Kapitel 5

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Gespannt sah ich meinen Vater an. Schon seit einer Weile meinte er, er wolle mir was wichtiges sagen. Seufzend streckte ich mich für einen kurzen Moment. Sieben Minuten waren vergangen und er brachte immer noch kein Wort raus.

»Was genau möchtest du mir denn jetzt sagen?«, versuchte ich es einfach mal. Sein Kopf schoss in die Höhe und seine Augen sahen mich durchdringend an. Dieser Blick ließ mich komisch fühlen. Irgendwas in mir sagte, dass gleich Chaos herrschen würde. Und meinem Gefühl sollte ich eigentlich immer vertrauen.

»Du... Du musst heiraten.«

Ich muss was?

»Wie bitte?!«

Hysterisch sprang ich auf und sah meinen Vater unglaubhaft an. Sollte das alles hier ein Scherz sein? Erst die Adoption und jetzt eine Zwangsheirat? Warum genau hatte ich solch ein dramatisches Szenario als Leben bekommen?

Tief durchatmend versuchte ich mich zu beruhigen, doch es klappte kein bisschen. Während er wieder auf den Boden blickte, versuchte ich seine Wörter zu verinnerlichen.

»Du musst heiraten.«

Also verhört hatte ich mich ganz sicher nicht.

»Aurora, es ist viel zu kompliziert um dir das alles erklären zu können. Noch bevor wir dich weitergaben gab es solch ein Versprechen«, redete er weiter. Ich aber konnte einfach nur lachen.

Meine Nerven waren definitiv am Ende.

»Ganz. Sicher. Nicht.«

Mit diesen Worten wollte ich schon den Raum verlassen, als die eiskalte Stimme meines Vaters mich aufhielt. Noch nie benutzte er diese Stimme mir gegenüber, es waren eher die Männer, die für ihn arbeiteten, die seine Kälte zu spüren bekamen. Und jetzt war ich wohl an der Reihe.

»Wenn du nicht mit ihm heiratest, werden wir alle sterben müssen«, schockiert über diesen Satz drehte ich mich langsam um. Konnte das alles hier noch viel schlimmer werden?

»Bedrohen die euch?«, war das Erste, was mir den Sinn kam. Eltern würden doch nie und nimmer etwas gegen den Willen ihres Kindes machen. Und vor allem nicht wenn es um solch ein heikles Thema ging. Oder lag ich doch etwa falsch?

»Niemand bedroht uns, mache dir da keine Sorgen. Ich halte meine Versprechen Aurora«, es fühlte sich so an als würde ich mit einem Fremden sprechen. Lange kannte ich ihn zwar nicht, doch die kurze Zeit, die wir zusammen verbringen konnten, zeigte eine komplett andere Seite von ihm. Doch jetzt machte er sogar mir leichte Angst.

»Ich werde nicht mit einem mir unbekannten Typen heiraten.«

Diese Leute dachten wohl, dass sie alles tun und lassen konnten was sie wollten. Aber nicht mit mir. Niemand auf dieser Welt konnte weder mich noch eine andere Person zwingen jemanden zu heiraten und ein Leben mit dieser Person zu verbringen. Ich würde mich keiner Zwangsehe unterlegen. Dennoch schwirrten seine Andeutungen auf den Tod von uns noch immer in meinem Kopf. Meinte er es etwa wirklich? Oder versuchte er mir nur Angst einzujagen?

Mit meinen Fingern spielte ich wie verrückt. Eine gute Gelegenheit, um Stress zu verarbeiten. Aber dieser Stress hier war sogar mir zu viel. Nicht einmal Beruhigungsmittel würde mir helfen runterzukommen.

»Wir wollten das doch auch nicht...«, fing er dann an leise zu erzählen. Komplett fokussiert auf den Mann gegenüber mir atmete ich tief durch. Jetzt wäre der Zeitpunkt alles zu erfahren.

»Jahre ist es schon her, seitdem dies passiert ist. Trotzdem hinterließ diese Situation einen großen Schmerz in uns. Eine wichtige Person unserer Familie hast du noch gar nicht kennengelernt, deinen Onkel Ron. Oder besser gesagt, konntest du gar nicht kennenlernen. Er war mein jüngerer Bruder und verliebte sich in die Frau meines damals besten Freundes, Leo Hernández«, es fiel ihm schwer zu sprechen, seine Stimme hörte sich zerbrechlich an. Es war erst der Anfang der Geschichte, aber der Schock in mir saß tief.

»Leo erfuhr es recht schnell, seine Frau und Ron hatten sogar eine Affäre in der kurzen Zeit. Er drehte durch, rastete aus, doch tat beiden nichts. Die eine Person war nämlich der Bruder seines besten Freundes und die andere die Mutter seines Sohnes. Doch es dauerte nicht wirklich lange bis er das eigentliche Problem erfuhr: Seine Frau, Miranda, war schwanger. Damals dachten wir alle, dass das Kind von Ron wäre, so war es aber nicht. Doch bevor Leo dies erfahren konnte, brachte er Ron sofort um. Dies war der Tag, an dem mein bester Freund zu meinem größten Feind wurde.«

Ich musste schlucken. So etwas hatte ich jetzt nicht erwartet. Hier hatte jeder seine eigene Schuld, doch jemanden umzubringen? Reichte so etwas aus, um das Leben einer Person zu beenden?

»Zwei Jahre später trafen Leo und ich uns dann. Geschäftlich konnten wir uns zwar immer aus dem Weg gehen, doch wir beide wussten, dass es Zeit war für eine Konfrontation. Auch wusste ich, was für einen Mist Ron gebaut hatte, trotzdem war er immer noch mein Bruder. Tief in mir tat es einfach weh. Bei unserem Treffen war sein Sohn fünf Jahre als und du kamst gerade erst einige wenige Monate zuvor auf die Welt. Wir beide wollten unsere enge Beziehung zueinander nicht zerstören, weshalb Leo dieses Versprechen vorschlug. Dabei erkläre er mich auch, dass wenn jemand von uns dieses Versprechen brechen würde, viele darunter leiden müssten. Einmal taten wir es für das Geschäft und einmal für die langjährige Freundschaft zwischen uns. Vielleicht wirst du es mir gar nicht glauben, aber ich bereue all das so sehr...«, am Ende strich er sich mit den Händen über das Gesicht. Noch immer musste ich all das Gesagte verarbeiten. Dennoch aber hatte ich einige Fragen.

»Und diese Miranda? Was ist mit ihr passiert?«

»Sie hat ihr Kind auf die Welt gebracht und ist untergetaucht. Das einzige, was ich weiß ist, dass es ein Junge ist und er ungefähr ein zwei Jahre älter ist als du«, antwortete er mir. Leicht nickte ich. Zuerst das Leben so vieler Menschen zerstören und dann einfach untertauchen. So so also.

»Warum habt ihr mich weggegeben?«, war meine nächste Frage. Ich sah ihn todernst an, als er seinen verlorenen Blick zu mir wendete.

»Auro-«

»Ich will endlich eine Antwort von euch! Und zwar jetzt«, leise seufzte er und nickte dann.

»Wie du willst, Kind. Nach einem Angriff verlor ich fast deine Mutter. Auf einer wundersamen Art schaffte sie es doch zu überleben, wollte dich aber von solch einem Leben fern halten. Und genau deswegen haben wir dich zur Adoption freigegeben, wir wollten dich einfach vor diesem gefährlichen Leben beschützen. Doch wie das Schicksal so wollte kamst du zu uns zurück. Es ist jetzt Zeit, dass dir bewusst wird, was für ein Leben wir eigentlich führen.«

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AuroraWhere stories live. Discover now