige Leute. Meine Eltern kannten wohl alle, da sie diese sofort begrüßten und wir uns hinsetzten.

»Das ist also deine Tochter Mark?«, fragte ein etwas älterer Herr meinen Vater, der nur zustimmend nickte und dann zum Kellner sah, welcher unsere Bestellungen aufnahm.

Eine Frau mit einer weißen Bluse und einem knallroten Lippenstift musterte mich merkwürdig, schon fast besorgt. Überrascht erwiderte ich ihren Blick. Warum genau sah sie mich so an? Sie öffnete einen Augenblick später ihren Mund und sah dann zu meiner Mutter.

»Elena, weiß sie von dem Ver-«

»Dorothy, jetzt ist nicht der Zeitpunkt dafür. Lass uns erst mal essen«, warnend unterbrach sie die Frau, während ich ihr einen verwirrten Blick schenkte.

Was zum Teufel ging hier ab?

Nun war ich mir hundertprozentig sicher, dass meine Familie Geheimnisse hatte, die mich mit involvierten. Ein mulmiges Gefühl machte sich in mir breit. Nichts hasste ich mir, als wenn Menschen mir etwas verheimlichten. Es fühlte sich später so falsch an ihnen wieder zu vertrauen.

»Ich müsste kurz mal auf Toilette«, mit dieser schwachen Entschuldigung stand ich auf und lief Richtung Toiletten. Natürlich hatte ich nicht vor mich schnell frisch zu machen oder sonst was. Vor den Frauentoilette sah ich mich kurz um, ob es hier einen ruhigeren Ort gab, an dem ich ungestört bleiben konnte. Und zu meinem Glück war der Notausgang einige Meter entfernt.

Mit meinem Handy in der Hand lief ich nach draußen. Ich musste jemanden anrufen. Und dieser jemand war Hannah. Sofort spürte ich den kalten Wind auf meiner Haut, welcher mich kurz erschaudern ließ. Die frische Luft tat gut.

Noch bevor ich die Nummer eintippen konnte, hörte ich plötzlich ein schmerzvolles Zischen. Verwirrt blickte ich um mich herum. Hier draußen war es zu dunkel, um irgendetwas erkennen zu können. Ich nutzte die Taschenlampe, doch fand keine Person, von der das Zischen stammen könnte. Vielleicht hatte ich mich ja verhö-

Ein zweites Zischen zog meine Aufmerksamkeit wieder auf sich. Also war hier doch jemand!

»Hallo? Ehm... Geht es Ihnen gut?«, fragte ich einfach mal nach. Eine Antwort bekam ich nicht. Irgendwo hier musste die Person doch sein. Ich lief zu erst nach rechts, sah mir dort alles ganz genau an, erkannte aber nur auf den Parkplatz des Restaurants.

Dann sah ich mich auf der anderen Seite um. Hier war es viel dunkler. Schon wollte ich wieder das Restaurant betreten, doch erkannte aus dem Blickwinkel eine dunkle Gestalt. Mir stockte der Atem als ich auf einmal einen Mann an einer dieser großen Mülltonnen angelehnt sah. Das Licht der Straßenlaterne erlaubte mir sein Gesicht zu sehen, welches er schmerzhaft verzog.

Ich näherte mich dem auf dem Boden sitzenden Mann. Meine Augen wanderten zu seiner rechten Hand, die seine linke Schulter umklammerte, aus der Blut floss. Er war verletzt.

»M-Machen Sie sich keine Sorgen, ich werde sofort den Notruf tätigen, es wird Hilfe komm-«, ich konnte meinen Satz nicht beenden, da der Mann mich mit voller Wucht zu sich zog. Geschockt sah ich ihn an und wollte schon anfangen zu schreien, doch sein gefährlicher Blick ließ keinen einzigen Ton aus mir rauskommen.

»Halt still!«, flüsterte er mir wütend zu. Bevor ich noch irgendetwas sagen konnte, hörten wir plötzlich Schüsse. Diese wurden immer lauter und lauter, sodass ich dem Mann ungewollt immer näher kam.

Eigentlich war ich jemand, der Körperkontakt mit Fremden verabscheute, doch dies war jetzt nicht wirklich meine größte Sorge.

• • • • • ✍︎ • • • • •

AuroraWhere stories live. Discover now