Kapitel 10

1.5K 50 8
                                    

So, nun stand ich hier. Mit Blumen in der Hand und mit meinem Vater zum Altar laufend. Es fühlte sich so an als würde alles in Zeitlupe ablaufen.

Oder mir kam es nur so vor.

Was es auch immer war, es machte mich nur noch nervöser und zog diesen Schlamassel, in dem ich mich befand, in die Länge. Wie gerne ich doch nur laut aufschreien und von hier so schnellst wie möglich abhauen würde. Doch leider wusste ich, dass zwei Schrittchen später sich einige Kugeln in meinem Schädel platzieren würden.

Da bekam ja der Begriff "Trauung" eine ganz neue Bedeutung.

Obwohl ich gefühlt tausend Mal darauf bestand, dass es diese verdammte Hochzeit eh keinen Sinn und Zweck hatte und wir nur Geld und Zeit damit verschwenden würden, hatte mein zukünftiger Ehemann andere Pläne. Genau er war der Grund, warum ich duzend Menschen um mir hatte, die gespannt auf unsere doch so tolle Trauung warteten.

Wüssten sie alle, warum die beiden Leute hier heiraten, obwohl so so aussahen als könnten sie sich im Nu abstechen, wäre keine Menschenseele bis auf die unserer Familien hier. Dafür könnte ich meine Hand ins Feuer legen.

Abgebrochen wurde mein Selbstmitleid durch ein Anschubsen meines Vaters, der mir signalisierte, dass wir am Altar ankamen. Super, jetzt kam der tollste Part dieser Sache.

Vor meinem emotionslosen Bräutigam stehend zog ich nur leicht die Augenbrauen hoch. Wenigstens heute könnte er seine Eismaske ablegen und etwas gefühlsvoller blicken. Aber nicht mein Problem. Somit konnten die ganzen Gäste später darüber lästern, was ein Arschloch er nur war.

Unrecht hätten sie eh nicht.

Mit den willkommenden Worten des Pfarrers began auch die Zeremonie.

»Die Liebe erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand. Die Liebe hört niemals auf. Und so hoffen wir dass sie euch beistehen wird...« Eine halbe Ewigkeit später fragte er uns dann genau die Frage, die womöglich bis ans Ende meines Lebens in meinem Gedächtnis eingraviert bleibt:

»So frage ich dich, Adrien, wirst du deine Frau ehren und lieben in guten wie in schlechten Zeiten so antworte mit "Ja ich will".«

»Ja ich will«, kam es dann kühl von ihm. Während mich der Ton seiner Stimme kein bisschen schockte, war es sein durchdringender Blick, welcher mich aus der Fassung brachte. Keine Sekunde wand er den Augenkontakt ab. Super, mache mich halt noch nervöser als ich es schon bin.

»So frage ich dich Aurora, wirst du deinen Mann ehren und lieben in guten wie in schlechten Zeiten so antworte mit "Ja ich will"«, holte mich die laute Stimme vom Pfarrer zurück in die Realität. Schwer schluckend und ohne auch eine Millisekunde den Blick abzuwenden, antwortete ich ihm.

»Ja ich will.«

Puh, endlich hatte ich diesen Mist hinter mi-

»So erkläre ich euch nun Kraft meines Amtes zu Mann und Frau. Sie dürfen die Braut nun küssen«, mit einem breiten Lächeln sah dieser Pfarrer zwischen Eisblock und mir hin und her.

Oh nein.

Oh nein, oh nein, oh nein.

Diesen Part hier hatte ich ja komplett verdrängt. Scheiße.

Als würde dieser Stress nicht schon reichen, kam mein ach so toller Ehemann einen Schritt näher. War der etwa lebensmüde?!

Schnell atmend versuchte ich eine Lösung zu finden, doch mein Gehirn arbeitete auf einmal nicht mehr. Völlig ohne Ahnung und Fokus stand ich vor meinem verdammten Ehemann, der sich runter zu mir beugte.

Atmen, Aurora, atmen.

»Das hier wird der erste und letzte Kuss sein, den ich mit dieser haben werde, Aurora Hernández«, flüsterte er mir so leise es ging zu und verpasste mir dadurch eine Gänsehaut auf meinem ganzen Körper. Doch bevor ich irgendwie protestieren konnte, lagen seine Lippen schon auf meinen.

Ich spürte die Hitze in meinem Gesicht. So hatte ich mir den Kuss mit meinem Ehemann nicht vorgestellt. So hatte ich mir auch nicht meinen Ehemann vorgestellt.

Unsere Lippen bewegten sich nicht, wie vereist standen wir da und gaben den Gästen den Eindruck, dass wir ein süßes und verliebtes Paar waren. Wie realistisch.

Seine Lippen trennten sich von meinen und erst jetzt spürte ich, was für ein ungewohntes Gefühl sie in mir aufgeweckt hatten. Ob ich diesen Mann mochte? Kein bisschen. Ob ich noch einmal das Gleiche spüren wollte? Vielleicht...

Seufzend versuchte ich ihn so gut es ging zu ignorieren und sah zu den applaudierenden Gästen. Alle sahen glücklich aus. Bis auf das Ehepaar. Sogar der Psycho-Vater von Adrien lächelte leicht und applaudierte mit der Menge mit. Meine Eltern hingegen hatten gemischte Gesichtsausdrücke. Natürlich waren sie glücklich, dass ihre Tochter heiratete, doch gleichzeitig mussten sie sich daran erinnern mit wem und warum sie dies machte.

Ich war nun verheiratet. Mit einem Mann, den ich kein bisschen liebte. Mit einem Mann, der mich womöglich schon von Anfang an hasste.

Das hier sind noch deine guten Tage, höre ich eine recht nervige Stimme in meinem Inneren sagen. Danke dafür, das gab mir den letzten Kick, um in Selbstmitleid zu versinken.

•    •    •    •    •   ✍︎    •    •    •    •    •

Etwas spät, aber schönes neues Jahr euch allen!

Hoffentlich werde ich 2022 anfangen regelmäßiger meine Kapitel hochzuladen. :D

AuroraWhere stories live. Discover now